Alte Rezepte gegen neue Methoden
In Brasilien nimmt der Wahlkampf zwischen Demokrat Lula und Antidemokrat Bolsonaro an Fahrt auf
Kaum hatte der Wahlkampf in Brasilien begonnen, lief er sofort auf Hochtouren. Die Kandidaten Jair Bolsonaro und Luiz Inácio Lula da Silva starteten im Angriffsmodus. Bis zur ersten Runde am 2. Oktober bleibt auch wenig Zeit, um Unentschlossene zu überzeugen. Insbesondere der amtierende rechtsradikale Staatschef Bolsonaro, der um seine Wiederwahl fürchten muss, greift dabei auf die bekannten Werkzeuge zurück: das Umgarnen der religiösen Wähler und der ärmsten Brasilianerinnen und Brasilianer. Aber vor allem arbeitet er mit Lügen, Drohungen und stellt das Wahlsystem und damit die Demokratie infrage.
Und er hat dabei einflussreiche Helfer.
Vergangene Woche durchsuchte die Polizei die Häuser von acht Unternehmern, die den Amtsinhaber unterstützen und in Kurznachrichten mit einem Putsch kokettierten, sollte Herausforderer Lula da Silva von der linken Arbeiterpartei (PT) die Wahl gewinnen. Ein Richter ordnete daraufhin die Sperrung ihrer Bankkonten und ihrer Profile in sozialen Netzwerken an. Bolsonaro-Kumpel wie der Immobilienunternehmer José Koury hatten WhatsApp-Nachrichten verschickt wie diese: „Ich ziehe einen Putsch der Rückkehr der PT vor. Eine Million Mal. Und sicherlich wird niemand aufhören, Geschäfte mit Brasilien zu machen. Wie sie es mit mehreren Diktaturen auf der ganzen Welt tun“, schrieb Koury in dem Messengerdienst.
Dass so etwas die knapp 30 Prozent der Brasilianer abschreckt, die zur unverbrüchlichen Wählerschicht des ehemaligen Offiziers und Diktatur-Freunds Bolsonaro zählen, ist unwahrscheinlich. Sie sind für sachliche Argumente nicht mehr zugänglich. Sie verteidigen ihren Präsidenten, den sie „Mythos“rufen, gegen alle Anfeindungen. Bolsonaros Herausforderer Lula da Silva, die Ikone der Linken Lateinamerikas, regierte Brasilien bereits von 2003 bis 2010.
Extreme treffen aufeinander
Bei der Wahl treffen also die Extreme der brasilianischen Politik aufeinander, ein altlinker Demokrat gegen einen neuen Rechten, dem die Demokratie nur so lange hilft, bis sie ihn an die Macht bringt und er sie dann aushöhlen und langsam abschaffen kann. Es ist der Wettkampf zwischen den beiden meistgeliebten und meistgehassten Politikern Brasiliens. Lula führt die Umfragen derzeit mit knapp 15 Prozentpunkten Vorsprung an. Aber Bolsonaro holt auf.
Die Angst großer Teile der Bevölkerung ist, dass Bolsonaro mithilfe bewaffneter Anhänger und treuer Streitkräfte eine Wahlniederlage nicht anerkennt und tatsächlich putscht. Immer mehr junge und gebildete Brasilianerinnen und Brasilianer verlassen daher das Land. Nach Daten des Außenministeriums von 2021 leben 4,2 Millionen Brasilianer im Ausland, was einem Anstieg von fast 20 Prozent gegenüber 2018, dem Jahr, in dem Bolsonaro gewählt wurde, entspricht. Besonders auffällig dabei: Der Brain-Drain nimmt zu: Immer mehr Familien mit Hochschulabschluss suchen das Weite. Zwischen 2019 und 2020 fiel Brasilien in einer globalen Rangliste der Wettbewerbsfähigkeit, die von der Business School „Insead“erstellt wurde, vom 63. auf den 70. Platz.
Wurde die Wahl 2018 von der Wut der Menschen über die Korruption dominiert, steht dieses Mal die Wirtschaft im Fokus. Diese schwächelt nach wie vor. 2020 brach sie bedingt durch die Pandemie um 4,1 Prozent ein und erholte sich 2021 um 5,2 Prozent. Dieses Jahr entwickelt sich die größte Volksökonomie Lateinamerikas besser als erwartet, allerdings auf einem sehr niedrigen Niveau. Rechneten die meisten Finanzinstitute zum Jahresbeginn noch mit einer Stagnation, so geht die Regierung nun von einem realen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,5 Prozent aus. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erhöhte seine Prognose für das BIP-Wachstum im August auf 1,7 Prozent.
Dazu trägt auch der Krieg in der Ukraine bei. Brasilien leidet, weil es der weltgrößte Importeur russischer Düngemittel war. Auf der anderen Seite kommt dem Land zugute, dass es als Nettoexporteur von den steigenden Weltmarktpreisen für Nahrungsmittel und Energie profitiert.
Der Amtsinhaber, dem die Menschen Inflation, hohe Arbeitslosigkeit und ein katastrophales Pandemie-Management anlasten, setzt im Wahlkampf darauf, mit seinen Sozialprogrammen vor allem dort Stimmen zu holen, wo Lula besonders stark ist. In den armen Staaten des Nordostens. Im Rahmen des Programms „Auxílio Brasil“(Hilfe für Brasilien) erhalten bedürftige Familien monatlich mehr als 100 Euro Hilfe. Es gibt zudem Gutscheine für Kochgas und Direkthilfen für Taxi- und LKW-Fahrer. Dafür gibt Bolsonaro acht Milliarden Dollar an Staatsgeldern aus, was eigentlich verboten ist.
Erfolgskonzept kopiert
„Auxílio Brasil“, das bis 2023 laufen soll, kopiert Lulas Sozialprogramm „Bolsa Família“aus seinen ersten beiden Amtszeiten. Dieses machte ihn über Brasilien hinaus berühmt und führte weite Teile der Armen zeitweise in die untere Mittelschicht. Heute gelten wieder 33 Millionen Menschen in Brasilien als hungernd. Das sind 16 Prozent der Bevölkerung.
Herausforderer Lula da Silva machte bei seinen ersten Auftritten deutlich, dass er auch in diesen neuen Zeiten mit seinen leicht modifizierten alten Rezepten versuchen werde, das Land wieder auf Kurs zu bringen. Die „Reparatur
Brasiliens“, wie er es nennt, soll eine Neuauflage der Politik sein, die er zwischen 2003 und 2010 umgesetzt hat: also vor allem über staatliche Investitions- und Infrastrukturprojekte Arbeitsplätze schaffen. Zudem werde er den illegalen Bergbau im Amazonasgebiet umgehend stoppen, versprach der Linkskandidat.
Er wolle die Umwelt zu einer der Prioritäten seiner Regierung machen. „Wir werden uns um das Klimaproblem kümmern wie nie zuvor.“Und er versprach weiter: „Die Brasilianer waren unter mir glücklicher und haben besser gelebt“. So solle es auch in Zukunft wieder sein.
Schon 2018 wollte Lula gegen Bolsonaro antreten, wurde aber in einem umstrittenen Verfahren wegen Korruption und Geldwäsche zu einer gut zwölfjährigen Haftstrafe verurteilt. Im vergangenen Jahr hob der Oberste Gerichtshof das Urteil auf. Der 76-Jährige erhielt seine politischen Rechte zurück, ging wieder in die Politik und ficht das Duell mit seinem Erzfeind nun aus. „Ich habe gesehen, wie dieses Land zerstört wird. Also habe ich beschlossen, zurückzukehren.“
Immer mehr junge und gebildete Brasilianerinnen und Brasilianer verlassen das Land.
Brasilien leidet, weil es der weltgrößte Importeur russischer Düngemittel war.