Rette sich, wer kann
In Berlin implodiert gerade der RBB – Symptom der Krise der öffentlich-rechtlichen Sender
Ob Tom Buhrow wirklich gründlich nachgedacht hat, ist nicht Thema des Pressegesprächs, zu dem der Intendant des Westdeutschen Rundfunks (WDR) und amtierende ARD-Vorsitzende ganz kurzfristig hat einladen lassen. Am Samstag! Ist ja nicht so, dass die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland kein Wochenende kennen. Buhrow redet nicht über sich, sondern über den RBB, den für Berlin und das die deutsche Hauptstadt umgebende Bundesland Brandenburg zuständigen Rundfunksender.
Der steckt seit Wochen in einer Affäre um Verschwendung und Vorteilsannahme und Vetternwirtschaft. Im Zentrum die inzwischen sowohl zurückgetretene wie zusätzlich seit gestern auch fristlos entlassene Intendantin Patricia Schlesinger. Und nun sagt Buhrow: „Wir haben kein Vertrauen mehr.“
Anderen geht das schon länger so. Seit Juni erfährt die Öffentlichkeit in wachsender Beschleunigung von Zuständen beim RBB, die mindestens fragwürdig sind – vielleicht auch justiziabel. Letzteres prüft die Berliner Generalstaatsanwaltschaft, die den Fall Schlesinger und andere an sich zog – wegen der „besonderen Bedeutung“.
„Bis es quietscht“
Zustände beim RBB – ist allerdings nicht präzise. Tatsächlich geht es, soweit bislang offenbar, um die Leitung des Senders – und die Gremien, die eben diese überwachen sollen. Die Intendanz führt die Geschäfte, der Verwaltungsrat müsste die wirtschaftliche Tätigkeit kontrollieren, der Rundfunkrat – ehrenamtlich besetzt aus den gesellschaftlich relevanten Gruppen – sicherstellen, dass der „Programmauftrag“eingehalten wird. Grob: Dass das Publikum Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung zu hören und zu sehen bekommt – umfassend und ausgewogen.
Keine kleinen Aufgaben. Und verbunden damit, dass in den Sendern – neun Landesanstalten, die sich in der ARD zusammengetan haben, der reine TV-Sender ZDF und der Deutschlandfunk, der nur Radio macht – jede Menge Geld im Umlauf ist. Unter anderem knapp 5,9 Milliarden Euro Rundfunkbeiträge – von ihren Gegnern „Zwangsgebühr“genannt. 85 Prozent aller Sendereinnahmen. Aktuell muss jeder Haushalt monatlich 18,36 Euro bezahlen.
Was beim RBB damit in der Ära Schlesinger gemacht wurde – neben Radio und Fernsehen – sorgt seit Wochen für Schlagzeilen. Und inzwischen für Rücktritte im Tagestakt. Unter anderem wurde die Intendantin-Etage
saniert, ein Bonus-System fürs Spitzenpersonal installiert und – das ist das Neueste – über Jahre hinweg mindestens einem führenden Mitarbeiter ein Gehalt bezahlt, der gar nicht mehr für den RBB tätig war. Gleichzeitig verordnete Schlesinger einen Sparkurs nach dem Prinzip des ExRegierenden Klaus Wowereit: „Bis es quietscht.“RBB-Journalisten wie Publikum klagen längst: auf Kosten der Qualität. Gestern sind Intendanz, Verwaltungsund Rundfunkratsvorsitz, die Verwaltungsdirektion und die Leitung der Intendanz nur noch kommissarisch besetzt. Die Tatsache, dass die Chefin des Rundfunkrats, Friedrike von Kirchbach, während ihrer Amtszeit in ihrem Hauptberuf als Pfarrerin die nun geschäftsführende Verwaltungsdirektorin Sylvie Deléglise und die weiter amtierende Juristische Direktorin
Susann Lange getraut hat – gerät zum den nächsten Rücktritt auslösenden Skandal. Obwohl Deléglise, inzwischen von Lange wieder getrennt, die Fakten selbst offenlegt.
Niemand fragt, ob es nicht völlig normal ist, dass ein Paar sich eine ihm bekannte Pfarrerin für den Traugottesdienst wählt. Die Affäre ist längst an dem Punkt, an dem Schlagworte schon als Beweise gehandelt werden: „Massagesitze“in Schlesingers vom Hersteller hoch rabattierten Dienstwagen ist nur eines davon.
Dabei gibt es genügend offene Fragen, die wirklich wichtig sind. Beispielsweise, ob ein Intendantengehalt das des Bundeskanzlers übertreffen muss? Bei sechs der neun ARD-Anstalten ist das so. Wie wenig Sensibilität bei den so Bezahlten herrscht, beweist die Intendantin des Bayerischen Rundfunks (BR), Katja Wildermuth, die der „Süddeutschen“für die Montagsausgabe sagt, für ihre 340 000 Euro Grundgehalt sei „der Verwaltungsrat zuständig“.
Schadenfreude
Natürlich jaulen die Gegner der ÖffentlichRechtlichen – die längst nicht mehr nur Rechtsaußen zu finden sind – öffentlich auf; und hauen sich im Geheimen vor Freude auf die Schenkel. Weil sie wissen, wie sehr Wildermuth ihnen bei der Diskreditierung des eigenen und der anderen Sender hilft. In Frankreich und in Großbritannien erweist sich ja schon, dass man mit den Geschichten von den überbezahlten, linkslastigen, lügenden Öffentlich-Rechtlichen Erfolg haben kann.
Buhrow & Co. wissen das auch. Die „Tagesschau“startet am Samstag mit dem Vertrauensentzug für die Geschäftsleitung des RBB – vor Welthunger, Krieg und Terror. Der Sender selbst schiebt in seinem dritten Programm noch ein „Spezial“nach. In dem geht es auch darum, dass ein RBB-Journalistenteam nun den RBB-Leitungsgremien hinterherrecherchiert. „Bisschen spät“, gibt Teamchef René Althammer zu. Es klingt ein wenig verzweifelt. Auch ein wenig trotzig. Aber ganz anders als das Buhrow’sche Rette sich, wer kann.
Die Affäre ist längst an dem Punkt, an dem Schlagworte schon als Beweise gehandelt werden.