So kann Transformation gelingen
Die Schauen von „MinettREMIX“in Düdelingen zeigen, wie wichtig der Mensch und die Beteiligung im Minett ist
Das Gurren der Tauben schallt durch die Halle. Kühl ist es in den Düdelinger Bauten, in denen einst harte, schweißtreibende Arbeit geleistet wurde – und die oft nur noch den Schatten ihrer selbst darstellen. „Einst“ist das Stichwort: Wie geht man mit den Brachen des früheren industriellen Motorherzens des Südens um? Und genau das ist eine Facette der Ausstellung, die noch bis zum 31. Oktober in und um die Hall Fondouq in Düdelingen läuft.
Unter dem weit sichtbar und vor Ort generell gut ausgeschilderten Projekt mit dem Namen „MinettREMIX“im Rahmen von Esch 2022 ist an sich nicht eine einzige klassische Ausstellung zu verstehen. Vielmehr ist es eine dichte Ansammlung aus Netzwerkfäden und möglichen Ansatzpunkten rund um die 2019 geschaffene Asbl Industriekultur-CNCI (Centre national de la culture industrielle) und ihren Partnern. Quasi eine Art Sammelbecken, sozusagen ein Reinschnuppern in das, was so ein Centre National einmal leisten könnte.
Und gleichsam legt dieser „Remix“Grundbausteine dar, aus welchen Perspektiven weiter gearbeitet werden könnte.
Was heißt das konkret? Zunächst einmal ist der Standort an sich schon ein Statement. Die Halle am wachsenden Quartier NeiSchmelz ist Teil eines Hunderte Millionen schweren Transformationsprozesses. Es geht für die einen um die Weiterentwicklung in eine neue Zeit; für die anderen um die Gentrifizierung – sprich (so erklärt es der Duden) die „Aufwertung eines Stadtteils durch dessen Sanierung oder Umbau mit der Folge, dass die dort ansässige Bevölkerung durch wohlhabendere Bevölkerungsschichten verdrängt wird“.
Aber genau der Eindruck der Verdrängung macht gerade Düdelingen (noch) nicht. Oder auch das Netzwerk, das das Industriekultur-CNCI in den Fokus rückt. Vielmehr ist es die Ermächtigung der Kreativen und denen, die nach neuen Perspektiven suchen, ihre Stempel zumindest so gut wie möglich in den allmählich konkreter werdenden Gestaltungsprozess mitzugeben.
Mehr Kreativität wagen
Die Frage kommt dank der Schau auf: Was würde passieren, wenn einmal nicht Promoteure ihre Maßstäbe anlegen, sondern diese Menschen, die sich zum Teil seit Jahrzehnten in Kenntnis der lokalen Identitäten, Traditionslinien und Wünschen bereits getan haben? Was kann ein neues Viertel, das aus und mit den Brachen entsteht, mit vielen Ideen beleben und was ist an überraschenden Lösungen im Sinne der Quartiersgemeinschaft und der Kommune möglich?
So ist insbesondere der Fokus in der Hall Fondouq erst einmal, diese Bezugslinien und die Aufbruchstimmung deutlicher zu machen – und die Initiativen wie DKollektiv oder das FerroForum für viele sicher erstmalig vorzustellen.
Daneben verweist das Team in Grundzügen unter anderem auf die Weiterentwicklung der zum Kulturhauptstadtjahr 2007 stark rezipierten Schau „Retour de Babel“. Diese fand damals am gleichen Standort statt – und ihre nicht minder aktuellen Fragen um die Identitäten und Wurzeln der Minettregion sollen ab dem 17. September in den Düdelinger Stadtgalerien parallel weitergeführt werden. Nicht zuletzt werfen Schautafeln erste Züge des Buchprojekts „Paysage de Fer“von Jean Goeder, Antoinette Lorang und Jacques Maas auf.
Der Blickwinkel macht es aus
Vor den Türen der Hall Fondouq macht die Architektenkammer OAI auf den Wettbewerb zu den leider noch nicht komplett fertiggestellten Unterkünften des neuen Wanderwegs Minett Trail aufmerksam – und das zeigt, was Kreativität im Kleinen erreichen kann. Und was es bedeutet, wenn Ideen erst einmal in den Wettstreit gehen und darüber diskutiert wird; nicht nur aus fachlicher Sicht.
Der spannendste Teil ist allerdings die in der Aciérie nebenan ausgestellte historische Aufarbeitung rund um die Frauen des Minett von Marie-Paule Jungblut. Der im Museumsbereich seit Jahrzehnten erfahrenen Spezialistin gelingt mit einer als ABC aufgeteilten Szenografie (im Schulterschluss mit dem Designer Thomas Ebersbach) eine wunderbar unterhaltende und gleichsam lehrreiche Schwerpunktsetzung. Nein, es sind eben nicht nur die rußgeschwärzten malochenden Männer, die die Identität der Region mitgeprägt und gestaltet haben. Sondern Frauen haben einen nicht minder wichtigen Anteil in vielerlei Belangen geleistet. Anhand einzelner Beispiele von Frauen, der Schilderung aus dicht versammelten historischen Quellen und der gedanklichen Gegenüberstellung von Gestern und Heute wird ein überraschendes Portfolio deutlich, das so bisher selten zu sehen war.
Das ist insgesamt ein ganz schönes Dickicht sehr unterschiedlicher Perspektiven, die alle erst einmal eine Art Anspruch formulieren: Sie fordern vom Zuschauer, wahrgenommen zu werden. Und sie suchen nach dem Menschlichen jenseits aller anderen Kategorien – und damit ist das ein Ansatzpunkt auch zur Frage: Wann ist eine Transformation auf breiter Basis menschengerecht? Auch wenn die vorgelegten Lösungen und Blickwinkel dann zum Teil Mühe machen, ist das ein echter Wert. Wer diese Schau(-en) besucht, sollte daher unbedingt mit dem dauerpräsenten Team im Vorfeld Kontakt aufnehmen, eine Führung mitmachen oder bei einem spontanen Besuch das Gesprächsangebot oder die Workshops annehmen. Das erleichtert, sich zurechtzufinden und individuelle Fragen und Interessen zu vertiefen.
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