Der Wolf im Schafspelz
Nach dem vorzeitigen Aus der Draghi-Regierung steht Italien Ende September vor einer Schicksalswahl. Im Oktober 1922 marschierte Benito Mussolini an der Spitze der „Schwarzhemden“nach Rom und ergriff die Macht. Und fast genau 100 Jahre später könnte nun eine Frau die Regierungsgeschäfte übernehmen, die ihre gesamte politische Karriere im Dunstkreis verschiedener postfaschistischer Parteien und Gruppierungen aufgebaut hat: Giorgia Meloni, ultrarechte Nationalistin und Chefin der Fratelli d'Italia. Sie gibt sich nach außen hin zwar moderat, verspricht etwa den Verbleib in der NATO, die Einhaltung finanzpolitischer Vorgaben aus Brüssel und die unverbrüchliche Solidarität mit der Ukraine. Doch das ist nur Fassade. Meloni ist ein Wolf im Schafspelz.
Sie und die Fratelli d'Italia fordern etwa eine Seeblockade gegen Migranten und das Parteisymbol ist immer noch das alte: eine trikolore Flamme auf einem schwarzen Balken. Das Feuer steht dabei für den Geist Benito Mussolinis. Der dünne Balken repräsentiert den Sarg des Duce. Offenbar will Meloni die Nostalgiker in ihrer Wählerschaft nicht vergraulen. Sie selbst sagt, dass sie stolz auf das Symbol sei, und spielt damit offen mit dem Erbe des Faschismus. Dabei verhallen auch die schönsten Worte der Besänftigung.
Meloni will mit dem rechtspopulistischen Hardliner Matteo Salvini von der Lega sowie mit dem wegen Steuerbetrugs vorbestraften, skandalumwitterten Ex-Premier Silvio Berlusconi und seiner Forza Italia eine Koalition bilden. Für die finanzpolitische Glaubwürdigkeit Italiens – und mit ihr der Euro-Zone –, zu der das Land in den gut eineinhalb Jahren unter Mario Draghi zurückgefunden hat, würde das nichts Gutes verheißen. Salvini und Berlusconi versprechen im Wahlkampf bereits wieder vollmundig Steuersenkungen und eine Erhöhung der Sozialausgaben.
Aber nicht nur für Brüssel, das mit Draghi einen überzeugten Europäer verlieren würde, wäre ein Wahlsieg der italienischen Rechten ein Desaster. Auch die Ukraine könnte einen wichtigen Verbündeten verlieren. Denn Salvini und Berlusconi sind bekennende Putin-Freunde, die seit Kriegsbeginn gegen die EU-Sanktionen und die Lieferung schwerer Waffen an Kiew wettern, während Draghi sich von Anfang an konsequent und unbeirrbar an die Seite der Ukraine stellte.
Ein Wahlsieg Melonis würde die EU einem Stresstest aussetzen.
Freuen über einen Wahlsieg des Trios Meloni-SalviniBerlusconi würde sich also vor allem Wladimir Putin, aber mit ihm auch die Rechtspopulisten, Nationalisten und EUGegner ganz Europas. Und das in einer Zeit, in der der Kontinent mit Blick auf die steigenden Energiekosten möglicherweise auf einen politisch heißen Herbst zusteuert. Das birgt einiges Konfliktpotenzial für die zerbrechliche gemeinsame Front der EU-Staaten bei den gegen Russland verhängten Sanktionen.
Ein Wahlsieg Melonis würde die EU demnach einem Stresstest aussetzen. Denn ihr Blick ist mehr nach Budapest und Moskau gerichtet als nach Paris, Berlin oder Brüssel. Und moderat ist Melonis Fratelli d'Italia nur im Bekenntnis. Ganz zu schweigen von ihren möglichen Regierungspartnern Silvio Berlusconi und Matteo Salvini.