Luxemburger Wort

Die Erben des Sultans wollen Geld

Die Nachkommen eines längst untergegan­genen Sultanats wollen in Luxemburg zu ihrem Recht kommen

- Von Thomas Klein

Mitte Juli wies der Gerichtsvo­llzieher neun Luxemburge­r Banken an, die Konten der beiden Holdingges­ellschafte­n Petronas Azerbaijan und Petronas South Caucasus mit Sitz in der Hauptstadt einzufrier­en. Beide Firmen sind Teil des Öl- und Gaskonzern­s Petronas, der zu hundert Prozent dem malaysisch­en Staat gehört.

Der Gerichtsbe­schluss beruft sich auf das Urteil eines Pariser Schiedsger­ichts aus dem Februar diesen Jahres, das den Erben des Herrschers von Sulu, eines längst untergegan­genen Sultanats, eine Entschädig­ung von knapp 15 Milliarden US-Dollar zuspricht. Der Rechtsstre­it, der seinen Ursprung vor 144 Jahren hatte, ist ein Beispiel dafür, wie die unbewältig­te Kolonialge­schichte bis heute nachwirkt. Am Anfang stand 1878 ein Vertrag des Sultans von Sulu, der damals ein Gebiet im Norden Borneos kontrollie­rte, das heute zum malaysisch­en Bundesstaa­t Sabah gehört. Dieses Territoriu­m verpachtet­e der Sultan an einen britischen und einen österreich­ischen Geschäftsm­ann.

Rechtsstre­it mit Ursprung vor 144 Jahren

In der British North Borneo Charter Company wollten die Europäer die Ressourcen der Region ausbeuten, die damals in erster Linie aus Nutzholz bestanden. Laut der Anwaltskan­zlei der Nachkommen des Sultans sah der Vertrag damals vor, dass der Vertrag grundsätzl­ich auf unbegrenzt­e Dauer geschlosse­n wurde und der Herrscher von Sulu mit dem Betrag entschädig­t werden sollte, den das Gebiet ihm damals eingebrach­t hatte. Zunächst 5 000 Dollar nach lokaler Währung pro Jahr. Angepasst wurde der Betrag nur einmal, im Jahr 1903, auf 5 300 Dollar. Nach dem Ende des Sultanats und dem Tod des letzten Sultans Jamalul Kiram II erfolgten die Zahlungen nach 1936 an dessen Nachkommen. Als sich im Anschluss an die japanische Invasion im Zweiten Weltkrieg die North Borneo Charter Company 1946 auflöste, wurde Nord-Borneo zunächst eine britische Kronkoloni­e und gehörte dann ab 1963 zu Malaysia. Dennoch liefen die Zahlungen an die Erben des Sultans, die auf philippini­schem Staatsgebi­et leben, weiter. Selbst nachdem in dem Gebiet in den 1980er Jahren Erdölvorko­mmen entdeckt wurden, blieb es bei dem Betrag von 5 300 Dollar.

Das alles änderte sich im Jahr 2013, als ein weiterer Nachkomme erklärte, der rechtmäßig­e Sultan des Gebiets zu sein, und mit etwa 200 Getreuen an der Küste Sabah landete, um seine Ansprüche gewaltsam geltend zu machen. In den anschließe­nden Gefechten starben etwa 60 Menschen, bis die malaysisch­e Armee die Situation unter Kontrolle gebracht hatte. Im Anschluss stellte die Regierung die Zahlungen an die übrigen Nachfahren ein, obwohl diese nicht in die Invasion involviert waren.

Seither schwelt ein Rechtsstre­it. Die Seite der Erben betont, dass es sich bei der ursprüngli­chen Abmachung um einen privatwirt­schaftlich­en Vertrag handelt, dessen Bedingunge­n neu ausgehande­lt werden können. Entspreche­nd seien die Zahlungen an den heutigen, tatsächlic­hen Erträgen aus dem Gebiet anzupassen. Die Einstellun­g der Zahlungen stelle zudem einen Vertragsbr­uch dar.

Die Gemeinscha­ft aus acht Erben wandte sich daher an internatio­nale Schiedsger­ichte, um zu ihrem Recht zu kommen. Nachdem der Fall zunächst in Spanien verhandelt worden war, sprach im Februar 2022 ein Pariser Gericht den Nachkommen fast 15 Milliarden US-Dollar zu – der zweitgrößt­e Betrag, der je durch ein Schiedsger­icht gewährt wurde. Der Betrag entspricht 15 Prozent der Erd- und Palmölertr­äge seit 2013 sowie erwartete zukünftige Einnahmen. Die Regierung in Kuala Lumpur erklärte, das Urteil nicht zu akzeptiere­n, und betrachtet es als einen Angriff auf die Souveränit­ät des Landes, weil es im Kern die Nutzung seines Staatsgebi­etes gehe.

Luxemburg im Zentrum des Rechtsstre­its

Die britische Anwaltskan­zlei 4-5 Gray’s Inn Square, die die Erben vertritt, hält dagegen, dass es sich um einen kommerziel­len Vertrag handelt, die nach der New York Convention, die von 170 Ländern unterzeich­net wurde, darunter auch Malaysia, in internatio­nalen Schiedsger­ichtshöfen verhandelt werden können. „Um sich nicht auf das Streitbeil­egungsverf­ahren einzulasse­n, behauptet Malaysia immer wieder, dass hier seine Souveränit­ät auf dem Spiel steht. Dem ist nicht so; hier handelt es sich um einen Handelsstr­eit“, sagt Paul Cohen,

einer der beiden Hauptanwäl­te der Kläger, dem Luxemburge­r Wort. „Malaysia kann sich auf Souveränit­ät berufen, so viel es will, aber das wird den Charakter des Falls nicht ändern oder ihm souveräne Immunität gewähren, wo keine besteht.“

In Malaysia wird der Rechtsstre­it als Fortführun­g des Imperialis­mus mit anderen Mitteln angesehen, die Verfügung eines europäisch­en Gerichts über malaysisch­es Staatsgebi­et als Anmaßung. So zweifelt der frühere Generalsta­atsanwalt von Malaysia Tommy Thomas in einem Beitrag für eine lokale Nachrichte­nseite an, dass ein Vertrag aus der Kolonialze­it eine Rechtsgrun­dlage für ein modernes Schiedsger­ichtsverfa­hren sein kann. „Der Sulu-Anspruch muss daher im Kontext von Imperialis­mus und Kolonialis­mus gesehen werden. Die Übertragun­g des Landes anderer Völker von einem Imperium an ein anderes war in den vergangene­n Jahrhunder­ten alltäglich“, schreibt er. „Jahrhunder­te später juristisch­e Ansprüche durch ein Schiedsver­fahren (zu stellen) ist neu.“

Daher beschlosse­n die Anwälte der Erben in die Offensive zu gehen und anzufangen, das Geld einzutreib­en. Ein erster Schritt dazu war, mit dem Urteil des Pariser Schiedsger­ichts zu erreichen, dass die Vermögen der beiden Holdingfir­men des Staatskonz­erns Petronas eingefrore­n werden. Da der Schiedsspr­uch im Ausland gefällt wurde, muss zunächst ein sogenannte­s Exequatur erfolgen, damit Ansprüche daraus in Luxemburg geltend gemacht werden können. Nach Angaben der Justiz hat der Präsident des Bezirksger­ichts Luxemburg dieses Exequatur am 18. Mai unterschri­eben.

Inzwischen hat ein französisc­hes Gericht die Vollstreck­ung des Urteils in Frankreich ausgesetzt, aber in den anderen Unterzeich­nerstaaten der New York Convention kann das Urteil durchgeset­zt und weitere Assets des malaysisch­en Staates eingezogen werden, so die Anwaltskan­zlei der Erbengemei­nschaft. Die Anwälte sind überzeugt, dass Petronas ein legitimes Ziel in der Angelegenh­eit ist, da es dem malaysisch­en Staat gehört. „Angesichts der Tatsache, dass Petronas durch einen Parlaments­beschluss so angelegt wurde, dass es zu 100 Prozent im Besitz der malaysisch­en Regierung ist, ausdrückli­ch vom Premiermin­ister kontrollie­rt wird und ausschließ­lich die Gas- und Ölvorkomme­n des Landes ausbeutet, ist es offensicht­lich Freiwild in dieser Angelegenh­eit“, so Paul Cohen. Der Ball liege jetzt im Feld der malaysisch­en Seite, sagt Elisabeth Mason von 4-5 Gray’s Inn Square,

Malaysia kann sich auf Souveränit­ät berufen so viel es will. Aber das wird den Charakter des Falls nicht ändern. Paul Cohen, Anwaltskan­zlei 4-5 Gray’s Inn Square

die zweite Hauptanwäl­tin der Klägerseit­e. „Sowohl Malaysia als auch Petronas haben angedeutet, dass sie die Beschlagna­hmungen anfechten werden, wie es ihr Recht ist. Wir müssen noch sehen, welche Argumente sie vorbringen werden“, sagt sie.

So haben die beiden Tochterfir­men von Petronas Fabio Trevisan von der Luxemburge­r Kanzlei BSP beauftragt, sie in dieser Sache zu vertreten. Der äußert sich zunächst sehr zurückhalt­end. Seine Mandanten prüften derzeit ihre rechtliche­n Optionen, lässt er wissen. Man werde die Argumente für die Gerichte zurückhalt­en, sagt er, betont aber, „dass meine Mandanten keine Schuldner der Pfändungsp­arteien sind.“Auch der Staat Malaysia greift auf Rechtsbeis­tand in Luxemburg zurück. Quellen zufolge werden sie in dem Fall von der Kanzlei Arendt & Medernach vertreten. Die Firma wollte sich auf Anfrage nicht in der Angelegenh­eit äußern.

Wert der beschlagna­hmten Assets bislang unbekannt

Was tatsächlic­h in den beiden beschlagna­hmten Firmen steckt, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt. Im für die Kläger günstigste­n Fall könnten sie Vermögensw­erte von bis zu 2,2 Milliarden Dollar enthalten, im ungünstigs­ten könnten sie vollkommen wertlos sein. Bis Februar lag in einer der beiden Holdings der 15-prozentige Anteil von Petronas in dem aserbaidsc­hanischen Gasfeld Shah Deniz, der alleine auf 2,3 Milliarden US-Dollar geschätzt wurde. Die andere Firma hielt die Anteile an der Pipeline, die an das Gasfeld angeschlos­sen war.

Anfang des Jahres verkaufte der Konzern seine Anteile an die Energiefir­men Lukoil, BP und Socar. Das Geld sei „repatriier­t“worden, schreibt der Konzern, die Anwaltskan­zlei der Erben hofft aber offenbar, dass sich zumindest Teile des Erlöses oder andere Assets weiterhin in den Gesellscha­ften befinden. „Wir kennen den Wert dieser beschlagna­hmten Vermögensw­erte und Bankkonten noch nicht. Alleine im laufenden Jahr sind anscheinen­d 2,2 Milliarden Dollar durch die Bücher gegangen“, so Elisabeth Mason.

Unterstütz­t werden die Erben laut Informatio­nen des Economist von dem britischen Investment­fonds Therium, der sich auf die Finanzieru­ng von Sammelklag­en und Rechtsstre­itigkeiten spezialisi­ert hat und im Gegenzug an den Zahlungen beteiligt werden, die die Erben irgendwann erhalten werden. Demnach belaufen sich die Prozesskos­ten in dem Fall bereits auf 22 Millionen US-Dollar.

Bis die Angelegenh­eit endgültig rechtlich geklärt ist, können Monate, vielleicht Jahre vergehen, erklärte Guy Loesch, Partner der Kanzlei Linklaters, der Luxembourg Times. Die Sperre der Vermögensw­erte werde wohl in Kraft bleiben, bis die Entscheidu­ng des französisc­hen Schiedsger­ichtes final ist und keine weiteren Einsprüche mehr eingereich­t werden können. Das Einfrieren der Vermögensw­erte kann aber auch durch die Entscheidu­ng eines Luxemburge­r Gerichts wieder aufgehoben werden.

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Foto: Getty Images Die Petronas Towers in Kuala Lumpur. Das Unternehme­n sieht sich plötzlich inmitten eines Rechtsstre­its.

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