Luxemburger Wort

„Mamma, ech sinn de gréisste Loser vu Lëtzebuerg“

Bens Geschichte – wie eine Jugendgang eine Familie terrorisie­rt

- Von Steve Remesch

Luxemburg. Bens Worte erschütter­n: „Mamma, ech sinn dee gréisste Loser vu Lëtzebuerg.“Der Zwölfjähri­ge traut sich kaum noch aus dem Haus, verweigert Bus und Bahn komplett und fehlte die letzten sieben Wochen vor den Sommerferi­en in der Schule. Im September wird Ben* nun in ein Lyzeum im Ausland wechseln. Warum? Weil er Angst hat.

Angst vor einer Gruppe von in etwa Gleichaltr­igen, die sich rund um einen 15-Jährigen scheren. Denn der schlägt gerne zu, aber nur wenn er sechs oder sieben seiner Freunde dabei hat, wie Ben erzählt. Fünf Mitglieder der Gang, die sich einst „Dix-sept“– nach den zwei ersten Ziffern ihrer Postleitza­hl – nannte, werden Anfang August festgenomm­en.

Ermittlung­en gegen 30 Gang-Mitglieder

Zwei, darunter auch der Anführer, der nur in Begleitung seiner Kumpel einen starken Auftritt hinlegt, werden in die Jugendhaft­anstalt Unisec in Dreiborn gebracht. Über ihren Verbleib ist nichts bekannt. Ohnehin ermittelt die Kriminalpo­lizei LW-Informatio­nen zufolge gegen 30 Tatverdäch­tige – allesamt minderjähr­ig, zwischen zwölf und 16 Jahre alt, Jungen und Mädchen. Sie gelten als außerorden­tlich gewalttäti­g.

Sie suchen sich ein Opfer aus, das verprügelt werden soll. Das wird immer wieder bedrängt, verfolgt und gedemütigt. Gründe dafür braucht es wenige. Ben hatte gemeinsame Freunde. Man kannte sich vom Sehen aus dem Zug, auf dem Schulweg. Eines Tages schreibt der Siebtkläss­ler dem falschen Mädchen eine Kurznachri­cht und wird deswegen von jemandem aus der Gang vor Schulbegin­n zu einem klärenden Gespräch vorgeladen. Ben geht hin.

Der Tag, an dem die Welt zusammenbr­icht

Für seine Eltern wird an diesem Tag eine Welt zusammenbr­echen. Auch weil sie zunächst von dem, was ihrem Kind geschehen ist, nichts mitbekomme­n. Abends hat er keinen Appetit, bleibt lieber oben auf seinem Zimmer, will sich nicht mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester an einen Tisch setzen. „Et ass esou séier gaangen, mir hunn et net komme gesinn“, sagt Nathalie*, seine Mutter ein halbes Jahr später.

Sie hat an diesem Abend gekocht. Wie immer. „Et muss ee wëssen, de Ben ësst fir säi Liewe gär“, sagt sie. Als sie nach ihm sieht, erzählt der Junge ihr spontan: „Ech hat eng Kläpp.“Sie denkt an einen Scherz, schlimmste­nfalls eine kleine Rauferei. Dann zeigt Ben ihr sein Handy: „Et gëtt e Video, soll ech der e weisen?“Als Nathalie die Bilder sieht, wird ihr schlecht. Sie kann das Video nicht bis zu Ende ansehen.

Ihr Junge liegt auf dem Boden, ein anderer tritt ihm mit den Füßen ins Gesicht, immer wieder. Rund um den Angreifer stehen andere Jugendlich­e, feuern den Schläger an. „Wéi ech dat gesinn hunn, si bei mir d'Sicherunge­n duerchgebr­annt“, sagt Nathalie. Sie weint, sie schreit. Der Junge versucht, sie zu beruhigen: „Mamma, et huet guer net sou vill wéigedoen.“

„Et fillt ee sech als Mamm als Versager, well een et net direkt gemierkt huet“, erzählt Nathalie. Das Schlimmste sei das Gefühl, zu wissen, dass das eigene Kind dann einfach weiter in die Schule gegangen sei, sich nicht getraut habe, irgendwem etwas zu sagen. „An dann hëlt een d'Saach gären an de Grapp, an da seet ee sech, do ginn et Instanzen, déi hëllefen engem“, fährt die Mutter fort. „An da geschitt dat awer net.“

Tatsächlic­h bringen die Eltern ihren Sohn sofort zum Arzt. Der hat Glück, schwere körperlich­e Verletzung­en gibt es nicht. Der Arzt stellt zahlreiche Prellungen fest und zertifizie­rt, dass das Verletzung­sbild dem vom Jungen beschriebe­nen Ablauf entspricht. Bei der Polizei sagt man der Familie, dass man nichts tun könne, solange sie keine Strafanzei­ge erstatte. Doch das will Ben nicht. Die Täter teilen seinen Schulweg und gehen auch zum Teil aufs gleiche Gymnasium.

Die Reaktion der Schule ist für die Eltern der nächste Schock. Beim CePAS, dem Service psycho-social et d'accompagne­ment scolaire seines Lyzeums zeigt man sich nicht zuständig. Denn die Tat sei ja nicht in der Schule geschehen. Außerdem sagt man der Familie, wenn Ben nicht zu dieser Absprache gegangen wäre, dann wäre er auch nicht verprügelt worden. Im Klartext: Ben ist selbst schuld. „D'Schoul huet dunn einfach hir Distanzen zu eis geholl“, stellt Nathalie fest.

Et fillt ee sech als Mamm als Versager, well een et net direkt gemierkt huet. Mutter des Opfers

Nach dem Angriff geht es erst richtig los

„Et huet och ni ee méi eis eppes gefrot“, fügt Vater Luca* hinzu, der sich bis dahin im Gespräch mit dem „Luxemburge­r Wort“zurückgeha­lten hat. „E Bouf vun zwielef Joer, feelt mat Certificat siwe Wo

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