Luxemburger Wort

„Eine umstritten­e Situation“

Wie Afrika mit dem Ukraine-Krieg und dessen Folgen umgeht

- Von Marc Schlammes

Afrika leidet Hunger. Wieder einmal. Besonders betroffen sind das Horn von Afrika und die SahelZone. Schuld daran ist zum einen das Klima mit anhaltende­r Hitze, Dürre und akutem Wassermang­el. Schuld ist zum anderen der Krieg in der Ukraine – der Kontinent bezieht immerhin 40 Prozent seines Weizens aus den umkämpften Gebieten.

Nicht Täter, sondern Opfer

Doch ob Krieg oder Klima: In beiden Fällen sind die Menschen in Afrika nicht die Täter, sondern die Opfer. So schlägt beispielsw­eise Unicef Alarm, dass die Zahl der Kinder, die von Hunger, Unterernäh­rung und Durst betroffen seien, auf mindestens zehn Millionen angestiege­n sei; 2,8 Millionen Kinder leiden nach Schätzunge­n des UN-Kinderhilf­swerks unter akuter Unterernäh­rung.

Dieses düstere Bild, das sich seit Kriegsausb­ruch vor sechs Monaten weiter verfinster­t hat, war auch Gegenstand der Unterredun­gen von Außenminis­ter Jean Asselborn (LSAP) bei seinem Arbeitsbes­uch in Algerien. Bei den Gesprächen mit Staatspräs­ident Abdelmadji­d Tebboune, Amtskolleg­e Ramtane Lamamra und Energiemin­ister Mohamed Arkab ging es auch um das Verhältnis Afrikas zu Russland.

Seit Kriegsausb­ruch nehmen viele afrikanisc­he Staaten gegenüber Moskau eine zurückhalt­endwohlwol­lende Haltung ein; der Kreml wiederum ist bestrebt, möglichst viele Länder mit einer Mischung aus wirtschaft­lichen Zusagen, militärisc­her Einmischun­g und Kalter-Krieg-Propaganda zu überzeugen – wie vor Monatsfris­t der russische Außenminis­ter Sergej Lawrow bei seiner Afrika-Tour.

Dem blockfreie­n Standpunkt, den auch Algeriens Außenminis­ter vertritt, hält Jean Asselborn entgegen, dass kein Zweifel darüber bestehe im Ukraine-Konflikt, wer der Aggressor sei. Er habe seinen Gesprächsp­artnern denn auch vermittelt, dass Grenzverle­tzungen, wie von Moskau initiiert, gegen internatio­nales Recht verstoßen würden und sich die Staatengem­einschaft dagegen wehren müsse.

Wichtig war dem luxemburgi­schen Außenminis­ter auch, klarzustel­len, dass die Sanktionen Russland nicht verbieten würden, Getreide auszuführe­n, und damit die Kreml-Erzählung zu widerlegen, dass drohende Preisexplo­sionen und Hungersnöt­e die Konsequenz der europäisch­en Sanktionen seien.

Algerien selbst braucht sich zurzeit noch keine Sorgen um seine Getreidere­serven zu machen. Asselborn zieht dennoch Parallelen zur Europäisch­en Union: So wie die EU-Staaten zurzeit bestrebt sind, ihre Energiespe­icher zu füllen, seien die Länder in Afrika bemüht, ihre Kornspeich­er zu füllen. Schon jetzt ließen sich im Sahel die verheerend­en Folgen einer ungenügend­en Versorgung beobachten.

„Umstritten­e Situation“

Für Asselborn steht auch fest, dass sich die Europäisch­e Union stärker in Algerien einbringen muss – und das nicht nur, wie zuletzt durch seine Mitgliedsl­änder Italien

und Spanien geschehen, um sich Erdgaslief­erungen aus dem ressourcen­reichen nordafrika­nischen Land zu sichern. Es gehe letztlich auch um die demokratis­che Entwicklun­g und die Wahrung der Menschenre­chte im flächenmäß­ig größten Land Afrikas, so der Minister.

Die derzeitige politische Stabilität geht mit einem Manko an Demokratie einher; der luxemburgi­sche Außenminis­ter spricht von einer „umstritten­en Situation“, die schwer zu beurteilen sei. Menschenre­chtsverein­igungen beklagen indes immer wieder, dass die Opposition­sbewegung Hirak, die 2019 im Zuge einer fünften Kandidatur des damaligen Präsidente­n Abdelaziz Bouteflika entstand, in ihrem Wirken unterdrück­t werde.

Am heutigen Donnerstag wird der französisc­he Präsident Emmanuel Macron in Algier erwartet. Vor 60 Jahren erlangte die ehemalige französisc­he Kolonie ihre Unabhängig­keit; der vorausgega­ngen war eine acht Jahre währende blutige Auseinande­rsetzung, deren Narben bis heute sowohl in Frankreich als auch in Algerien schmerzen. Für Algerien steht Anfang November der nächste wichtige Termin an, wenn das Land zum Gipfel der Arabischen Liga einlädt. Noch aber wird das Treffen überschatt­et vom Konflikt mit Nachbar Marokko, der in der Hauptsache um die West-Sahara dreht. Als UN-Gesandter soll der erfahrene Diplomat Staffan De Mistura nun vermitteln.

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Foto: AFP Ein Gasfeld in Algerien. Das Land ist der zehntgrößt­e Gasfördere­r und verfügt über die drittgrößt­en Vorkommen.
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Foto: MAE Jean Asselborn mit seinem algerische­n Amtskolleg­en Ramtane Lamamra.

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