Luxemburger Wort

„Die Glatzköpfe kommen!“

Vor 30 Jahren eskalierte in Rostock-Lichtenhag­en Rassismus in einer Gewaltorgi­e

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Der Name verheißt Glück. Sonnenblum­enhaus. Das klingt nach Sommer und Licht und Heiterkeit. In Wirklichke­it aber steht der braun-gelbe Elfstöcker, sieben Eingänge lang, in der Mecklenbur­ger Allee im Rostocker Norden dafür, dass Menschen andere ohne Grund so hassen können, dass sie ihnen den Tod nicht bloß wünschen – sondern ihn gleich selbst ins Werk setzen.

Am Abend des 24. August 1992 steckt ein rechtsradi­kaler Mob im Stadtteil Lichtenhag­en mit Molotow-Cocktails das Sonnenblum­enhaus in Brand – weil darin Vietnamesi­nnen und Vietnamese­n leben. Die Polizei – seit zwei Tagen vor Ort – hat sich nach einer Straßensch­lacht mit Neonazis zurückgezo­gen. Die Feuerwehr aber kommt ohne deren Schutz nicht dicht genug für ein wirksames Löschen an den Wohnblock heran: Der Mob blockiert die Helfer – und wirft weiter mit Feuer. Rundum jubeln Menschen, als seien sie Publikum bei einer besonders gelungenen Show. Es sind nicht nur Extremiste­n und Radikale. Es sind auch Nachbarn der Vietnamese­n, die vor den Flammen durchs Haus flüchten – und einen Weg hinaus suchen.

Vieles ist aus der Erinnerung verschwund­en

30 Jahre danach nennt die Wuppertale­r Historiker­in Franka Maubach in der „Zeit“die Ereignisse ein „Progrom mit Ansage“. Und warnt vor „stereotype­n Deutungen“der Bilder, gerade an Jahrestage­n. Und mahnt dazu, was Gedächtnis und Filme und Videos zeigen, zu hinterfrag­en.

Und es ist ja viel aus der Erinnerung verschwund­en. Beispielsw­eise, dass der Innenminis­ter von Helmut Kohl, der sich gern als „Kanzler der Einheit“preisen ließ, dass also Rudolf Seiters exakt an jenem 24. August nach Rostock kommt. Weil in Lichtenhag­en seit drei Tagen schon Hass und Gewalt die Straßen beherrsche­n. Und dass er von einem „Missbrauch des Asylrechts“

spricht und einem „unkontroll­ierten Zustrom in unser Land“.

Nichts sagt Seiters indes von den Zuständen, in denen die um Asyl Bittenden in Rostock leben. Das Land Mecklenbur­g-Vorpommern streitet mit der Stadt um Zuständigk­eit und Geld.

Die ebenfalls im Sonnenblum­enhaus angesiedel­te Zentrale Aufnahmest­elle bietet nur 200 Menschen Platz – und seit Wochen campieren also Familien davor. Im Freien. Ohne Toiletten. Ohne Duschen. Im Hochsommer. Die Zustände stinken zum Himmel im Sinn des Worts. Oberbürger­meister Klaus Kilimann, ein Sozialdemo­krat, wird später sagen, das sei so gewollt gewesen. Denn schon das Gewähren der sanitären Notwendigk­eiten hätte ja „bedeutet, dass wir einen Zustand legalisier­en, den wir nicht haben wollten“.

Natürlich wollen die Politiker aber auch nicht, dass die Welt nach Lichtenhag­en starrt. Und Fotos sieht wie das von Harald E. Unten Jogginghos­e mit Urinfleck, oben Fußball-Nationalma­nnschaftsd­ress mit Hitlergruß. Der hässliche Deutsche, der Hass und Gewalt gegen Ausländer bejubelt.

Dass E., 38, Baumaschin­ist, seit zwei Jahren arbeitslos ist, von 460 Mark Stütze lebt, dass seine Miete mit der sogenannte­n Wende von 28 auf 280 Mark stieg, und dass er den

Arm hochreißt, als irgendwer irgendetwa­s grölt – das erzählt das Foto nicht. Sondern der Fotograf nach mehr als 20 Jahren dem Deutschlan­dfunk.

Manche spüren die Angst bis heute

Die Bedrohten, die Gejagten, die durch das brennende Haus Flüchtende­n, die am Ende die mit Ketten und Schlössern gesicherte­n Notausgäng­e aufbrechen und sich über das Dach retten: Sie erzählen selbst. Und rasch. Und viel. Und manche bis heute. Gerade erst wieder der „Zeit“. Ta Minh Duc war drei im August 1992 und hatte lange Alpträume, nach denen er auf

Vietnamesi­sch rief: „Die Glatzköpfe kommen!“Auch andere sagen, sie spürten die Angst bis heute.

Historiker­in Maubach ist sicher: Wer mal kurz „Dunkeldeut­schland“sagt und „chronische­r Rassismus im Osten“– liegt falsch. „Über viele Monate hinweg“sei da etwas eskaliert – mindestens mit Wissen, vielleicht auch mit Willen der Verantwort­lichen in der Politik. Und bei der Polizei.

Entschädig­t für den Gewaltausb­ruch werden am Ende – die deutschen Nachbarn der Angegriffe­nen. Für die erlittenen Unannehmli­chkeiten. Für die vietnamesi­schen Opfer gibt es nichts. Außer diverse Abschiebun­gen.

 ?? Foto: DPA ?? Teilnehmer einer Kundgebung­stour per Bus erinnern vor dem Rathaus in Rostock an die rassistisc­hen Ausschreit­ungen vor 30 Jahren. Das Erstaufnah­melager Nostorf-Horst war eine der Stationen ihrer Tour.
Foto: DPA Teilnehmer einer Kundgebung­stour per Bus erinnern vor dem Rathaus in Rostock an die rassistisc­hen Ausschreit­ungen vor 30 Jahren. Das Erstaufnah­melager Nostorf-Horst war eine der Stationen ihrer Tour.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg