Zehn EM-Geschichten
Ein Blick auf die besonderen Charaktere bei den European Championships
Die European Championships in München sind vorbei, und die Ausbeute der Luxemburger Delegation kann sich sehen lassen. Neben der Bronzemedaille für Sarah De Nutte und Ni Xia Lian im Tischtennis-Doppel erzielten die Athletinnen und Athleten aus dem Großherzogtum an den elf Wettkampftagen viele gute Resultate.
Doch nicht nur die zählbaren Erfolge sind eine Erwähnung wert. Einige Sportlerinnen und Sportler, aber auch die Menschen in ihrem Umfeld, haben in Bayerns Hauptstadt auf vielfältige Art und Weise auf sich aufmerksam gemacht.
Die Beeindruckende
Ni Xia Lian ist es gewohnt, im Rampenlicht zu stehen. Die gebürtige Chinesin blickt auf eine äußerst erfolgreiche Karriere mit großen Titeln zurück. Doch oftmals wird in den Schlagzeilen hervorgehoben, dass Ni im kommenden Jahr ihren 60. Geburtstag feiert. Dass es außergewöhnlich ist, wenn man in diesem Alter noch in der erweiterten Weltspitze unterwegs ist, steht außer Frage. Doch ganz unabhängig davon beeindruckte die Luxemburgerin in München. Sie war einfach verdammt gut. Im Doppel verpasste sie das Endspiel nur knapp, im Einzel hätte sie fast das Viertelfinale erreicht. Egal in welchem Alter: Vor dieser Leistung kann man nur den Hut ziehen.
Der Pechvogel
Colin Heiderscheid hatte sich viel vorgenommen. Als SensationsLandesmeister war der 24 Jahre alte Radsportler zur EM gereist. An seiner Seite hatte er Cédric Pries, dessen Aufgabe es war, beim Straßenrennen der Männer Heiderscheids Sprint vorzubereiten. Der rote Teppich war also ausgelegt. Dass am Ende Pries ins Rampenlicht fahren durfte, lag am Pech seines Teamkollegen. Kurz vor dem Ziel rutschte Heiderscheid mit dem Hinterrad weg und stürzte. Dabei wurde sogar das Rad beschädigt. Offenbar war der Luxemburger nach dem Rennen so angefressen, dass er sein Gefährt von sich warf. Obwohl Unglück im Sport dazugehört: Bei diesem Wettkampf war für Colin Heiderscheid mehr drin.
Der Erfolgsgarant
Arnaud Starck steht nicht im Rampenlicht. Heimlich, still und leise formte der Sprinttrainer des nationalen Leichtathletikverbandes zwei junge Läuferinnen zu etablierten EM-Athletinnen. Spricht man über die rasante Entwicklung von Patrizia van der Weken und Victoria Rausch, dann kommt man am 42 Jahre alten Franzosen nicht vorbei. Dass die beiden jungen Leichtathletinnen nun in München jeweils das Halbfinale erreichten und sich damit in der internationalen Klasse etablierten, daran hat Starck einen großen Anteil. Trägt die Zusammenarbeit weiterhin solche Früchte, können sich die Luxemburger Leichtathletikfans bereits auf die nächsten Erfolge freuen.
Der Enttäuschte
Mathis Kayser war der einzige Luxemburger Turner, der beim EMWettbewerb im Junioren-Mehrkampf zwei Sprünge absolvierte. Der 16-Jährige wollte sich die Chancen auf das Gerätefinale bewahren. Denn Kayser ist trotz seines jungen Alters bereits in der Lage, einen rauszuhauen. An einem guten Tag ist er in seiner Lieblingsdisziplin auf Augenhöhe mit den Besten seines Alters. Der vergangene Freitag in München war leider nicht so sein Tag. Der Luxemburger verpatzte die Landung seines ersten Versuchs und stürzte. Sichtlich enttäuscht saß er anschließend bei seinen Teamkollegen und starrte ins Leere. Kayser hat noch seine ganze Karriere vor sich, doch in der Olympiahalle hatte er sich dennoch mehr erhofft.
Der Entspannte
Heinz Thews ist es gewohnt, bei großen Sportveranstaltungen mit Luxemburger Beteiligung rund um die Uhr im Einsatz zu sein. Als Technischer Direktor des nationalen olympischen Komitees (COSL) war Thews über viele Jahre der Ansprechpartner Nummer eins. Doch nun, bei den European Championships in München, hatte er eine andere Rolle. Während
Trotz Bauchschmerzen quält sich die Triathletin Jeanne Lehair durch den Olympiapark.
Mentaltrainer Frank Muller fiebert auch auf der Tribüne mit.
Dario Maksimovic startet bereits seit vier Jahren im Kanadier für Luxemburg. Auch in München ist er dabei.
Tessy Gonderinger schreibt bei den European Championships eine kuriose Geschichte.
Thews' COSL-Nachfolger Raymond Conzemius mit den Athleten unterwegs war, weilte sein Vorgänger als Mitglied der FLTTDelegation vor allem in der Tischtennishalle – und konnte die Wettkämpfe dort vermutlich auf eine entspanntere Art und Weise genießen.
Die Kämpferin
Jeanne Lehair wollte mehr. Als Achte der Sprint-WM in Montreal hatte die Triathletin, die ab November für Luxemburg starten wird, in München eine gute Platzierung angepeilt. Doch Bauchschmerzen machten nicht nur diesen Plan zunichte, sondern bereiteten der 26-Jährigen im Olympiapark ein äußerst qualvolles Rennen. Vielleicht wäre sie zum Abschluss auf den anspruchsvollen und hügeligen Laufkurs ohne die Unterstützung ihrer Familie und der zahlreichen Zuschauer am Streckenrand gar nicht bis ins Ziel gekommen. Dass sie am Ende nur 40. wurde, war Lehair vermutlich herzlich egal.
Der Zuhörer
Frank Muller stand oftmals nur daneben, doch verstecken konnte er sich wegen seiner Körpergröße nicht. Der ehemalige BasketballNationalspieler war bei den European Championships als Sportpsychologe und Mentaltrainer im Einsatz. Muller stand allen Delegationen zur Verfügung. Vor allem für die jungen Sportler war sein Rat vermutlich Gold wert. Doch Muller unterstützte nicht nur im Gespräch unter vier Augen, auch auf der Tribüne gab der 34-Jährige alles.
Der Glückspilz
Tessy Gonderinger hätte das Spiel auch einfach abhaken können. Bei sieben Matchbällen für ihre Gegnerin Martine Toftaker war ziemlich klar gewesen, dass die Luxemburgerin die Partie nicht gewinnen würde. Doch Gonderinger machte noch zwei Punkte, ehe sie der Norwegerin gratulieren musste. Zum Glück. Denn am Ende qualifizierte sich Gonderinger für die nächste Runde, weil sie einen einzigen Ballwechsel mehr gewonnen hatte als Toftaker. Es war vermutlich die knappste Entscheidung über Weiterkommen oder Ausscheiden bei dieser Tischtennis-EM. Die glückliche Gonderinger hatte, wie sie sagte, so etwas selbst noch nie erlebt.
Der Coole
Ronan Foley war mit 16 Jahren einer der jüngsten Sportler bei den European Championships. Dass der Turner von der Kulisse in der Olympiahalle beeindruckt war, liegt demnach auf der Hand. Die Art und Weise, wie er mit seiner Nervosität umging, gefiel aber nicht nur den Luxemburger Fans auf den Rängen. Foley stand beim Einlauf der Teams nicht etwa schüchtern da, sondern schob die Brust raus und zeigte mit seiner Körpersprache, dass er richtig Lust auf diesen Wettkampf hat. Das sei eben seine Art, mit der Anspannung umzugehen, verriet der junge Athlet grinsend.
Der Unbekannte
Dario Maksimovic hatte fast keiner auf der Rechnung. Auch die Verantwortlichen beim Luxemburger Kanu-Verband waren offenbar nicht auf die Idee gekommen, die Allgemeinheit darüber zu informieren, dass sie einen Athleten bei der EM am Start haben. Doch der 33-Jährige startete – und schob seinen Einer-Kanadier mit der Luxemburger Flagge nach 200 Metern über die Ziellinie. Auch wenn der gebürtige Bosnier nicht vorne mit dabei war, so sorgte er doch dafür, dass auch auf der Regatta-Strecke im Norden Münchens ein Sportler aus dem Großherzogtum begrüßt wurde.
Leitartikel, Seite 3
Heimlich, still und leise formte der Sprinttrainer zwei junge Läuferinnen zu etablierten EMAthletinnen.