Der letzte Vorhang fällt
Serena Williams beendet nach den US Open ihre beeindruckende Karriere
Natürlich New York. Wo sonst sollte alles enden für Serena Williams? Dort, wo vor 23 Jahren alles so richtig begann, in einem anderen Jahrhundert, in einer anderen Tennis-Epoche. Damals setzte sie mit dem Grand-Slam-Coup gegen Martina Hingis als 18-jähriger Teenager das erste große Ausrufezeichen, die jüngere der beiden Williams-Schwestern, die ihr Vater Richard als das „unglaublichste Versprechen für die Zukunft“angepriesen hatte.
Nun tritt sie mit 41 noch ein letztes Mal bei den US Open an, es wird eine letzte große Show, ein glitzernder Abschied der TennisMama. Aber ein letztes, triumphales Hurra wird es wohl nicht mehr für die Frau, die in vier verschiedenen Jahrzehnten Titel hamsterte und 23 Major-Pokale einstrich. Die das Tennis so dominierte wie vor ihr nur Steffi Graf in der professionellen Ära dieses Sports.
Tennis ist zuletzt allerdings nicht mehr das ganze Himmelreich der US-Amerikanerin gewesen. Williams wurde 2017 Mutter, sie baute sich ein Imperium von Finanzbeteiligungen auf, wurde millionenschwere Investorin, kämpfte mit vielen Verletzungen und Zweifeln an einem erneuten Comeback. Blieb schließlich wieder und weiter am Ball. Und war hin und wieder noch eine unübersehbare Größe und Erscheinung, wenn auch nicht immer aus den richtigen Gründen.
Hartes Training in schwieriger Umgebung
Vor allem der 8. September 2018 bleibt da in unguter Erinnerung, der Tag, an dem Williams bei ihrer Finalniederlage in New York die
Tenniswelt ins Chaos stürzte und fürs spektakuläre Drama sorgte. Die Bestrafungen, die Williams im verlorenen Finale gegen die junge Japanerin Naomi Osaka einkassierte, waren schnell Teil eines aufgeregten Feldzugs gegen Rassismus und Sexismus. Schiedsrichter Carlos Ramos gegen Williams, Mann gegen Frau, Weiß gegen Schwarz – alles war plötzlich zum Streit freigegeben, unter der Direktion von Williams selbst. „Dieb“und „Lügner“hatte Williams den Unparteiischen gescholten – und nachgelegt: „Die Männer können sich solche Dinge leisten, ohne dass sie ähnlich dafür bestraft werden.“
Für Serena und ihre ältere Schwester Venus begann alles in den berüchtigten Straßen von Compton, einem Stadtteil von Los Angeles. Dort hatte Williams, der Vater der beiden Schwestern, einst die Idee einer Tenniskarriere für seine sogenannten „Cinderellas aus dem Ghetto“. Es ist eine gefährliche Gegend dort, Daddy Williams muss sogar Schutzgeld an eine Gang zahlen, an einen starken Mann im Viertel namens „Leutnant Cool“– dessen Gegenleistung: Ein wenig Sicherheit inmitten der allgemeinen Anarchie.
Vater Williams geht eigene Wege mit seinen Töchtern. Sechs Stunden pro Tag, sechs Tage die Woche geht das Ausbildungsprogramm. Die Williams-Schwestern spielen meist mit Männern Tennis, sie üben Kampfsportarten, und spielen gelegentlich Football. Dabei entwickeln sie jene Muskelpakete, über die später alle Welt mit großen Augen staunt. Nur auf die Tour, hinaus in die große, weite Welt, dürfen sie lange Zeit eben noch nicht. „Wir hatten immer eine Jennifer Capriati als Warnung vor
Augen. Die war mit 14 zwar schon ein weltweiter Superstar, aber mit 17 erledigt“, sagte Williams einmal, „das wollten wir nicht, gerade auch Serena“.
Die unverbrauchten WilliamsSchwestern kommen dann zwar langsam, dabei aber gewaltig in den Wanderzirkus. Ihr kraftvolles, unbarmherziges Spiel reißt die staunenden Massen mit. Ein Spiel, bei dem sie auf jeden einzelnen Ball hauen, als sei es der letzte in ihrem Tennis-Leben. Dazu liefern die Power-Kinder, vor allem aber Serena, wie automatisch noch das unerlässliche Stückchen schriller Show, das in der modernen Mediengesellschaft zum guten Ton und Bild gehört. Doch das narzisstische Entertainment und der steile Aufstieg der beiden Mädchen ist schnell Gegenstand von Getuschel, auch von Neid und Missgunst. Spielen sie gegeneinander in großen Finals, ist von häuslichen Absprachen die Rede.
Immer neue Verletzungsrückschläge
Die oft abweisende, eiskalte Atmosphäre hat der Williams-Clan selbst zu verantworten. Denn Vater Williams will nicht, „dass Serena und Venus Freundinnen im Tennis haben“. Er will Abschottung und Isolierung. Eigentlich genügen sich die Schwestern von Anfang an nur selbst: „Wir sind die besten Freundinnen“, sagt Serena, „wir streiten nie. Seit unserer Kindheit haben wir uns immer gegen alle solidarisiert“.
Das ändert sich auch nie. Die Williams-Welt ist eine eigene Welt im Tennis, sie kennt eigene Prioritäten und Loyalitäten. Serena ist dabei noch etwas offener als ihre Schwester Venus gegenüber den lieben Kolleginnen, sie hat auch
Freundinnen wie Caroline Wozniacki oder Viktoria Azarenka, aber wenn es hart auf hart kommt, zählt nur die Familie. Was Serena nur wenige zutrauen, ist der ganz lange Atem in ihrer Karriere, durch alle Höhen und Tiefen, durch immer neue Verletzungsrückschläge, durch eine lebensbedrohliche Lungenembolie, durch eine komplizierte Geburt von Töchterchen Olympia. Zehn ihrer 23 Grand Slam-Titel gewann sie jenseits der Dreißig, was sie selbst am meisten erstaunt: „Es ist eine verrückt lange Zeit, die ich schon unterwegs bin. Das hätte ich mir, ehrlich gesagt, niemals vorstellen können.“Wieder und wieder jagt sie zuletzt dem ewigen Grand-Slam-Rekord nach, den 24 Titeln, die bisher nur die Australierin Margaret CourtSmith schaffte. Aber gleich vier Mal scheitert sie in Finalmatches. Anfang 2020 gewinnt sie ihren vorerst letzten Titel, im neuseeländischen Auckland, sagt damals zu ihrem harten Training – auch mit Ex-Boxweltmeister Mike Tyson: „Wenn du gegen Spielerinnen bestehen willst, die deine Töchter sein könnten, darfst du keine Kompromisse machen.“
Disqualifikation und unwürdiger Auftritt
Unumstritten war Williams nie. In der Anfangszeit ihrer Laufbahn galt sie als launische, kapriziöse Wettkämpferin. Oft fehlte sie über Wochen und Monate, war wie in der Endphase der Karriere so etwas wie eine Teilzeitarbeiterin auf der Tour. Und dann waren da immer wieder die Ausraster. Matches, bei denen sie einfach in der Hitze des Gefechts die Contenance verlor, zu gerne in New York. 2009 war sie im US-OpenHalbfinalmatch gegen die Belgierin
Serena Williams muss morgen in der ersten Runde gegen Danka Kovinic auf der Hut sein.
Kim Clijsters sogar disqualifiziert worden, nachdem sie einer Linienrichterin angedroht hatte: „Bei Gott, ich stopfe Dir einen dieser verdammten Bälle in den Hals, ich schwöre es.“Für den BlackOut wurde sie dann noch mit einer 175 000-Dollar-Strafe belegt.
Zwei Jahre später, im Big-AppleFinale der Saison 2011 gegen die Australierin Sam Stosur, geriet die jüngere der beiden WilliamsSchwestern mit der griechischen Schiedsrichterin
Eva AsderakiMoore aneinander und beleidigte sie mit den
Worten: „Du bist hässlich von innen.“Entschuldigt hat sie sich nie für dieses unwürdige Auftreten.
Williams gilt vielen in der amerikanischen
Heimat dennoch als
Ikone auch im Kampf um Bürgerrechte, im
Kampf um Gleichbehandlung der Geschlechter und Rassen. Und auch noch als Beispiel dafür, zu welchen Großtaten eine tennisspielende Mutter in der Lage ist. Anderen wiederum missfällt, wie die jüngere WilliamsSchwester gesellschaftliche Konfliktthemen quasi in Geiselhaft nimmt, um gelegentlich ihr mögliches Fehl-Verhalten zu erklären.
Welchen Einfluss, welche Wirkungsmacht die Ausnahmespielerin hat, war und ist in jedem Fall unübersehbar, immer wieder in den Jahren, in denen der Tenniszirkus in New York Station macht – dem Ausgangs- und Endpunkt der Serena-Karriere. Als sie vor vier Jahren jenes Spiel gegen Osaka unter denkwürdigen Umständen verlor, hob eine riesenhafte Debatte an. Fast jede prominente Stimme des Sports wurde seinerzeit zur Causa Serena befragt und nahm dann auch Stellung, das Thema ging durch die Talkshows nicht nur in Amerika, sondern auf allen Kontinenten.
Was bleibt von Serena Williams? Sportlich hat sie alle aus ihrer und den nachfolgenden Generationen weit in den Schatten gestellt, aber in ihrer Relevanz jenseits der Centre Courts wirkt sie dann doch längst nicht so bedeutend wie etwa die Begründerin des professionellen Frauentennis, Billie Jean King oder Martina Navratilova. Vielleicht, weil dieses Duo mehr ans Wir als ans Ich dachte. Während der Karriere – und auch später.