Bürgerforen wagen
Wir brauchen Bürgerforen! Damit könnten auf breiter gesellschaftlicher Basis im Dialog Lösungsvorschläge für die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen erarbeitet werden. Warum Foren? Sonst lassen wir denen, die einfache Lösungen ohne fundierte Argumente anbieten und – gerade in den sozialen Medien – sich der Ängste bedienen, zu viel Raum. Gerade jetzt wachsen Ängste und Unsicherheiten, scheinbar nicht nur wegen der Verwerfungen des Ukrainekriegs, täglich. Solche direkten Foren hätten auch eine entscheidende Funktion: ebendiese Ängste und die Vorwürfe, dass Forderungen wie eine bessere Umverteilung bei den Lasten der Krisen nicht mehr von der Politik gehört würden, zu hinterfragen – und sich ihnen gemeinschaftlich zu stellen.
Und daher gilt: Bürgerforen nicht erst morgen, sondern so schnell und ernsthaft es geht.
Denn in Foren, die mit einer Verpflichtung zu Stellungnahmen verbunden sind, müssen die Teilnehmenden von Angesicht zu Angesicht Farbe bekennen, argumentative Grundlagen liefern, abwägen, den Dialog mitgestalten – und gleichsam das Gegenüber verstehen lernen. Fachleute treffen auf den Mensch von der Straße, Realität trifft auf allzu abgehobene Debatten.
Gibt es ein Modell? Sogar mehrere! Ein Blick in die Berichterstattung dieser Woche hilft: Die EU hat mit der „Konferenz zur Zukunft Europas“ihren Skeptikern und der angeblich mangelnden Bürgerbeteiligung ein herrliches Reforminstrument entgegengesetzt. 108 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Bürger aus den 27 Mitgliedstaaten haben mit EU-Abgeordneten, nationalen Parlamentariern, Vertretern der EU-Kommission und des EU-Rats Reformvorschläge ausgearbeitet – auch eine Luxemburgerin war dabei. Die Umsetzung der Vorschläge wird zwar schwierig, aber da kann man an anderer Stelle lernen: von der Bürgerversammlung der Stadt Nancy, die dank eines eigenen Budgets und des Rechts auf ein „Référendum d’initiative locale“Vorschläge an die Stadtoberen formulieren kann. So ein Modell wäre auch in Luxemburg denkbar.
Ebenso der einstige Prozess um das Entstehen des nationalen Kulturentwicklungsplans – und seine Etablierung als Programm im Ministeriumshandeln – kann ein Beispiel sein, wie sich nach und nach Interessen formulieren und zu breit akzeptierten Maßnahmen führen lassen. Und wo wir schon bei der Kultur sind: Wie Bürger Ideen einbringen können, zeigt sich zum Beispiel beim Wettbewerb von OAI und ProSud um die Umsetzung des Minett Trails. Wer sagt denn, dass das nicht auch für komplette Wohnquartiere machbar wäre? Die Ausstellung MinettREMIX in Düdelingen jedenfalls macht klar, wie viel Energie Bürgerinnen und Bürger ganz aktuell für die Industriebrachen im Land aufbringen wollen und können.
Der Druck dazu ist da. Existenzängste sind realer geworden. Im Rückblick auf die vergangene Woche tauchen sie auf; wenn auch in unterschiedlichen Formen: Lieferengpässe, drohende Belastungen der Unternehmen und in Teilen der Gesellschaft, immer weniger bezahlbare Immobilienpreise, auf breiter Basis nicht mehr verständliches politisches Handeln, das als Lavieren ausgelegt wird. Wer also in Luxemburg immer brüchigeren Gesellschaftskitt verhindern will, sollte mehr Dialog wagen und Möglichkeiten der Beteiligung schaffen. Und das möglichst schnell.
Bürger wollen sich engagieren. Lasst sie sprechen.
Kontakt: daniel.conrad@wort.lu