Luxemburger Wort

Wie die Hitze China lahmlegt

Die schlimmste Hitzewelle seit 60 Jahren sorgt für Stromausfä­lle und trockene Flüsse im Reich der Mitte

- Von Fabian Kretschmer (Peking)

Der sonst mächtige Jangtse-Fluss gibt dieser Tage ein überaus klägliches Bild ab: Durch Rekordhitz­e und historisch niedrige Regenfälle ist er auf ein Bruchteil seiner Größe geschrumpf­t, beide Uferenden haben Sandbänke von der Breite mehrerer Fußballfel­der freigelegt.

Die Volksrepub­lik China leidet derzeit unter der schlimmste­n Hitzewelle seit über sechs Jahrzehnte­n. In vielen Landesteil­en überschrei­ten die Thermomete­r seit über zwei Monaten bereits die 40Grad-Grenze, insbesonde­re im Südwesten wird die unerträgli­che Schwüle noch mindestens eine Woche anhalten. Die Behörden haben dieses Jahr rund doppelt so viele Hitzewarnu­ngen ausgegeben wie sonst üblich. Und es zeigt sich, dass die Folgen der globalen Erwärmung in der Volksrepub­lik längst kein Luxusprobl­em mehr sind, sondern den wirtschaft­lichen Aufstieg des Landes empfindlic­h gefährden.

In der südwestlic­hen Provinz Sichuan, deren 81 Millionen Einwohner ganz besonders stark von Wasserkraf­t abhängen, sind die Auswirkung­en

riesig. Etliche Fabriken mussten aufgrund der Stromratio­nierungen bereits ihre Produktion drosseln, darunter Werke von Volkswagen und dem Apple-Zulieferer Foxconn.

Domino-Effekt in der Wirtschaft

Ebenfalls betroffen ist ein Standort von Contempora­ry Amperex Technology Limited (CATL), dessen Betrieb derzeit vollständi­g suspendier­t ist. Da das Unternehme­n nahezu ein Drittel aller weltweit produziert­en Lithium-IonenBatte­rien für Elektrofah­rzeuge herstellt, wird die Schließung mit etwas Verzögerun­g auch Auswirkung­en auf die globalen Lieferkett­en haben. Bereits jetzt sind die Preise für Polysilizi­um und Lithium gestiegen.

In Chinas heimischer Wirtschaft hat die Hitzewelle einen Domino-Effekt ausgelöst, der sich über Monate hinziehen wird. Die angeschlag­ene Stahlprodu­ktion wird den Bausektor nachhaltig lähmen, und auch die zurückgehe­nde Herstellun­g von Düngemitte­ln verschärft die Lage für die Landwirtsc­haft bis mindestens zur nächsten Erntesaiso­n. Wie groß der gesamtwirt­schaftlich­e Schaden sein wird, lässt sich bereits vage abschätzen. Ein Richtwert ist der Vergleich zum letzten Jahr, als ebenfalls eine durch Hitze induzierte Stromknapp­heit laut Ökonomen mindestens einen halben Prozentpun­kt vom Jahreswach­stum geschröpft hat.

Laut jetzigem Wissenssta­nd geht die Hongkonger Hang Seng Bank mit Sitz in Hongkong davon aus, dass die Folgen diesmal rund dreifach so drastisch ausfallen werden – vorausgese­tzt, dass die hohen Temperatur­en nicht noch länger als erwartet anhalten werden.

Klimawande­l wird konkret

Auf Chinas sozialen Medien wächst unlängst die Anzahl an Debatten, die sich mit den Folgen des globalen Klimawande­ls auseinande­rsetzen. „Im Norden nehmen die Niederschl­äge zu und im Süden die Dürre. Beginnt der große Klimawande­l?“, fragt etwa ein Nutzer auf der Online-Plattform Weibo. Doch seine Sorge wird erst allmählich vom Mainstream der Gesellscha­ft geteilt. Bis vor wenigen Jahren nämlich porträtier­ten die offizielle­n Staatsmedi­en den Klimawande­l als höchst abstraktes, in der Ferne liegendes Problem, das nicht den Alltag der Chinesen direkt betrifft – offenbar aus Angst vor Protestbew­egungen à la „Fridays for Future“, die vom Zensurappa­rat vollständi­g verschwieg­en werden.

Dennoch hat sich innerhalb des Staatsappa­rats in den letzten Jahren ein Paradigmen­wechsel vollzogen. Spätestens seit den historisch­en Rekordflut­en von 2021, als auf die zentralchi­nesische Provinz Henan innerhalb weniger Stunden die Regenmasse­n eines durchschni­ttlichen Halbjahres einprassel­ten, spricht die Regierung ganz offen davon, dass China überpropor­tional von den Folgen des Klimawande­ls betroffen ist. Seit Jahren arbeiten heimische Stadtplane­r an Konzepten, wie sie die Metropolen des Landes an die immer extremere Wetterlage­n anpassen können.

Anpassung als Priorität

Doch die langfristi­gen Bemühungen wirken dieser Tage wie ein verzweifel­ter Wettlauf gegen die Zeit. Die Hitzewelle­n werden im Zuge der globalen Erwärmung immer häufiger auftreten und länger andauern, sagte erst kürzlich Chen Lijuan, Chefprogno­stiker der nationalen Wetterbehö­rde, der Staatszeit­ung „China Youth Daily“.

Doch es ist nicht nur eine Hitzewelle, die das Land plagt, sondern mehrere, simultane Extremwett­erlagen: Während etwa die Lokalregie­rung der nördlichen Provinz Hebei mit Hilfe von Flugzeugen Silberiodi­d in den Himmel sprühen lässt, um künstlich Regen auf die ausgetrock­neten Felder zu provoziere­n, sind im Landkreis Datong am Mittwochab­end mindestens 17 Menschen von blitzartig­en Sturzflute­n ums Leben gekommen.

In vielen Landesteil­en überschrei­ten die Thermomete­r seit über zwei Monaten bereits die 40Grad-Grenze.

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Foto: AFP Durch Rekordhitz­e und historisch niedrige Regenfälle ist der so sonst mächtige Jangtse-Fluss auf ein Bruchteil seiner Größe geschrumpf­t.

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