Geregelt, aber nicht erfasst
Unklarheit über die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche und Nachholbedarf bei der CNS
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshof der USA, nach fast einem halben Jahrhundert das liberale Abtreibungsrecht in den Vereinigten Staaten zu kippen, hatte massive Proteste zur Folge. Dennoch war der Weg für strengere Abtreibungsgesetze bis hin zu kompletten Verboten frei, sogar im Falle einer Vergewaltigung oder von Inzest.
Mehrere konservativ regierte US-Bundesstaaten haben den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen inzwischen ganz oder fast vollständig eingeschränkt, zuletzt Idaho, Tennessee und Texas. Auch hierzulande war der Aufschrei groß. Unter dem Slogan „My body – my choice“hatten Demonstrantinnen und Demonstranten vor der amerikanischen Botschaft ihre Stimme erhoben und gefordert, dass das Abtreibungsrecht in der Verfassung verankert wird.
Polemik um zwei Änderungen
Auf europäischer Ebene hat Luxemburg seit dem Inkrafttreten am 17. Dezember 2014 eines der liberalsten Gesetze über den freiwilligen Schwangerschaftsabbruch. Ohne Gegenwind und Polemik lief die Debatte damals nicht ab. Mit 38 zu 22 Stimmen unterstützten neben DP, LSAP und Déi Gréng auch Déi Lénk sowie die vier CSV-Abgeordneten Diane Adehm, Sylvie Andrich-Duval, Gilles Roth und Serge Wilmes die weitere Liberalisierung der Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch.
Zwei wesentliche Änderungen gab es in der überarbeiteten Fassung
des erst anderthalb Jahre zuvor gestimmten Gesetzes, das die CSV/LSAP-Koalition auf den Weg gebracht hatte: Der Schwangerschaftsabbruch wurde aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, demnach bis zur zwölften Schwangerschaftswoche entkriminalisiert. Des Weiteren wurde die obligatorische zweite psycho-soziale Beratung der Frau abgeschafft. Ohne Angabe von Gründen kann eine Frau bis zur zwölften Woche eine Abtreibung vornehmen lassen. „Die Frau muss nicht mehr den Beweis antreten, warum sie sich in einer Notsituation befindet“, hatte die grüne Berichterstatterin Viviane Loschetter damals argumentiert.
Um ein Tabuthema handelt es sich trotzdem nach wie vor. Genaue statistische Daten sucht man zudem vergeblich, ebenso fehlt es der CNS an einer spezifischen Nomenklatur, wie aus der Antwort auf eine parlamentarische Frage von Josée Lorsché und Marc Hansen hervorgeht. Die beiden Grünen-Abgeordneten wiesen in ihrem Schreiben darauf hin, dass die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch in Frankreich zu 100 Prozent von der Sozialversicherung übernommen würden – eine Abtreibung koste dort durchschnittlich 250 Euro – und wollten in Erfahrung bringen, wie sich die Situation in Luxemburg darstelle.
Vor Kurzem wurde derweil in Frankreich die Frist für einen Schwangerschaftsabbruch auf 14 Wochen verlängert. In Belgien werden derzeit ähnliche Diskussionen geführt. In den Niederlanden liegt die Frist sogar bei 24 Schwangerschaftswochen.
Laut Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) und dem Minister für soziale Sicherheit, Claude Haagen (LSAP), würden in Luxemburg ebenfalls Überlegungen bezüglich einer möglichen Verlängerung von zwölf auf 14 Wochen laufen, womit einer Forderung des Planning Familial Rechnung getragen würde. Diesbezügliche Konzertierungssitzungen zwischen dem Gesundheitsministerium und der Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie dem Planning seien für Herbst geplant, heißt es in der gemeinsamen Antwort der beiden zuständigen Minister.
Nicht ausreichend detailliert
Arbeiten zwecks Neufassung der Nomenklatur würden derzeit zwischen der CNS und der Société luxembourgeoise de gynécologie et d’obstétrique (SLGO) laufen. Anfang 2018 habe das Gesundheitsministerium der Nomenklaturkommission entsprechende Anträge vorgelegt, informieren Lenert und Haagen. Bislang sei es nicht möglich, zuverlässige Daten zu liefern und genauer zu definieren, welche Konsultationen von der CNS rückerstattet werden, da beispielsweise in der Erfassung nicht zwischen einem Schwangerschaftsabbruch und einer Ausschabung nach einer Fehlgeburt unterschieden werde.
Bereits im November 2012 hatte unterdessen der damalige LSAPAbgeordnete Alex Bodry die Regierung in einer Motion dazu aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Ärzte und psychosoziale Beratungsstellen zu statistischen Zwecken Schwangerschaftsabbrüche und Beratungen melden. „Diese Arbeit konnte bislang noch nicht aufgenommen werden, jedoch ist geplant, kurzfristig eine Arbeitsgruppe zur Erstellung von Statistiken über Schwangerschaftsabbrüche einzurichten“, stellen die zwei Minister in Aussicht.
Lenert und Haagen weisen überdies auf die verschiedenen medizinischen Wege hin, eine Abtreibung vorzunehmen: Durch Einnahme des Medikaments Mifépristone, wenn die Schwangerschaft weniger als neun Wochen dauert (wobei im Rahmen einer stationären Behandlung bis zu zwölf Wochen möglich seien) oder durch einen chirurgischen Schwangerschaftsabbruch bei Schwangerschaften ab der neunten Woche. Die meisten medikamentösen Schwangerschaftsabbrüche werden im außerklinischen Bereich durchgeführt, auch das macht eine statistische Erfassung schwierig.
Die Frau muss nicht mehr den Beweis antreten, warum sie sich in einer Notsituation befindet. Viviane Loschetter, damalige Berichterstatterin
Auskunft über die Anzahl durchgeführter Abtreibungen gibt dagegen das Planning Familial, wobei diese Zahlen nicht die Gesamtsituation widerspiegeln. 601 Frauen wandten sich im Jahr 2021 wegen einer ungeplanten Schwangerschaft an eine der Beratungsstellen des Planning. 516 Schwangerschaftsabbrüche wurden schließlich vorgenommen, davon 98,3 Prozent in Luxemburg. Neun Abtreibungen wurden im Ausland durchgeführt (zwei in Belgien und sieben in den Niederlanden). Das Durchschnittsalter der Frauen lag bei 28,25 Jahren, das durchschnittliche Schwangerschaftsalter zum Zeitpunkt des Abbruchs bei 4,3 Wochen.
„Es wird immer zu ungewollten Schwangerschaften kommen“, halten die beiden Minister schließlich fest, da könnten noch so viele Präventionskampagnen durchgeführt und auf Aufklärung gesetzt werden.
Es wird immer zu ungewollten Schwangerschaften kommen. Die Minister Paulette Lenert und Claude Haagen