Ruhe ist Gold
In Magdeburg überzeugt Olaf Scholz sein Publikum – obwohl er nicht den Habeck versucht
anhängen und Arroganz. Wieder einmal. Vielleicht wollte er aber einfach nicht schon wieder zur Kopie seiner Vorgängerin gestempelt werden. Oder wenigstens mit ihr verglichen. Wobei: Aktuell ist der Kanzlermaßstab männlich. Und heißt Robert Habeck.
Pünktlich zum Freiluft-Talk im Hof der Feste, einst eine Kaserne, kann Scholz in der „Süddeutschen“lesen, dass sich in Kanada wieder einmal erwiesen habe, dass Habeck „kann, was er nicht so kann, kommunizieren“. In der Touristen-Info am Hauptbahnhof fragt der sehr freundliche, sehr interessierte Diensthabende, als er hört, der Kanzler sei in der Stadt, ob Scholz denn auch was zu sagen habe. „Also wirklich. Ich meine – so wie Habeck.“
Das ist natürlich, als verlangte man von einem Star, ab sofort zu singen wie eine Nachtigall. Wiewohl der Star ein Meister ist im Nachahmen. Scholz indes müht sich, ein Meister zu sein im Erselbst-bleiben.
„Der perfekte Sturm“
Es gelingt ihm – und auch wieder nicht. Die „Zeitenwende“und „You’ll never walk alone“sind vollkommen "unscholzig" – weil gefühlsbepackt. Was er damit anfängt – nämlich nichts, außer beides möglichst oft zu wiederholen – ist dann aber Scholz original.
Wie die Welt gerade ist, hat er in Toronto als „eine Vielzahl sich überlappender und sich verstärkender Krisen und fundamentaler geopolitischer Verschiebungen“ beschrieben. Kurzform: „Der perfekte Sturm“. In Magdeburg interessieren sie sich für die einzelnen Tornados – und wie Scholz sie so im Zaum halten will, dass die Menschen nicht weggeblasen werden. Zunächst die, die auf Einladung der AfD draußen pfeifen und „Widerstand“geloben – und dabei zwischen Scholz und dem CDUMinisterpräsidenten Rainer Haseloff keinen Unterschied machen.
Und dann aber auch die 150 im Hof hinter der Feste. In der Aufwärmrunde kündigt einer an: „Na, ich werd’ ihn fragen, ob er sich erinnern kann, dass er einen Eid geleistet hat, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.“Da gibt es Applaus.
„Er muss auch mal die Fragen beantworten – nicht viel erzählen und am Ende nix gesagt haben“, findet ein anderer. Scholz selber sagt zu Beginn, „das Gespräch ist immer noch die beste Art und Weise“, über die Sorgen, die ja gerade alle hätten, „handfest mal zu sprechen“.
Draußen wird weiter skandiert und getrillert – der erste Frager will wissen, was aus dem 9-EuroTicket wird. Ein Renner, sagt auch Scholz – der aber in sechs Tagen ausläuft. „Wir haben uns vorgenommen, dass wir etwas entwickeln, was jetzt demnächst kommt.“Vorgenommen, entwickeln, demnächst … Nicht sehr handfest. Aber "scholzig" zu hundert Prozent.
„Sie können sich drauf verlassen“Und doch gibt es Beifall. Auch für das Bekenntnis zu weiteren Waffen für die Ukraine. Auch als er auf die sehr klare Frage „Was machen Sie gegen die Inflation?“antwortet: „Entlastungen – so viele, dass sich die schon keiner mehr merken kann“. Auch als er sich herummogelt um eine Jahreszahl, ab der endlich die Gehälter in den neuen Ländern das Niveau der alten erreichen.
Mehr als einmal sagt Scholz: „Sie können sich darauf verlassen.“Nicht allerdings will er seinem Finanzminister Christian Lindner ein Brechmittel verpassen oder ihm „ein nordisches Basta“entgegenschmettern. Und man erfährt, dass er „nie gekifft“hat – Cannabis aber trotzdem legalisiert werden wird.
Es wird dann – alles in allem – ein gelassener, oft sogar heiterer Abend. Vielleicht auch – oder gerade – weil Scholz nicht den Habeck versucht. Irgendwann sagt tatsächlich einer: „Ich find’ das sehr schön, Ihre ruhige norddeutsche Gelassenheit – das brauchen wir jetzt.“Und ein anderer wünscht sich nach der Tagesschau gar ein Format „Unser Bundeskanzler erklärt uns die Welt“.
Das – ist dann selbst Scholz ein bisschen zu viel.
Scholz müht sich, ein Meister zu sein im Er-selbstbleiben.