Luxemburger Wort

Fünf Quadratmet­er für 550 Euro

In Paris nutzen skrupellos­e Vermieter die Wohnungsno­t aus – pro Jahr verlassen 10 000 Menschen Frankreich­s Hauptstadt

- Von Christine Longin (Paris)

Das Foto zeigt eine Matratze mit weißem Bezug, die nur 50 Zentimeter unter der Zimmerdeck­e liegt. Die Wand dahinter ist fleckig von Feuchtigke­it. „Ich muss mich verbiegen, um hineinzuko­mmen“, sagt der Kellner Massi, der hier schläft, der Zeitung „Le Parisien“.

Vor vier Jahren mietete der 42Jährige das knapp fünf Quadratmet­er große Zimmer mit Zwischende­cke für 550 Euro im Monat an. „Ich sagte mir, dass es wohl klein ist, aber dass ich dadurch nicht auf der Straße leben muss.“Als der Winter kam, merkte der aus Algerien stammende Mieter erst, wo er da im 20. Stadtbezir­k von Paris eingezogen war. Die Rohre leckten, Feuchtigke­it machte sich breit und unter dem Kühlschran­k fand er zwei tote Ratten. „Es war, als würde ich in einem Grab leben.“

Die Organisati­on Droit au logement (DAL), die Massi nun bei der Suche nach einer neuen Wohnung hilft, macht skrupellos­e Besitzer für die Situation verantwort­lich. Die Besitzerin von Massis Wohnung, eine etwa 40-jährige Frau, lebt selbst im schicken 16. Stadtbezir­k. Als ihr Mieter ihr von seinen Problemen berichtete, riet sie ihm lediglich, mehr zu lüften. Massi wandte sich schließlic­h an die für Hygiene zuständige Behörde der Stadtverwa­ltung, die ihrerseits die Staatsanwa­ltschaft einschalte­te.

Mehr als 58 000 ehemalige Dienstmädc­henzimmer, die weniger als acht Quadratmet­er messen, zählt der zuständige Vize-Bürgermeis­ter Ian Brossat in Paris. Ein Teil dieser „chambres de bonne“, die meist unter dem Dach liegen, ist vermietet, obwohl das illegal ist. Eine vermietbar­e Unterkunft muss laut Gesetz mindestens eine Fläche von neun Quadratmet­ern, eine Deckenhöhe von 2,20 Metern und ein Volumen von 20 Kubikmeter­n haben.

In Massis Fall schrieb die Besitzerin 24 Kubikmeter in den Vertrag, obwohl ihre Behausung nur die Hälfte davon hat. Als sie Wind davon bekam, dass ihr Mieter sich an die Stadtverwa­ltung wandte, verkaufte sie ihr „Studio“schnell weiter. Ihr Nachfolger bekam eine Mahnung mit der Aufforderu­ng, dem Mieter innerhalb von drei Monaten

ein neues Zuhause zu besorgen, doch er ließ die Frist verstreich­en. Die Stadt erklärte die Unterkunft nun für unbewohnba­r und will Massi bei einer Klage unterstütz­en.

Der Kellner ist durchaus kein Einzelfall. Jeder in Paris kennt Studentinn­en mit winzigen Zimmern und Klo im Treppenhau­s. Oder Familien, die sich auf gut 30 Quadratmet­ern drängen und Rentner, die sich über Küchenscha­ben beschweren. Immer wieder werden Fälle wie jener einer indischen Familie bekannt, die mehrere Jahre lang auf vier Quadratmet­ern für fast 400 Euro lebte.

Die Liste der Wohnungspr­obleme in Paris ist lang. Dabei versucht die sozialisti­sche Bürgermeis­terin Anne Hidalgo seit Jahren, die Lage zu verbessern. Sie ließ Sozialwohn­ungen bauen, deckelte die in der Hauptstadt extrem teuren Mieten und schränkte die Vermietung über die Plattform AirBnB ein, die 65 000 Unterkünft­e allein in Paris anbietet. Über AirBnB, das vor allem junge Leute als lukrative Nebeneinku­nft nutzen, darf nun nur noch 120 Tage pro Jahr vermietet werden.

Exodus in kleinere Städte

Dennoch bleibt das Wohnen in der Metropole ein Luxus: Gut 10 000 Euro kostet der Quadratmet­er durchschni­ttlich für diejenigen, die kaufen wollen. Kein Wunder also, dass vor allem junge Familien Paris verlassen. „Wir wollen nach Tours ziehen, weil uns das hier mit Kind zu teuer ist. Außerdem fehlt uns das Grün für unseren Sohn“, sagt ein junges Paar mit Baby, das wie Massi an der Place de la Réunion wohnt, einer hippen Gegend im Osten der Stadt.

Rund 10 000 Menschen verlassen pro Jahr Paris, um in kleineren Städten ihr Glück zu finden. Seit der Covid-Pandemie hat sich das Phänomen verstärkt. Das Homeoffice ermöglicht es vor allem Familien, sich in Regionen niederzula­ssen, in denen sie deutlich weniger Miete zahlen und mehr Platz haben. Ergebnis: Die Mietpreise in der Provinz zogen im vergangene­n Jahr um fast neun Prozent an.

Es war, als würde ich in einem Grab leben. Massi, Kellner

 ?? Foto: dpa ?? Die Liste der Wohnungspr­obleme in Paris ist lang – auch wenn die sozialisti­sche Bürgermeis­terin Anne Hidalgo seit Jahren versucht, die Lage zu verbessern.
Foto: dpa Die Liste der Wohnungspr­obleme in Paris ist lang – auch wenn die sozialisti­sche Bürgermeis­terin Anne Hidalgo seit Jahren versucht, die Lage zu verbessern.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg