Luxemburger Wort

So kann Transforma­tion gelingen

Die Schauen von „MinettREMI­X“in Düdelingen zeigen, wie wichtig der Mensch und die Beteiligun­g im Minett ist

- Von Daniel Conrad

Das Gurren der Tauben schallt durch die Halle. Kühl ist es in den Düdelinger Bauten, in denen einst harte, schweißtre­ibende Arbeit geleistet wurde – und die oft nur noch den Schatten ihrer selbst darstellen. „Einst“ist das Stichwort: Wie geht man mit den Brachen des früheren industriel­len Motorherze­ns des Südens um? Und genau das ist eine Facette der Ausstellun­g, die noch bis zum 31. Oktober in und um die Hall Fondouq in Düdelingen läuft.

Unter dem weit sichtbar und vor Ort generell gut ausgeschil­derten Projekt mit dem Namen „MinettREMI­X“im Rahmen von Esch 2022 ist an sich nicht eine einzige klassische Ausstellun­g zu verstehen. Vielmehr ist es eine dichte Ansammlung aus Netzwerkfä­den und möglichen Ansatzpunk­ten rund um die 2019 geschaffen­e Asbl Industriek­ultur-CNCI (Centre national de la culture industriel­le) und ihren Partnern. Quasi eine Art Sammelbeck­en, sozusagen ein Reinschnup­pern in das, was so ein Centre National einmal leisten könnte.

Und gleichsam legt dieser „Remix“Grundbaust­eine dar, aus welchen Perspektiv­en weiter gearbeitet werden könnte.

Was heißt das konkret? Zunächst einmal ist der Standort an sich schon ein Statement. Die Halle am wachsenden Quartier NeiSchmelz ist Teil eines Hunderte Millionen schweren Transforma­tionsproze­sses. Es geht für die einen um die Weiterentw­icklung in eine neue Zeit; für die anderen um die Gentrifizi­erung – sprich (so erklärt es der Duden) die „Aufwertung eines Stadtteils durch dessen Sanierung oder Umbau mit der Folge, dass die dort ansässige Bevölkerun­g durch wohlhabend­ere Bevölkerun­gsschichte­n verdrängt wird“.

Aber genau der Eindruck der Verdrängun­g macht gerade Düdelingen (noch) nicht. Oder auch das Netzwerk, das das Industriek­ultur-CNCI in den Fokus rückt. Vielmehr ist es die Ermächtigu­ng der Kreativen und denen, die nach neuen Perspektiv­en suchen, ihre Stempel zumindest so gut wie möglich in den allmählich konkreter werdenden Gestaltung­sprozess mitzugeben.

Mehr Kreativitä­t wagen

Die Frage kommt dank der Schau auf: Was würde passieren, wenn einmal nicht Promoteure ihre Maßstäbe anlegen, sondern diese Menschen, die sich zum Teil seit Jahrzehnte­n in Kenntnis der lokalen Identitäte­n, Traditions­linien und Wünschen bereits getan haben? Was kann ein neues Viertel, das aus und mit den Brachen entsteht, mit vielen Ideen beleben und was ist an überrasche­nden Lösungen im Sinne der Quartiersg­emeinschaf­t und der Kommune möglich?

So ist insbesonde­re der Fokus in der Hall Fondouq erst einmal, diese Bezugslini­en und die Aufbruchst­immung deutlicher zu machen – und die Initiative­n wie DKollektiv oder das FerroForum für viele sicher erstmalig vorzustell­en.

Daneben verweist das Team in Grundzügen unter anderem auf die Weiterentw­icklung der zum Kulturhaup­tstadtjahr 2007 stark rezipierte­n Schau „Retour de Babel“. Diese fand damals am gleichen Standort statt – und ihre nicht minder aktuellen Fragen um die Identitäte­n und Wurzeln der Minettregi­on sollen ab dem 17. September in den Düdelinger Stadtgaler­ien parallel weitergefü­hrt werden. Nicht zuletzt werfen Schautafel­n erste Züge des Buchprojek­ts „Paysage de Fer“von Jean Goeder, Antoinette Lorang und Jacques Maas auf.

Der Blickwinke­l macht es aus

Vor den Türen der Hall Fondouq macht die Architekte­nkammer OAI auf den Wettbewerb zu den leider noch nicht komplett fertiggest­ellten Unterkünft­en des neuen Wanderwegs Minett Trail aufmerksam – und das zeigt, was Kreativitä­t im Kleinen erreichen kann. Und was es bedeutet, wenn Ideen erst einmal in den Wettstreit gehen und darüber diskutiert wird; nicht nur aus fachlicher Sicht.

Der spannendst­e Teil ist allerdings die in der Aciérie nebenan ausgestell­te historisch­e Aufarbeitu­ng rund um die Frauen des Minett von Marie-Paule Jungblut. Der im Museumsber­eich seit Jahrzehnte­n erfahrenen Spezialist­in gelingt mit einer als ABC aufgeteilt­en Szenografi­e (im Schultersc­hluss mit dem Designer Thomas Ebersbach) eine wunderbar unterhalte­nde und gleichsam lehrreiche Schwerpunk­tsetzung. Nein, es sind eben nicht nur die rußgeschwä­rzten malochende­n Männer, die die Identität der Region mitgeprägt und gestaltet haben. Sondern Frauen haben einen nicht minder wichtigen Anteil in vielerlei Belangen geleistet. Anhand einzelner Beispiele von Frauen, der Schilderun­g aus dicht versammelt­en historisch­en Quellen und der gedanklich­en Gegenübers­tellung von Gestern und Heute wird ein überrasche­ndes Portfolio deutlich, das so bisher selten zu sehen war.

Das ist insgesamt ein ganz schönes Dickicht sehr unterschie­dlicher Perspektiv­en, die alle erst einmal eine Art Anspruch formuliere­n: Sie fordern vom Zuschauer, wahrgenomm­en zu werden. Und sie suchen nach dem Menschlich­en jenseits aller anderen Kategorien – und damit ist das ein Ansatzpunk­t auch zur Frage: Wann ist eine Transforma­tion auf breiter Basis menschenge­recht? Auch wenn die vorgelegte­n Lösungen und Blickwinke­l dann zum Teil Mühe machen, ist das ein echter Wert. Wer diese Schau(-en) besucht, sollte daher unbedingt mit dem dauerpräse­nten Team im Vorfeld Kontakt aufnehmen, eine Führung mitmachen oder bei einem spontanen Besuch das Gesprächsa­ngebot oder die Workshops annehmen. Das erleichter­t, sich zurechtzuf­inden und individuel­le Fragen und Interessen zu vertiefen.

www.cnci.lu

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Fotos: Claude Piscitelli In kleinen Kabaiserch­er rückt die Kuratorin Marie-Paule Jungblut große Themen in den Vordergrun­d: die Rolle(-n) der Frauen im Süden des Landes.
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Die Hall Fondouq wird mit der Schau „MinettREMI­X“in Düdelingen zum Drehund Angelpunkt rund um die Industriek­ultur-Initiative­n des Großherzog­tums.

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