Platz da, hier komme ich
In Europa herrscht Dürre, vielleicht die schlimmste seit 500 Jahren. Lebensmittel werden teurer. „Die Regierung muss etwas dagegen machen“, hört man. Gleichzeitig reibt man sich angesichts der herrschenden Trockenheit verwundert die Augen, wenn man bei einem Waldspaziergang erwachsene Menschen antrifft, die nach dem Rauchen ihre Zigarette ins trockene Laub fallen lassen und „austreten“. Überhaupt: kann man eigentlich ein Stück Natur besuchen, ohne dass dort Menschen ihre Spuren hinterlassen haben? Der Wald, der Park oder sogar das Naturschutzgebiet kann noch so schön sein – man findet stets irgendwo eine weggeworfene Coladose oder Plastiktüte. Wer die Welt besser machen will, sollte bei sich selbst anfangen, ehe er auf „die da oben“schimpft. Doch der Mensch ist nur ein vernunftbegabtes Wesen. Heißt: Er handelt nicht unbedingt vernünftig – er hat höchstens die Fähigkeit dazu. Wie viele Nutzer dieser Fähigkeit einen Führerschein besitzen, dazu gibt es keine Statistik. Doch auf der Straße findet der Lackmustest statt, wie es um die Vernunft des Menschen bestellt ist. Obwohl die Straßen in Luxemburg jetzt zur Ferienzeit geradezu leer sind, kann man dennoch täglich all die Geistesheroen bewundern, die rechts-linksrechts-links alle Fahrzeuge überholen, weil die Höchstgeschwindigkeit 130 anscheinend nicht schnell genug ist.
Oder es wird noch flugs wie auf der Formel-1-Rennstrecke überholt – damit sich die Vollbremsung lohnt, um noch gerade so die Autobahnausfahrt zu erwischen. Was denken all diese Menschen, die im Zickzack an allen anderen vorbeirasen und dann an der ersten Ampel in der Stadt eben nur die ersten sind, die bei Rot halten müssen? Fährt man längere Strecken, kann man auch stets beobachten, wie sich zwei meist hochpreisige Fahrzeuge mit annähernd Tempo 200 auf der linken Fuhr verfolgen und einer den anderen nicht vorbeilassen will – Abstand zwischen den Fahrzeugen: zwei Meter. Vernunftbegabte Wesen eben. Bis zur Kante des Zebrastreifens wird beschleunigt – mal eine halbe Sekunde vom Gas zu gehen, scheint viele zu überfordern. Wer eine Lastwagenkolonne überholt, dem klebt plötzlich mit einem Meter Abstand ein Wichtigtuer am Heck und ruft mit Lichthupe „Platz da, hier komme ich“. Das Ganze ist nicht nur eine Verkehrswidrigkeit, sondern vor allem eine Respektlosigkeit. Bei Facebook und im Auto scheinen viele vergessen zu haben, dass das eigene Verhalten reale Konsequenzen haben kann, oft bittere.
Doch zurück zum Wald und der frischen Waldluft… Plötzlich steht ein Hund am Wegesrand. Er beobachtet neugierig, traut sich aber nicht, näherzukommen. Sicher taucht gleich der Besitzer auf. Aber es kommt niemand. Läuft der Hund hier tatsächlich allein durch den Wald? Nun kann man nicht einfach so einen Hund adoptieren, den man im Wald findet. Aber was tun? Zum Glück kommt jemand von der Forstverwaltung, der die Bäume begutachtet und den Hund im Tierheim abgeben will. „Gestern fanden wir hier auch ein ausgesetztes Kaninchen“, sagt er.
Und wie zur Erklärung: „Es ist Urlaubszeit.“Ein Hoffnungszeichen: Jemand mit Leine nähert sich laufenden Schritts – der Kleine war einfach nur ausgebüxt.
Mal eine halbe Sekunde vom Gas zu gehen scheint viele zu überfordern.