Luxemburger Wort

„Ich bin bereit, ich habe keine Angst“

Wahlkampf-Auftakt in Italien: Giorgia Meloni liebt die Eine-gegen-alle-Rolle

- Von Dominik Straub (Rom)

In Italien hat der Wahlkampf für die vorgezogen­en Parlaments­wahlen vom 25. September begonnen. Haushohe Favoritin ist Giorgia Meloni, Führerin der postfaschi­stischen Fratelli d'Italia.

Sie weiß, dass ihr großes Ziel in Griffnähe ist, und sie zeigt es auch: „Ich denke, dass ich fähig bin, eine Regierung zu führen, die für Italien vernünftig­e Dinge beschließe­n wird und viel ändern kann“, rief Giorgia Meloni den rund zweitausen­d Anhängern zu, die sich am Dienstag auf der Piazza Roma von Ancona versammelt hatten.

Berüchtigt­e Verbündete

Sie spielte wieder einmal ihre Lieblingsr­olle: eine gegen alle, die Fratelli d'Italia gegen den Rest der Welt.

„Wir verraten die Bürgerinne­n und Bürger nicht, wir haben keine Herren über uns, wir sind nicht erpressbar und lassen uns von niemandem kaufen“, tönte Meloni. Nach den eineinhalb Jahren unter Mario Draghi sei es um Italien schlecht bestellt, sagte die 45-jährige Römerin, die in wenigen Wochen als erste Frau in den Palazzo Chigi, den Sitz des italienisc­hen Ministerpr­äsidenten, einziehen könnte. Sie, Giorgia Meloni, könne das Land wieder aufrichten.

Melonis selbstsich­ere Rede in Ancona war zugleich ihr erster Wahlkampf-Auftritt, seit die Parteien in dieser Woche ihre Kandidaten-Listen eingereich­t haben und der Wahlkampf damit offiziell eingeläute­t wurde. Die FrontFrau der Fratelli d'Italia hat guten Grund für ihre Siegesgewi­ssheit. Ihre postfaschi­stische Partei führt in allen Umfragen mit rund 25 Prozent

vor dem zweitplatz­ierten sozialdemo­kratischen Partito Democratic­o von Enrico Letta, der auf 20 bis 22 Prozent kommt.

25 Prozent reichen zwar noch lange nicht für eine Regierungs­mehrheit

– aber Meloni kann im Unterschie­d zu Letta auf ein schlagkräf­tiges Wahlbündni­s zählen: Dem von ihr angeführte­n Rechts-Block gehören auch Matteo Salvinis rechtspopu­listische

Lega (in den Umfragen bei 12 bis 13 Prozent) sowie Silvio Berlusconi­s Forza Italia (sieben bis zehn Prozent) an.

Den Rest wird mit großer Wahrschein­lichkeit das Wahlgesetz erledigen: Es handelt sich um ein gemischtes System, bei dem zwei Drittel der Parlaments­sitze nach dem Proporz-Prinzip verteilt und ein Drittel der Sitze in Einer-Wahlkreise­n – also nach dem MajorzVerf­ahren – vergeben werden. Weil der Rechts-Block aus Fratelli d'Italia, Lega und Forza Italia sehr viel stärker ist als die verzettelt­e Linke und die Mitte, wird die Rechte nach einhellige­r Meinung der Demoskopen 80 bis 90 Prozent aller Einer-Wahlkreise gewinnen. Damit wäre den Rechtspart­eien die Mehrheit der Parlaments­sitze auch dann sicher, wenn sie in den Proporz-Wahlkreise­n zusammen nicht auf 50 Prozent kommen sollten.

Noch ist es aber nicht so weit: Meloni und die anderen Parteiführ­er werden nun erst noch einen Monat lang durchs Land touren, um bei den Wählerinne­n und Wählern um deren Stimmen zu werben. Die schneidige Wahlfavori­tin Meloni will allen Hauptorten einen Besuch abstatten, und dass sie sich Ancona als ersten ausgesucht hat, ist kein Zufall: Ancona ist die Hauptstadt der Region Marken an der Adria, einer einstigen Hochburg der Linken – und diese wird seit 2020 von Francesco Acquaroli, einem Parteifreu­nd von Meloni, geführt.

Mussolinis Schatten

„Hier haben wir gewonnen, hier regieren wir. Und hier haben wir bewiesen, dass unsere Partei über ein Führungspe­rsonal verfügt, das Lösungen

anbieten und Antworten geben kann, die die Linke während Jahrzehnte­n nicht hatte geben können“, betonte Meloni in Ancona.

Die Marken sind freilich auch gleichzeit­ig eine Region, in der sich erahnen lässt, was auf ganz Italien zukommen könnte, sollten sich die Wahlprogno­sen bewahrheit­en. Regionalpr­äsident Acquaroli hat hier kurz nach seinem Amtsantrit­t die Abgabe von Abtreibung­spillen in den regionalen Beratungss­tellen und Spitälern verboten – eine Abtreibung vorzunehme­n, ist in den Marken generell fast unmöglich geworden. Die Regionalre­gierung weigerte sich auch, das Patronat für einen Gay-Pride-Umzug zu übernehmen.

Außerdem machen regionale Amtsträger immer wieder Schlagzeil­en mit Sympathieb­ekundungen für den früheren Diktator Benito Mussolini oder für dessen faschistis­ches Regime – auch Acquaroli selber: 2019 hatte er an einem Abendessen teilgenomm­en, das zum Gedenken an Mussolinis „Marsch auf Rom“und dessen Machtübern­ahme im Jahr 1922 durchgefüh­rt wurde. „Ich bin bereit, ich habe keine Angst“, rief Meloni in die Menge von Ancona.

Doch die eigentlich­e Frage lautet vielmehr: Wer hat Angst vor Giorgia Meloni?

... wir sind nicht erpressbar und lassen uns von niemandem kaufen. Giorgia Meloni

 ?? Foto: AFP ?? Giorgia Meloni, Frontfrau der Postfaschi­sten, hat gute Chancen, nächste Ministerpr­äsidentin in Italien zu werden.
Foto: AFP Giorgia Meloni, Frontfrau der Postfaschi­sten, hat gute Chancen, nächste Ministerpr­äsidentin in Italien zu werden.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg