Kläger dürfen hoffen
Verwaltungsgerichtshof weist Umweltministerium in seine Schranken
Wer träumt nicht von einem Häuschen im Grünen? Für manche geht der Traum in Erfüllung. Wer allerdings sein Haus renovieren oder umbauen möchte, hat schlechte Karten. Dafür braucht man eine Genehmigung des Umweltministeriums, und die ist nur schwer zu bekommen.
Was in der Grünzone erlaubt ist und was nicht, ist im Naturschutzgesetz geregelt. Die Kriterien für bestehende Gebäude in der Grünzone, besonders für Wohnhäuser, sind sehr streng: So darf im Prinzip nur innerhalb der bestehenden Mauern renoviert werden, es dürfen keine zusätzlichen Räume geschaffen und das Volumen nicht erhöht werden. Vergrößerungen sind nicht erlaubt, es sei denn, das Gebäude wird im Rahmen einer betrieblichen, etwa einer landwirtschaftlichen Aktivität genutzt.
Häuser, die einst illegal errichtet wurden oder für die die Besitzer keine gültige Baugenehmigung vorweisen können, dürfen nicht renoviert, umgebaut oder vergrößert werden.
Wird ein Wohnhaus in der Grünzone durch höhere Gewalt (Sturm, Explosion, Brand) zerstört, erlaubt das Gesetz zwar neuerdings einen Wiederaufbau, aber unter strikten Bedingungen. So muss das Haus zum Zeitpunkt des Vorfalls als Hauptwohnsitz gedient haben und auch später dienen. Man muss beweisen, dass die Zerstörung durch höhere Gewalt geschah und der Antrag für den Wiederaufbau muss innerhalb von zwei Jahren eingereicht werden.
Chalet durch Brandstiftung zerstört Marc Belli ist ein solcher Fall. Von seinem Chalet in Stadtbredimus ist nichts mehr übrig. Belli erwarb es im Juni 2016. Wann genau es gebaut wurde, ist unklar, aber Belli besitzt eine Genehmigung aus dem Jahr 1979 für den Wiederaufbau des Chalets.
Das Haus wurde in der Nacht zum 17. Oktober 2018 durch ein Feuer zerstört. Die Polizei geht von Brandstiftung aus, die Justiz ermittelt. Belli reichte im März 2019 einen Antrag für einen Wiederaufbau ein. Doch das Umweltministerium verweigerte die Genehmigung. Es argumentierte, ein Wiederaufbau des Hauses komme einem Neubau gleich und das sei laut Artikel 6 des Naturschutzgesetzes nicht erlaubt.
Marc Belli reichte Ende Juli 2020 ein Gnadengesuch (Recours gracieux) beim Ministerium ein. Elf Monate später erreichte ihn die negative Antwort. Belli nahm sich einen Anwalt. Dieser bat die Ministerin, ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken und den Wiederaufbau zu genehmigen. Der Anwalt berief sich dabei auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 10. März 2022. In diesem Urteil sagen die Richter, dass es möglich sein muss, eine durch höhere Gewalt zerstörte Konstruktion wieder aufzurichten. Doch die Ministerin blieb bei ihrer Entscheidung. Zu diesem Zeitpunkt war das abgeänderte Gesetz, das einen Wiederaufbau unter bestimmten Bedingungen erlaubt, noch nicht in Kraft.
Ein Novum in der Rechtsprechung Der Fall Belli ist noch nicht abgeschlossen. Er soll Ende September 2023 vor dem Verwaltungsgericht verhandelt werden. Dabei könnte dem Mann ein neues Urteil vom Verwaltungsgerichtshof von Nutzen sein, das am 20. Juli 2022 erging. Es handelt sich um ein Urteil von großer Schlagkraft, das eine Art Zeitenwende einläutet. Ein Novum in der Rechtsprechung.
In dem Fall geht es um ein Ehepaar, das ein Wohngebäude in einer Grünzone an der Mosel besitzt. Das Paar wollte das Haus renovieren und umbauen und reichte am 22. August 2019 einen Antrag beim Umweltministerium ein. An der Dimension des Hauses sollte sich nichts ändern, allerdings sahen die Pläne unter anderem eine Anhebung des Dachs um einen Meter vor. Eine strategische Umweltprüfung ergab, dass tiefer gehende Impaktstudien nicht nötig seien. Der Antrag wurde abgelehnt.
Das Umweltministerium fand, es handle sich nicht um einen Umbau, sondern um eine Vergrößerung. Eine Vergrößerung aber, so die frühere Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng) in ihrer Antwort vom 21. November 2019, sei nur möglich, wenn das Gebäude im Rahmen einer betrieblichen Aktivität (Landwirtschaft, Weinbau, Fischzucht usw.) genutzt werde. Das sei nicht der Fall.
Das Paar reichte am 21. Februar 2020 ein Gnadengesuch beim Umweltministerium ein, erhielt darauf aber keine Antwort. Also beschloss das Paar, gerichtlich gegen die Entscheidung des Umweltministeriums vorzugehen.
In einem ersten Urteil vom 10. Januar 2022 gab das Verwaltungsgericht dem Ehepaar recht und ordnete die Annullierung der staatlichen Entscheidung an. Das Ministerium ging dagegen in Berufung. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Urteil aus erster Instanz in vollem Umfang bestätigt und die Entscheidung annulliert. Dagegen kann der Staat nun nicht mehr vorgehen.
Staat verstößt gegen Verfassung Interessant ist, dass es viel mehr ist als ein Urteil, das eine staatliche Entscheidung annulliert. Es weist den Staat in seine Schranken, schiebt dem Vorgehen des Ministeriums einen Riegel vor. Dieses Urteil könnte Auswirkungen auf künftige Rechtsprechungen haben – zugunsten von Klägern.
Die Richter werfen dem Ministerium vor, Bestimmungen aus dem Naturschutzgesetz – in diesem Fall Artikel 6 und 7 – zu strikt anzuwenden. Damit verstoße der Staat gegen die Verfassung (Artikel 11 bis und 16), gegen rechtsstaatliche Prinzipien und gegen Artikel 1 des Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Schutz des Eigentums) – allesamt höhere Prinzipien, denen sich die Gesetze unterordnen müssen, so die Richter.
In diesem konkreten Fall stehen zwei Prinzipien im Fokus: das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und das Prinzip der Nachhaltigkeit. Zunächst die Verhältnismäßigkeit. Das Ministerium verweigert die Genehmigung mit dem Argument, es handle sich um eine Vergrößerung und die sei laut Artikel 7 verboten. Die Richter aber meinen, dass das Verbot nicht im Verhältnis zur Sache steht, das heißt, dass der Umfang der geplanten Arbeiten ein Verbot nicht rechtfertigt.
Zum Prinzip der Nachhaltigkeit: In Artikel 11bis der Verfassung steht, dass der Staat den Schutz der menschlichen und der natürlichen Umwelt gewährleisten muss, indem er auf ein dauerhaftes Gleichgewicht zwischen der Erhaltung der Natur, insbesondere ihrer Erneuerungsfähigkeit, und der Befriedigung der Bedürfnisse gegenwärtiger und künftiger Generationen hinwirkt. Die Richter sehen einen Verstoß gegen diesen Artikel und weisen den Staat darauf hin, dass er nicht nur die Pflicht hat, die Umwelt zu schützen, sondern auch die Nachhaltigkeit von Gebäuden in der Grünzone sicherzustellen.
Was schadet es der Natur, wenn ein altes Haus in der Grünzone energetisch saniert, Fenster eingebaut und das Dach angehoben wird? Jean-Claude Kirpach, früherer hoher Beamter im Umweltministerium
Häuser dem Verfall ausgesetzt
Die Richter sehen die Gefahr, dass die oft viele Jahrzehnte alten Gebäude in der Grünzone dem Verfall ausgesetzt sind, weil es für sie infolge der strikten Gesetzgebung keine Perspektive gibt. Die Richter sprechen diesbezüglich von einem „gâchis potentiel“und sagen, dass Besitzern die Möglichkeit zugestanden werden müsse, ihre alten Häuser modernen Standards anzupassen. Dazu zählen etwa die energetische Sanierung, aber auch die Dacherneuerung, eine neue Raumaufteilung, eine Anhebung der Raumhöhe oder ein Fensteraustausch.
Letzten Endes dienten die Umbauarbeiten dem Ziel, das Haus im Sinne der nachhaltigen Entwicklung
Von Marc Bellis Chalet in Stadtbredimus ist nur noch die Bodenplatte zu erkennen. Es wurde im Oktober 2018 durch ein Feuer zerstört.
zu verbessern, so die Richter – und kommen zum Schluss, dass die strikte Anwendung von Artikel 6 und 7 des Naturschutzgesetzes sowohl dem Prinzip der Nachhaltigkeit zuwiderläuft als auch der Gewährleistung der menschlichen Entwicklung und sogar der Achtung der natürlichen Rechte der Menschen, in ihrem Haus in der Grünzone angemessen zu leben und es an die Moderne anzupassen.
Sie schreiben, „que des constructions accusant plus d’un demisiècle, voire en l’occurrence un siècle d’existence et qui rapportent par là-même la preuve de leur durabilité, méritent précisément en termes de durabilité, de rationalité et de proportionnalité que des solutions valables puissent être dégagées par l’ordonnancement juridique applicable pour que leur maintien en place puisse être garanti également en zone verte pour les décennies, voire les centenaires à venir“.
Die Richter argumentieren weiter, dass die Präsenz von Wohnhäusern in der Grünzone Teil der luxemburgischen Siedlungsgeschichte ist. Viele Bauernhöfe, Wind- oder Wassermühlen seien außerhalb der Ortschaften in einer Grünzone entstanden. Natürlich könne die Präsenz von Menschen in Grünzonen einen negativen Impakt auf die Umwelt haben, schreiben die Richter, aber: „... il n’en reste pas moins que de longue date un équilibre a pu être valablement instauré par les habitants et pour les habitations – essentiellement par seuils – en zone verte par rapport à leur environnement naturel, sans que le bilan afférent n’ait été nécessairement négatif pour cet environnement“. Damit bringen die Richter zum Ausdruck, dass ein isolierter Bauernhof oder eine Wassermühle zur Verschönerung des Landschaftsbilds beitragen, die Umwelt also aufwerten kann.
Das Umweltministerium hat diesbezüglich eine völlig andere Sicht. Für das Ministerium ist die Grünzone eine Zone, in der grundsätzlich nicht gebaut werden darf. Es spricht in dem Zusammenhang vom „Principe de non-constructibilité“und hat das Naturschutzgesetz nach diesem Prinzip ausgerichtet. Die Richter aber sagen: Es hat schon immer Ausnahmen gegeben und es wird auch weiterhin Ausnahmen geben. Insofern sei das „Principe de non-constructibilité en zone verte“allenfalls ein relatives, auf keinen Fall aber ein absolutes.
Problem des Recours en annulation Gegen das Urteil kann der Staat nicht mehr vorgehen. Das löst aber nicht das Problem des Ehepaars, denn laut dem Naturschutzgesetz von 2018 kann der Richter die Entscheidung des Ministeriums lediglich annullieren (Recours en annulation). Was das Umweltministerium nun macht, bleibt abzuwarten. Im Prinzip muss es innerhalb von drei Monaten eine neue Entscheidung treffen, die konform zum Urteil ist. Theoretisch aber kann es die Genehmigung aufgrund einer neuen Argumentation erneut verweigern.
Das war früher anders. Vor dem Gesetz von 2018 gab es den Recours en réformation, der es Richtern erlaubte, an die Stelle des Staates zu treten und eine Ent
Eine Zäsur in der Rechtsprechung Das Urteil bildet eine Zäsur in der Rechtsprechung. Sämtliche Anwälte, die Mandanten in ähnlichen Fällen vertreten, werden sich auf dieses Urteil berufen. „Die Richter können dieses Urteil nicht übergehen oder ignorieren, denn der Gerichtshof steht über dem Verwaltungsgericht“, sagt JeanClaude Kirpach, früherer hoher Beamter im Umweltministerium, der in seiner Rente für eine Anwaltskanzlei arbeitet.
Er wirft den Beamten im Umweltministerium vor, die Vorstellung zu haben, „dass der Mensch innerhalb des Bauperimeters wohnen und aus der Grünzone völlig verschwinden soll. Das ist grundlegend konträr zum geschichtlichen Verständnis unserer Landschaft. Wer das propagiert, versteht nicht nur nichts von Ökologie, sondern auch nichts von der Siedlungsgeschichte unseres Landes.“
Kirpach fühlt sich durch die Argumentation der Richter bestätigt in seiner Ansicht, dass die Interpretation des Gesetzes durch das Ministerium völlig am Ziel vorbeischießt und dass dessen Verständnis von Naturschutz grundlegend infrage gestellt werden muss. „Was schadet es der Natur, wenn ein altes Haus in der Grünzone instandgesetzt, energetisch saniert, Fenster eingebaut und das Dach angehoben wird?“, fragt er. „Das Verbot hat ganz offensichtlich keinen Vorteil für die Natur, genauso wenig wie ein Umbau in einem angemessenen Rahmen einen Nachteil für die Natur hat. Der Umwelt ist es ziemlich egal, ob mein Haus ein Fenster mehr oder weniger hat.“
Kirpach bezeichnet die Interpretation des Naturschutzgesetzes durch das Umweltministerium als konträr zu den in Artikel 1 aufgeführten Zielen. „Mit seiner Interpretation schadet das Ministerium der Natur und es demotiviert Menschen, die sich für die Natur einsetzen wollen.“
Ball liegt beim Umweltministerium Die Richter fordern keine Gesetzesänderung, aber sie fordern den Staat auf, das Gesetz so anzuwenden, dass es im Einklang steht mit den oben genannten höheren Prinzipien. Was bedeutet das jetzt? Umweltministerin Joëlle Welfring (Déi Gréng) sagte Mitte August im Gespräch mit dem „Luxemburger Wort“, sie werde das Gesetz anpassen. Was genau sie ändern werde, könne sie noch nicht sagen.