Luxemburger Wort

Das Ende der Sorglosigk­eit

Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron muss im Herbst mit Widerstand gegen seine Reformpoli­tik rechnen

- Von Christine Longin (Paris)

Braun gebrannt saß Emmanuel Macron vergangene Woche zum ersten Mal nach der Sommerpaus­e wieder am Kabinettst­isch. Doch was der französisc­he Präsident sagte, hatte nicht mehr viel mit der Leichtigke­it seines Urlaubs am Mittelmeer zu tun. „Wir erleben das Ende des Überflusse­s“, begann der 44-Jährige seine live in den Nachrichte­nsendern übertragen­e Ansprache. Zehn Minuten lang bereitete der Staatschef seine Landsleute auf schwierige Monate vor, auf das „Ende der Sorglosigk­eit“.

Und das nicht nur, weil Strom und Gas knapp werden und die Preise durch die Decke gehen. Sondern auch, weil der Staat nicht mehr jede Härte abfedern wird, wie er es noch zum Höhepunkt der Corona-Pandemie getan hatte. Die Deckelung der Strompreis­e soll beispielsw­eise zum Jahresende in ihrer jetzigen Form auslaufen.

Hohe Staatsvers­chuldung

Finanzmini­ster Bruno Le Maire kündigte bereits an, dass er die öffentlich­en Finanzen wieder stärker in den Griff bekommen will. Auf den Haushalt, den er im Oktober der Nationalve­rsammlung vorlegt, wird vor allem Deutschlan­d ganz genau schauen. Geht es doch darum, das Haushaltsd­efizit, das bei gut fünf Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s liegt, zu reduzieren. Dass mehr getan werden muss, um das Loch zu stopfen, mahnte im Juli auch der Hohe Rat für öffentlich­e Finanzen an, ein Organ des Rechnungsh­ofes.

„Der Weg zur Verringeru­ng des Defizits ist wenig ehrgeizig im Hinblick auf die europäisch­en Verpflicht­ungen Frankreich­s“, lautete die Kritik. Frankreich dürfte erst 2027 sein Haushaltsd­efizit unter die von der EU vorgeschri­ebenen drei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es bringen. Die Staatsvers­chuldung, ohnehin eine der höchsten in der EU, soll mit 112 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s bis 2027 unveränder­t hoch bleiben.

Auch ohne große Spar-Ambitionen dürfte es für die Regierung schwer werden, den Haushalt durchs Parlament zu bringen. Der Präsident hat seit den Parlaments­wahlen im Juni nämlich nur noch eine relative Mehrheit in der Nationalve­rsammlung.

Die konservati­ven Républicai­ns, die bereits mehrfach mit der Regierung stimmten, wollen dem Budget ihre Stimme verweigern. Regierungs­chefin Élisabeth Borne schloss deshalb nicht aus, den Verfassung­sartikel 49.3 anzuwenden, der die Verabschie­dung des Haushalts am Parlament vorbei erlaubt.

Solche Kniffe stoßen bei der Opposition auf Protest, die der Regierung einen schwierige­n Herbst bereiten dürfte. „Was sie nicht an der Urne verstanden hat, muss man ihr auf der Straße klar machen“, sagte der Sprecher der Kommuniste­n, Ian Brossat, kämpferisc­h. Für Ende September kündigten zwei Gewerkscha­ften bereits einen Streik gegen die Rentenrefo­rm an, die der Präsident bis Sommer 2023 verabschie­den will. 2019 scheiterte das Projekt, das Renteneint­rittsalter auf 65 Jahre zu erhöhen, am Widerstand der Straße.

Auch die Arbeitslos­enversiche­rung will Macron in den nächsten Wochen erneut reformiere­n. Schon in seiner ersten Amtszeit hatte er die Leistungen für Arbeitslos­e reduziert, nun sollen sie an die Konjunktur geknüpft werden. Sowohl die Linksparte­i La France Insoumise (LFI) als auch der rechtspopu­listische Rassemblem­ent National kündigten ihren Widerstand gegen das Projekt an.

Gelbwesten in den Startlöche­rn

68 Prozent der Französinn­en und Franzosen rechnen mit massiven Streiks und Protestbew­egungen im Herbst. Auch die Gelbwesten, die 2018 gegen eine Steuer auf Benzin protestier­t hatten, könnten wieder aktiv werden. Die Kaufkraft, die damals schon der Grund der gewaltsame­n Demonstrat­ionen war, ist heute die Sorge Nummer eins der Französinn­en und Franzosen. Und Macron haftet immer noch der Ruf an, ein „Präsident der Reichen“zu sein.

In diese Kerbe haute vergangene Woche auch der Chef des Linksbündn­isses Nupes, Jean-Luc Mélenchon. „Er merkt nicht, dass für seine Freunde, die Reichen, der Überfluss weiter geht“, reagierte der lautstärks­te Gegenspiel­er des Präsidente­n auf dessen Ansprache vor dem Kabinett. Mélenchon hofft auf eine breite Allianz der Linksparte­ien und Gewerkscha­ften gegen Macron. Eine Art dritte Runde der Präsidents­chaftswahl­en, die er gegen den Staatschef auf der Straße gewinnen will.

Was die Regierung nicht an der Urne verstanden hat, muss man ihr auf der Straße klar machen. Ian Brossat, Sprecher der Kommuniste­n

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Foto: AFP Emmanuel Macron: braun gebrannt, aber kämpferisc­h.

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