Ein Urteil mit Schlagkraft
Natur- und Umweltschutz sind vielen Menschen in diesem Land sehr wichtig. Das Bewusstsein ist da, das Gesetz auch. In Artikel 1 des Naturschutzgesetzes von 2018 sind die Ziele definiert. Die folgenden Artikel sollen dafür sorgen, diese Ziele zu erreichen. Doch was seit dem Inkrafttreten des Gesetzes staatlicherseits im Namen des Naturschutzes passiert, hat kaum noch etwas mit Naturschutz zu tun.
Das Kampfgebiet des Umweltministeriums sind die Grünzonen. Dort ist grundsätzlich alles verboten, zumindest wenn es die private Nutzung betrifft. Ein Neubau ist nur im Rahmen einer betrieblichen Aktivität (Landwirtschaft, Weinbau usw.) erlaubt. Der Umbau von bestehenden Konstruktionen, die privat genutzt werden, ist unter strikten Bedingungen erlaubt, doch in der Praxis sieht das anders aus. Das Environnement interpretiert selbst geringfügige Änderungen und Umbauprojekte als Neubau, um sie verbieten zu können. Die Frage, ob die Projekte der Natur schaden, ist nicht von Belang. Es zählt nur das Gesetz.
Das Gesetz bietet dem zuständigen Minister einen breiten Interpretationsspielraum und damit eine enorme Machtfülle, mit der sorgsam umzugehen ist. Doch das tut der Staat nicht. Anders als früher ist man im Environnement nicht mehr bestrebt zu schauen, unter welchen Bedingungen ein Projekt genehmigt werden kann, sondern es wird am Schreibtisch nach einem Artikel im Gesetz gesucht, um es zu verhindern.
Zudem können die Richter die Entscheidungen des Umweltministeriums lediglich annullieren, aber nicht anstelle des Staates entscheiden. Das Ministerium kann die Genehmigung mit einer anderen Argumentation erneut verweigern.
Dass die Anwendung des Gesetzes undemokratisch und von Willkür geprägt ist und häufig auch nicht in Einklang mit den Zielen des Gesetzes steht, wurde an dieser Stelle schon mehrfach moniert. Doch nun liegt ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vor, das diese Einschätzung offiziell bestätigt. Die strikte Anwendung von Artikel 6 und 7 des Naturschutzgesetzes ist verfassungswidrig, verstößt gegen rechtsstaatliche Prinzipien und gegen die internationale Menschenrechtsordnung, schreiben die Richter. Deren Argumente sind genereller Natur und lassen sich auf viele ähnliche Fälle übertragen.
Leider ziehen nur wenige Menschen gegen das Ministerium vor Gericht. Das spielt ihm in die Karten. Das falsche Verständnis von Naturschutz und die undemokratische Interpretation des Gesetzes setzen sich unbehelligt durch, erst unter Carole Dieschbourg, jetzt unter Joëlle Welfring (beide Déi Gréng).
Ist das Naturschutzpolitik im Sinne von Déi Gréng und ihren Wählern? Passt das zu ihrer Auffassung einer demokratischen, gerechten und nachhaltigen Gesellschaft, zu ihrem freiheitlichen Denken?
Welfring will das Gesetz ändern. Bleibt zu hoffen, dass sie sich ernsthaft mit dem Inhalt des Urteils auseinandersetzt, der verfassungs- und menschenrechtswidrigen Vorgehensweise ein Ende setzt und eine Politik in Gang bringt, die der Natur dient und die Menschen achtet, statt sie als potenzielle Umweltsünder unter Generalverdacht zu stellen.
Das Urteil kann eine echte Chance sein – für die Ministerin, für die Grünen, vor allem aber für die Natur.
Ist das Naturschutzpolitik im Sinne von Déi Gréng und ihren Wählern?
Kontakt: michele.gantenbein@wort.lu