„Eine umstrittene Situation“
Wie Afrika mit dem Ukraine-Krieg und dessen Folgen umgeht
Afrika leidet Hunger. Wieder einmal. Besonders betroffen sind das Horn von Afrika und die SahelZone. Schuld daran ist zum einen das Klima mit anhaltender Hitze, Dürre und akutem Wassermangel. Schuld ist zum anderen der Krieg in der Ukraine – der Kontinent bezieht immerhin 40 Prozent seines Weizens aus den umkämpften Gebieten.
Nicht Täter, sondern Opfer
Doch ob Krieg oder Klima: In beiden Fällen sind die Menschen in Afrika nicht die Täter, sondern die Opfer. So schlägt beispielsweise Unicef Alarm, dass die Zahl der Kinder, die von Hunger, Unterernährung und Durst betroffen seien, auf mindestens zehn Millionen angestiegen sei; 2,8 Millionen Kinder leiden nach Schätzungen des UN-Kinderhilfswerks unter akuter Unterernährung.
Dieses düstere Bild, das sich seit Kriegsausbruch vor sechs Monaten weiter verfinstert hat, war auch Gegenstand der Unterredungen von Außenminister Jean Asselborn (LSAP) bei seinem Arbeitsbesuch in Algerien. Bei den Gesprächen mit Staatspräsident Abdelmadjid Tebboune, Amtskollege Ramtane Lamamra und Energieminister Mohamed Arkab ging es auch um das Verhältnis Afrikas zu Russland.
Seit Kriegsausbruch nehmen viele afrikanische Staaten gegenüber Moskau eine zurückhaltendwohlwollende Haltung ein; der Kreml wiederum ist bestrebt, möglichst viele Länder mit einer Mischung aus wirtschaftlichen Zusagen, militärischer Einmischung und Kalter-Krieg-Propaganda zu überzeugen – wie vor Monatsfrist der russische Außenminister Sergej Lawrow bei seiner Afrika-Tour.
Dem blockfreien Standpunkt, den auch Algeriens Außenminister vertritt, hält Jean Asselborn entgegen, dass kein Zweifel darüber bestehe im Ukraine-Konflikt, wer der Aggressor sei. Er habe seinen Gesprächspartnern denn auch vermittelt, dass Grenzverletzungen, wie von Moskau initiiert, gegen internationales Recht verstoßen würden und sich die Staatengemeinschaft dagegen wehren müsse.
Wichtig war dem luxemburgischen Außenminister auch, klarzustellen, dass die Sanktionen Russland nicht verbieten würden, Getreide auszuführen, und damit die Kreml-Erzählung zu widerlegen, dass drohende Preisexplosionen und Hungersnöte die Konsequenz der europäischen Sanktionen seien.
Algerien selbst braucht sich zurzeit noch keine Sorgen um seine Getreidereserven zu machen. Asselborn zieht dennoch Parallelen zur Europäischen Union: So wie die EU-Staaten zurzeit bestrebt sind, ihre Energiespeicher zu füllen, seien die Länder in Afrika bemüht, ihre Kornspeicher zu füllen. Schon jetzt ließen sich im Sahel die verheerenden Folgen einer ungenügenden Versorgung beobachten.
„Umstrittene Situation“
Für Asselborn steht auch fest, dass sich die Europäische Union stärker in Algerien einbringen muss – und das nicht nur, wie zuletzt durch seine Mitgliedsländer Italien
und Spanien geschehen, um sich Erdgaslieferungen aus dem ressourcenreichen nordafrikanischen Land zu sichern. Es gehe letztlich auch um die demokratische Entwicklung und die Wahrung der Menschenrechte im flächenmäßig größten Land Afrikas, so der Minister.
Die derzeitige politische Stabilität geht mit einem Manko an Demokratie einher; der luxemburgische Außenminister spricht von einer „umstrittenen Situation“, die schwer zu beurteilen sei. Menschenrechtsvereinigungen beklagen indes immer wieder, dass die Oppositionsbewegung Hirak, die 2019 im Zuge einer fünften Kandidatur des damaligen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika entstand, in ihrem Wirken unterdrückt werde.
Am heutigen Donnerstag wird der französische Präsident Emmanuel Macron in Algier erwartet. Vor 60 Jahren erlangte die ehemalige französische Kolonie ihre Unabhängigkeit; der vorausgegangen war eine acht Jahre währende blutige Auseinandersetzung, deren Narben bis heute sowohl in Frankreich als auch in Algerien schmerzen. Für Algerien steht Anfang November der nächste wichtige Termin an, wenn das Land zum Gipfel der Arabischen Liga einlädt. Noch aber wird das Treffen überschattet vom Konflikt mit Nachbar Marokko, der in der Hauptsache um die West-Sahara dreht. Als UN-Gesandter soll der erfahrene Diplomat Staffan De Mistura nun vermitteln.