„Nennt mich ruhig Honigbär“
Action-Schauspieler Sylvester Stallone über peinliche Alltagserfahrungen und Testosteronbomben
Anfang der 1970er-Jahre haderte Sylvester Stallone noch mit der Schauspielerei, weil er in Hollywood nicht über Statisten-Auftritte hinauszukommen schien. Doch 50 Jahre und Welterfolge wie „Rocky“, „Rambo“oder zuletzt auch die „Expendables“Filme später gehört der 76-Jährige noch immer zu den größten Stars des Filmgeschäfts. Kein Wunder, dass der Andrang auf Interviews mit ihm anlässlich seines neuen Films „Samaritan“(ab sofort bei Prime Video) so groß ist, dass statt einzelner Gespräche kurzerhand eine kleine, virtuelle Pressekonferenz angesetzt wurde, an der auch ein Vertreter des „Luxemburger Wort“teilnehmen durfte.
Sylvester Stallone, Ihr neuer Film „Samaritan“ist ein Superhelden-Film der etwas anderen Art. Was hat Sie daran gereizt?
Superhelden-Filme sind dieser Tage ja allgegenwärtig, und es ist beeindruckend, was einige Regisseure in den letzten Jahren alles aus den ComicUniversen von Marvel und DC herausgeholt haben. Aber mich haben Gefahren und Bedrohungen, die sich nicht fantastisch, sondern sehr realistisch anfühlen, schon immer viel mehr interessiert. Beinahe von einem Auto überfahren werden, alleine durch eine dunkle Gasse laufen, plötzlich hinter sich einen Schatten spüren – das sind Situationen, mit denen wir alle etwas anfangen können. Deswegen reizte mich der Gedanke, einen Superhelden in einer ganz realistischen Welt zu zeigen, die nur minimal überhöht ist.
Der Mann, den Sie nun spielen, ist Müllmann, aber eben auch ein Superheld in Rente, um es mal so auszudrücken. Warum ist das die ideale Rolle für Sie?
In meiner Karriere war es stets so, dass die erfolgreichsten Rollen die waren, in denen ich alles andere als einen Durchschnitts-Normalo gespielt habe. Und natürlich wird man, auch wenn sich das furchtbar anhört, als Schauspieler irgendwann zu einem Produkt, quasi einer Marke. Wenn die Leute mich auf einem Plakat sehen, dann haben sie gewisse Erwartungen an einen Film. Und zwar nicht die, dass ich einen Taxifahrer oder Grundschullehrer spiele. Es gibt tolle Charakterdarsteller, die hervorragend darin sind, auf realistische Weise mit dem Alltag zu verschmelzen. Aber ich steche nun einmal heraus. Wer mich sieht, denkt an Rocky, Rambo und „Demolition Man“. Das muss ich bei der Rollenwahl bedenken. Deswegen ist ein Superheld, der nicht auf den ersten Blick als solcher zu erkennen ist, natürlich genau das Richtige für mich.
Einen ganz unglamourösen, bodenständigen Job zu haben – das Gefühl kennen Sie von früher auch noch, oder?
Oh ja. Ich hatte vor meinem Durchbruch als Schauspieler die unterschiedlichsten Jobs. Ich war Pförtner und Barmann, habe Fische zerlegt und Löwenkäfige gesäubert. Als Kartenabreißer im Kino musste ich einen Smoking tragen, den schon die beiden Kollegen der vorangegangenen Schichten getragen hatten. Er roch nach deren Schweiß – und die Gäste dachten, dass ich es bin, der stinkt. Nicht wahrgenommen oder schräg angeguckt zu werden, wie meine Figur im Film, das kenne ich also zur Genüge. Da muss man echt demütig bleiben. Aber man lernt sehr viel.
Ihr Filmpartner in „Samaritan“ist nun ein 13-jähriger Newcomer. Ist es etwas Besonderes, mit jungen Menschen zu drehen?
Na klar, schon allein, weil man daran erinnert wird, dass man selbst alt und vielleicht zynisch geworden ist. Die Energie und Neugier, mit der „Wanna“Walton zur Arbeit kam, war unglaublich ansteckend. Da ging es mir wie meiner Filmfigur: Seine Jugend hat meine Lebensuhr nochmals ein wenig zurückgedreht. Wobei das natürlich ein Geben und Nehmen ist, denn gleichzeitig konnte er natürlich auch etwas von meiner Weisheit und Erfahrung lernen.
War er nervös, mit einem Superstar wie Ihnen vor der Kamera zu stehen?
Ich habe schnell versucht, ihm die Ehrfurcht zu nehmen. Denn ich erinnerte mich noch daran, wie es für mich war, als unerfahrener Schauspieler bei „Farewell, My Lovely“plötzlich mit jemandem wie Robert Mitchum zu drehen. In solchen Momenten ist man ziemlich von der Rolle und fühlt sich unvorbereitet und überfordert. Deswegen habe ich mich bei „Samaritan“gleich in Wannas Position versetzt, Witze gerissen und alles versucht, damit er sich möglichst schnell entspannt. er sind hungrig und ehrgeizig. Denen tropft das Testosteron aus den Ohren. Die reißen sich den Arsch auf und liefern ab. Genau diese Energie war nötig für diesen Film.
Sie selbst scheinen aber auch noch viel Energie zu haben. Sind Sie der Schauspielerei gar nicht überdrüssig?
Im Gegenteil. Ich genieße die Arbeit heute mehr als vor 40 Jahren. Mit Mitte 30 denkt man, dass man alles weiß, doch im Gegenteil weiß man gar nichts. Das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben, trügt, und man ist noch mittendrin im Lernprozess. Nicht, dass man nicht auch als alter Mensch noch etwas lernen kann. Aber heute weiß ich, wie der Hase läuft, das ist ein gutes Gefühl.
Manche Leute schmunzeln, dass Sie sich in Ihrem Alter immer noch dem Actionkino verschrieben haben …
Ich kann halt einfach nicht die Finger davon lassen. Vielleicht liegt das daran, dass es zu Beginn meiner Karriere so etwas wie Actionfilme noch gar nicht wirklich gab. Klar, in manchen Filmen kamen Verfolgungsjagden, Schießereien oder Kampfszenen vor. Aber das Genre als solches entstand erst. Bei einem echten Actionfilm kann man ja im Grunde den Ton abstellen und der Geschichte trotzdem folgen, rein durch die physischen Bewegungen der Figuren. Das war zum Beispiel beim ersten „Rambo“Film damals unser Leitfaden. Außerdem bieten diese Filme genau die kathartischen Momente, die wir als Zuschauer heutzutage mehr denn je brauchen. Mich fasziniert es einfach, Geschichten zu erzählen, die spektakuläre Action zu bieten haben, aber eben auch von ewig relevanten Themen wie Einsamkeit, Heldentum und Vaterfiguren erzählen. Über Letzteres sagen dann wiederum manche Leute, das sei zuckersüßer Kitsch. Aber so ticke ich nun einmal. Nennt mich ruhig Honigbär.
Nicht wahrgenommen oder schräg angeguckt zu werden, das kenne ich zur Genüge. Sylvester Stallone