Kalter Herbst
Die deutsche Regierung kennt die Probleme der Regierten – löst sie aber bislang nicht
Am Montagvormittag redet sich Robert Habeck mal wieder, wie man so sagt, den Mund fusselig. Es geht um die Bewältigung des Problems, das den Deutschen – Regierenden wie Regierten – gerade schwere Sorgen macht: die Aussicht auf einen kalten Herbst. Und einen eisigen Winter. „Die Märkte“, sagt der grüne, für die Energie wie fürs Klima zuständige Bundeswirtschaftsminister, „werden sich beruhigen.“
Das ist, sollte es sich bewahrheiten, eine gute Nachricht. Habeck redet vom Gas, dessen Preis detoniert ist, seit Russland die Ukraine überfallen hat und wegen der Reaktionen von EU und NATO immer weniger davon nach Deutschland liefert. Trotzdem sind laut Habeck die Speicher nun zu 83 Prozent gefüllt – mehr als gesetzlich gefordert. Das führe dazu, sagt der Minister, „dass wir nicht mehr für jeden Preis einkaufen werden“.
„Wir“klingt nach Bundesregierung. Aber gemeint sind die Gasversorger. Und die haben es – sollte Habeck Recht behalten – besser als die Verbraucher. Die ja kaufen müssen, zu jedem
Preis. Und nicht allein Gas.
Seit Monaten steigen die Preise in allen Bereichen, die Inflation betrug im Juli 7,5 Prozent. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit im hinteren Drittel; für deutsche Verhältnisse aber ist die Quote angsterregend hoch.
Gaspreis hat sich seit Februar verdreifacht
Ein bisschen hat die Furcht historische Gründe: die Hyperinflation von 1923 – von der die Deutschen Bilder im Kopf haben von Schubkarren voller Papiergeld und Erzählungen von Eiern, die irgendwann 320 Milliarden Mark kosteten, pro Stück. Auch Irrationales schürt die Angst: Die 100-JahreMarke, der sich jene Armutserzeugung nähert, und die Tatsache, dass sie mit einem Krieg zu tun hatte – als Folge der 1918 in Versailles festgelegten Reparationszahlungen.
Aber grundsätzlich genügen ja schon die Fakten. Der Gaspreis – aktuell der zentrale Bezugswert – hat sich seit Februar verdreifacht; ab Donnerstag soll die Gasumlage obenauf kommen. Gleichzeitig fällt nach drei Monaten der sogenannte Tankrabatt weg. Und das NeunEuro-Ticket läuft aus. Seit Wochen streitet die Koalition, was danach kommen soll. Seit dem Wochenende obendrein über die Gasumlage. Es hat sich herausgestellt, dass die auch Unternehmen beantragen wollen, die sie gar nicht brauchen. Weil sie, beispielsweise, in anderen Bereichen fette Gewinne erzielen.
Nicht bloß die Opposition nennt das ungeheuerlich. Auch die Koalitionspartner werden öffentlich grob. Gegen die Gaslieferanten, denen SPD-Co-Vorsitzender Lars Klingbeil „unanständige Trittbrettfahrerei“vorwirft. Aber auch gegen Habeck – dem er „handwerkliche Fehler“vorhält. Nun steht Habeck, der Vizekanzler, unter Druck. Und gibt das auch zu. „Ich bin in keiner guten Position.“Aber das ist der Vizevizekanzler Christian Lindner auch nicht. Seine Wähler sind sauer, weil sie nicht FDP pur kriegen. Was analog auch für viele gilt, die sich vor knapp einem Jahr für die SPD entschieden haben.
AfD und Linke rufen bereits auf die Straßen. Und Rechtsextreme und Querdenker haben die Energiekrise als neues Thema entdeckt.
FDP gegen Vermögensund Übergewinnsteuer
Die haben mit dem „Respekt“für ihre Lebenslage gerechnet, den Bundeskanzler Olaf Scholz im Wahlkampf versprochen hat. Jetzt rechnen viele mit dem letzten Cent. Und mit hunderten Euros, die sie nicht haben. Berichtet die Autorin Julia Friedrichs, die für ihr 2021 erschienenes Buch „Working Class“Menschen begleitet hat, die versuchen müssen, ausschließlich von ihrer Arbeit zu leben, nun dem „Tagesspiegel“: „Grundbedürfnisse wie Essen, Heizen, Mobilität sind in vielen Familien nicht mehr zu gewährleisten.“
Die Ampel, sagt Friedrichs, habe in ihrem Koalitionsvertrag darauf verzichtet, für diese Arbeitenden ein Modell zum Vermögensaufbau vorzusehen. Gleichzeitig schafften es „die Vermögenden“, sich auch aus dieser Krise „heraus zu stibitzen“. Politisch ausgedrückt: Die FDP blockiert die Vermögenssteuer, die SPD und Grüne jetzt lieber denn je einführen würden. Und eine Übergewinnsteuer für die Krisengewinnler unter den Unternehmen – wie Italien sie eingeführt hat – auch.
AfD und Linke rufen zum Protest auf
Über all das werden die Regierenden ab heute reden. Bei der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg, die bis morgen dauert. Dann sollte das von Scholz angekündigte „dritte Entlastungspaket“geschnürt sein; und, fast noch wichtiger, finanziert. Die SPD-Fraktion hat übers Wochenende schon mal ihre Vorstellungen durchgestochen. Unmöglich ohne Aussetzen der Schuldenbremse – die bislang aber nicht in Frage steht.
Eventuell reden Scholz und Habeck und Lindner und die anderen auch darüber, ob sie mit öffentlichem Protest rechnen, falls die dritte Entlastung, auf die sich die Ampler am Ende einigen können, wieder nicht reicht. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock hatte im Juli einmal „Volksaufstände“erwähnt – und auf Nachfragen gesagt, sie habe „bewusst sehr zugespitzt formuliert“.
AfD und Linke rufen bereits auf die Straßen. Und Rechtsextreme und Querdenker haben die Energiekrise als neues Thema entdeckt. Nicht heraus ist, ob das reicht, um den kalten Herbst zu verwandeln. In einen heißen.
Wir werden nicht mehr zu jedem Preis Gas einkaufen müssen. Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister