Die Erben des Sultans wollen Geld
Die Nachkommen eines längst untergegangenen Sultanats wollen in Luxemburg zu ihrem Recht kommen
Mitte Juli wies der Gerichtsvollzieher neun Luxemburger Banken an, die Konten der beiden Holdinggesellschaften Petronas Azerbaijan und Petronas South Caucasus mit Sitz in der Hauptstadt einzufrieren. Beide Firmen sind Teil des Öl- und Gaskonzerns Petronas, der zu hundert Prozent dem malaysischen Staat gehört.
Der Gerichtsbeschluss beruft sich auf das Urteil eines Pariser Schiedsgerichts aus dem Februar diesen Jahres, das den Erben des Herrschers von Sulu, eines längst untergegangenen Sultanats, eine Entschädigung von knapp 15 Milliarden US-Dollar zuspricht. Der Rechtsstreit, der seinen Ursprung vor 144 Jahren hatte, ist ein Beispiel dafür, wie die unbewältigte Kolonialgeschichte bis heute nachwirkt. Am Anfang stand 1878 ein Vertrag des Sultans von Sulu, der damals ein Gebiet im Norden Borneos kontrollierte, das heute zum malaysischen Bundesstaat Sabah gehört. Dieses Territorium verpachtete der Sultan an einen britischen und einen österreichischen Geschäftsmann.
Rechtsstreit mit Ursprung vor 144 Jahren
In der British North Borneo Charter Company wollten die Europäer die Ressourcen der Region ausbeuten, die damals in erster Linie aus Nutzholz bestanden. Laut der Anwaltskanzlei der Nachkommen des Sultans sah der Vertrag damals vor, dass der Vertrag grundsätzlich auf unbegrenzte Dauer geschlossen wurde und der Herrscher von Sulu mit dem Betrag entschädigt werden sollte, den das Gebiet ihm damals eingebracht hatte. Zunächst 5 000 Dollar nach lokaler Währung pro Jahr. Angepasst wurde der Betrag nur einmal, im Jahr 1903, auf 5 300 Dollar. Nach dem Ende des Sultanats und dem Tod des letzten Sultans Jamalul Kiram II erfolgten die Zahlungen nach 1936 an dessen Nachkommen. Als sich im Anschluss an die japanische Invasion im Zweiten Weltkrieg die North Borneo Charter Company 1946 auflöste, wurde Nord-Borneo zunächst eine britische Kronkolonie und gehörte dann ab 1963 zu Malaysia. Dennoch liefen die Zahlungen an die Erben des Sultans, die auf philippinischem Staatsgebiet leben, weiter. Selbst nachdem in dem Gebiet in den 1980er Jahren Erdölvorkommen entdeckt wurden, blieb es bei dem Betrag von 5 300 Dollar.
Das alles änderte sich im Jahr 2013, als ein weiterer Nachkomme erklärte, der rechtmäßige Sultan des Gebiets zu sein, und mit etwa 200 Getreuen an der Küste Sabah landete, um seine Ansprüche gewaltsam geltend zu machen. In den anschließenden Gefechten starben etwa 60 Menschen, bis die malaysische Armee die Situation unter Kontrolle gebracht hatte. Im Anschluss stellte die Regierung die Zahlungen an die übrigen Nachfahren ein, obwohl diese nicht in die Invasion involviert waren.
Seither schwelt ein Rechtsstreit. Die Seite der Erben betont, dass es sich bei der ursprünglichen Abmachung um einen privatwirtschaftlichen Vertrag handelt, dessen Bedingungen neu ausgehandelt werden können. Entsprechend seien die Zahlungen an den heutigen, tatsächlichen Erträgen aus dem Gebiet anzupassen. Die Einstellung der Zahlungen stelle zudem einen Vertragsbruch dar.
Die Gemeinschaft aus acht Erben wandte sich daher an internationale Schiedsgerichte, um zu ihrem Recht zu kommen. Nachdem der Fall zunächst in Spanien verhandelt worden war, sprach im Februar 2022 ein Pariser Gericht den Nachkommen fast 15 Milliarden US-Dollar zu – der zweitgrößte Betrag, der je durch ein Schiedsgericht gewährt wurde. Der Betrag entspricht 15 Prozent der Erd- und Palmölerträge seit 2013 sowie erwartete zukünftige Einnahmen. Die Regierung in Kuala Lumpur erklärte, das Urteil nicht zu akzeptieren, und betrachtet es als einen Angriff auf die Souveränität des Landes, weil es im Kern die Nutzung seines Staatsgebietes gehe.
Luxemburg im Zentrum des Rechtsstreits
Die britische Anwaltskanzlei 4-5 Gray’s Inn Square, die die Erben vertritt, hält dagegen, dass es sich um einen kommerziellen Vertrag handelt, die nach der New York Convention, die von 170 Ländern unterzeichnet wurde, darunter auch Malaysia, in internationalen Schiedsgerichtshöfen verhandelt werden können. „Um sich nicht auf das Streitbeilegungsverfahren einzulassen, behauptet Malaysia immer wieder, dass hier seine Souveränität auf dem Spiel steht. Dem ist nicht so; hier handelt es sich um einen Handelsstreit“, sagt Paul Cohen,
einer der beiden Hauptanwälte der Kläger, dem Luxemburger Wort. „Malaysia kann sich auf Souveränität berufen, so viel es will, aber das wird den Charakter des Falls nicht ändern oder ihm souveräne Immunität gewähren, wo keine besteht.“
In Malaysia wird der Rechtsstreit als Fortführung des Imperialismus mit anderen Mitteln angesehen, die Verfügung eines europäischen Gerichts über malaysisches Staatsgebiet als Anmaßung. So zweifelt der frühere Generalstaatsanwalt von Malaysia Tommy Thomas in einem Beitrag für eine lokale Nachrichtenseite an, dass ein Vertrag aus der Kolonialzeit eine Rechtsgrundlage für ein modernes Schiedsgerichtsverfahren sein kann. „Der Sulu-Anspruch muss daher im Kontext von Imperialismus und Kolonialismus gesehen werden. Die Übertragung des Landes anderer Völker von einem Imperium an ein anderes war in den vergangenen Jahrhunderten alltäglich“, schreibt er. „Jahrhunderte später juristische Ansprüche durch ein Schiedsverfahren (zu stellen) ist neu.“
Daher beschlossen die Anwälte der Erben in die Offensive zu gehen und anzufangen, das Geld einzutreiben. Ein erster Schritt dazu war, mit dem Urteil des Pariser Schiedsgerichts zu erreichen, dass die Vermögen der beiden Holdingfirmen des Staatskonzerns Petronas eingefroren werden. Da der Schiedsspruch im Ausland gefällt wurde, muss zunächst ein sogenanntes Exequatur erfolgen, damit Ansprüche daraus in Luxemburg geltend gemacht werden können. Nach Angaben der Justiz hat der Präsident des Bezirksgerichts Luxemburg dieses Exequatur am 18. Mai unterschrieben.
Inzwischen hat ein französisches Gericht die Vollstreckung des Urteils in Frankreich ausgesetzt, aber in den anderen Unterzeichnerstaaten der New York Convention kann das Urteil durchgesetzt und weitere Assets des malaysischen Staates eingezogen werden, so die Anwaltskanzlei der Erbengemeinschaft. Die Anwälte sind überzeugt, dass Petronas ein legitimes Ziel in der Angelegenheit ist, da es dem malaysischen Staat gehört. „Angesichts der Tatsache, dass Petronas durch einen Parlamentsbeschluss so angelegt wurde, dass es zu 100 Prozent im Besitz der malaysischen Regierung ist, ausdrücklich vom Premierminister kontrolliert wird und ausschließlich die Gas- und Ölvorkommen des Landes ausbeutet, ist es offensichtlich Freiwild in dieser Angelegenheit“, so Paul Cohen. Der Ball liege jetzt im Feld der malaysischen Seite, sagt Elisabeth Mason von 4-5 Gray’s Inn Square,
Malaysia kann sich auf Souveränität berufen so viel es will. Aber das wird den Charakter des Falls nicht ändern. Paul Cohen, Anwaltskanzlei 4-5 Gray’s Inn Square
die zweite Hauptanwältin der Klägerseite. „Sowohl Malaysia als auch Petronas haben angedeutet, dass sie die Beschlagnahmungen anfechten werden, wie es ihr Recht ist. Wir müssen noch sehen, welche Argumente sie vorbringen werden“, sagt sie.
So haben die beiden Tochterfirmen von Petronas Fabio Trevisan von der Luxemburger Kanzlei BSP beauftragt, sie in dieser Sache zu vertreten. Der äußert sich zunächst sehr zurückhaltend. Seine Mandanten prüften derzeit ihre rechtlichen Optionen, lässt er wissen. Man werde die Argumente für die Gerichte zurückhalten, sagt er, betont aber, „dass meine Mandanten keine Schuldner der Pfändungsparteien sind.“Auch der Staat Malaysia greift auf Rechtsbeistand in Luxemburg zurück. Quellen zufolge werden sie in dem Fall von der Kanzlei Arendt & Medernach vertreten. Die Firma wollte sich auf Anfrage nicht in der Angelegenheit äußern.
Wert der beschlagnahmten Assets bislang unbekannt
Was tatsächlich in den beiden beschlagnahmten Firmen steckt, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt. Im für die Kläger günstigsten Fall könnten sie Vermögenswerte von bis zu 2,2 Milliarden Dollar enthalten, im ungünstigsten könnten sie vollkommen wertlos sein. Bis Februar lag in einer der beiden Holdings der 15-prozentige Anteil von Petronas in dem aserbaidschanischen Gasfeld Shah Deniz, der alleine auf 2,3 Milliarden US-Dollar geschätzt wurde. Die andere Firma hielt die Anteile an der Pipeline, die an das Gasfeld angeschlossen war.
Anfang des Jahres verkaufte der Konzern seine Anteile an die Energiefirmen Lukoil, BP und Socar. Das Geld sei „repatriiert“worden, schreibt der Konzern, die Anwaltskanzlei der Erben hofft aber offenbar, dass sich zumindest Teile des Erlöses oder andere Assets weiterhin in den Gesellschaften befinden. „Wir kennen den Wert dieser beschlagnahmten Vermögenswerte und Bankkonten noch nicht. Alleine im laufenden Jahr sind anscheinend 2,2 Milliarden Dollar durch die Bücher gegangen“, so Elisabeth Mason.
Unterstützt werden die Erben laut Informationen des Economist von dem britischen Investmentfonds Therium, der sich auf die Finanzierung von Sammelklagen und Rechtsstreitigkeiten spezialisiert hat und im Gegenzug an den Zahlungen beteiligt werden, die die Erben irgendwann erhalten werden. Demnach belaufen sich die Prozesskosten in dem Fall bereits auf 22 Millionen US-Dollar.
Bis die Angelegenheit endgültig rechtlich geklärt ist, können Monate, vielleicht Jahre vergehen, erklärte Guy Loesch, Partner der Kanzlei Linklaters, der Luxembourg Times. Die Sperre der Vermögenswerte werde wohl in Kraft bleiben, bis die Entscheidung des französischen Schiedsgerichtes final ist und keine weiteren Einsprüche mehr eingereicht werden können. Das Einfrieren der Vermögenswerte kann aber auch durch die Entscheidung eines Luxemburger Gerichts wieder aufgehoben werden.