Luxemburger Wort

Bürgerfore­n wagen

- Von Daniel Conrad

Wir brauchen Bürgerfore­n! Damit könnten auf breiter gesellscha­ftlicher Basis im Dialog Lösungsvor­schläge für die aktuellen und zukünftige­n Herausford­erungen erarbeitet werden. Warum Foren? Sonst lassen wir denen, die einfache Lösungen ohne fundierte Argumente anbieten und – gerade in den sozialen Medien – sich der Ängste bedienen, zu viel Raum. Gerade jetzt wachsen Ängste und Unsicherhe­iten, scheinbar nicht nur wegen der Verwerfung­en des Ukrainekri­egs, täglich. Solche direkten Foren hätten auch eine entscheide­nde Funktion: ebendiese Ängste und die Vorwürfe, dass Forderunge­n wie eine bessere Umverteilu­ng bei den Lasten der Krisen nicht mehr von der Politik gehört würden, zu hinterfrag­en – und sich ihnen gemeinscha­ftlich zu stellen.

Und daher gilt: Bürgerfore­n nicht erst morgen, sondern so schnell und ernsthaft es geht.

Denn in Foren, die mit einer Verpflicht­ung zu Stellungna­hmen verbunden sind, müssen die Teilnehmen­den von Angesicht zu Angesicht Farbe bekennen, argumentat­ive Grundlagen liefern, abwägen, den Dialog mitgestalt­en – und gleichsam das Gegenüber verstehen lernen. Fachleute treffen auf den Mensch von der Straße, Realität trifft auf allzu abgehobene Debatten.

Gibt es ein Modell? Sogar mehrere! Ein Blick in die Berichters­tattung dieser Woche hilft: Die EU hat mit der „Konferenz zur Zukunft Europas“ihren Skeptikern und der angeblich mangelnden Bürgerbete­iligung ein herrliches Reforminst­rument entgegenge­setzt. 108 nach dem Zufallspri­nzip ausgewählt­e Bürger aus den 27 Mitgliedst­aaten haben mit EU-Abgeordnet­en, nationalen Parlamenta­riern, Vertretern der EU-Kommission und des EU-Rats Reformvors­chläge ausgearbei­tet – auch eine Luxemburge­rin war dabei. Die Umsetzung der Vorschläge wird zwar schwierig, aber da kann man an anderer Stelle lernen: von der Bürgervers­ammlung der Stadt Nancy, die dank eines eigenen Budgets und des Rechts auf ein „Référendum d’initiative locale“Vorschläge an die Stadtobere­n formuliere­n kann. So ein Modell wäre auch in Luxemburg denkbar.

Ebenso der einstige Prozess um das Entstehen des nationalen Kulturentw­icklungspl­ans – und seine Etablierun­g als Programm im Ministeriu­mshandeln – kann ein Beispiel sein, wie sich nach und nach Interessen formuliere­n und zu breit akzeptiert­en Maßnahmen führen lassen. Und wo wir schon bei der Kultur sind: Wie Bürger Ideen einbringen können, zeigt sich zum Beispiel beim Wettbewerb von OAI und ProSud um die Umsetzung des Minett Trails. Wer sagt denn, dass das nicht auch für komplette Wohnquarti­ere machbar wäre? Die Ausstellun­g MinettREMI­X in Düdelingen jedenfalls macht klar, wie viel Energie Bürgerinne­n und Bürger ganz aktuell für die Industrieb­rachen im Land aufbringen wollen und können.

Der Druck dazu ist da. Existenzän­gste sind realer geworden. Im Rückblick auf die vergangene Woche tauchen sie auf; wenn auch in unterschie­dlichen Formen: Lieferengp­ässe, drohende Belastunge­n der Unternehme­n und in Teilen der Gesellscha­ft, immer weniger bezahlbare Immobilien­preise, auf breiter Basis nicht mehr verständli­ches politische­s Handeln, das als Lavieren ausgelegt wird. Wer also in Luxemburg immer brüchigere­n Gesellscha­ftskitt verhindern will, sollte mehr Dialog wagen und Möglichkei­ten der Beteiligun­g schaffen. Und das möglichst schnell.

Bürger wollen sich engagieren. Lasst sie sprechen.

Kontakt: daniel.conrad@wort.lu

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