Putins geopolitische Straßenrauferei
Russlands Präsident hat seine Ziele mehrfach geändert, die Ukraine ist keineswegs sein Hauptgegner
Straßenrowdy, der mit seinen Kumpanen ehrbare Bürger mit der Forderung nach einer Zigarette angeht und sie je nach Widerstand ausraubt und zusammenschlägt.
Militärisch scheint er mit den Ukrainern an die Falschen geraten zu sein. Aber für Putin hat die große Straßenrauferei erst begonnen, in mehreren Dimensionen: Für Russlands Rohstoffexportwirtschaft brachte der Konflikt überraschend positive Nebenwirkungen, etwa explodierende Gaspreise. Die erlauben es jetzt, Europa den Gashahn immer mehr zuzudrehen, ohne dass die eigenen Einnahmen dabei zusammenbrechen. Auch wenn 85 Prozent der russischen Streitkräfte in ukrainischen Schützengräben festsitzen, Putins Gefolge hofft schon lautstark auf den bevorstehenden westeuropäischen Winter. Die EU-Bürger gelten ihr als eher nervenschwache Weichlinge, die sich leicht einschüchtern lassen. Und schon vergangenen Dezember hatte Moskau die USA ultimativ aufgefordert, ihre Atomwaffen komplett aus Europa abzuziehen – der schlichte Anspruch Putins, dort neuer Hegemon zu werden.
Das US-Journal „Foreign Policy“meldete kürzlich, Russland plane für 2023 eine große Offensive gegen Odessa, um die Ukraine endgültig vom Schwarzen Meer abzuschneiden. Sehr ungewiss, ob Putins Streitmacht dazu in der Lage sein wird. Aber für den Mann im Kreml wäre es ohnehin nur ein Zwischenziel. Endziel offen. Auch wenn ein Großteil der Russen diesen Krieg am liebsten vergessen würde, Wladimir Putin strotzt weiter vor Euphorie.