In Schlagdistanz zu den Besten
Luxemburger Radsport-Nachwuchs überzeugt bei der Tour de l'Avenir auch ohne das absolute Topresultat
Die Tour de l'Avenir ist die wichtigste U23-Rundfahrt des Jahres. Die größten Talente der Welt treffen in ihren jeweiligen Nationalteams bei dem Wettkampf in Frankreich aufeinander. Tadej Pogacar, Egan Bernal, David Gaudu, Marc Soler, Miguel Angel Lopez. Der Blick ins Palmarès verrät: Wer die Tour de l'Avenir gewinnt, dem winkt eine Karriere auf der ganz großen Radsportbühne.
Die diesjährige Ausgabe ging am Sonntag mit dem Gesamtsieg des 19-jährigen belgischen Überfliegers Cian Uijtdebroeks zu Ende. Das Riesentalent, das bei Borahansgrohe unter Vertrag steht, dominierte. Zwei Etappensiege bei den Bergankünften in St-FrançoisLongchamp und La Toussuire sorgten nach neun Etappen für den beruhigenden Vorsprung von 1'23''. „Vor seiner Leistung kann man nur den Hut ziehen. Er hat das souverän gemacht. Sein Talent ist offensichtlich und auch mental scheint er fit zu sein“, analysiert Luxemburgs Nationaltrainer Jempy Drucker, der warnt: „In Belgien sollten sie den Jungen jetzt nicht schon zu früh in den Himmel loben und Wunderdinge von ihm erwarten. Wenn er sich weiter ohne Druck entwickeln kann, steht einer großen Laufbahn nichts im Weg.“
Paquet und Pereira ausgeschieden Der Exprofi begleitete das sechsköpfige Luxemburger Aufgebot bei der Tour de l'Avenir zusammen mit FSCL-Koordinator Fränk Schleck. Loïc Bettendorff, Arthur Kluckers, Tom Paquet, Rafael Pereira, Céric Pries und Mats Wenzel trugen das Luxemburger Nationaltrikot auf den französischen Straßen zwischen der Atlantikküste und den Alpen. Unterm Strich stehen zwei Top-20-Platzierungen zu Buche. Kluckers wird nach neun Tagen 16. (auf 18'42''), Wenzel belegt Platz 19 (auf 24'27''). Als bestes Etappenresultat holte Wenzel einen siebten und einen achten Platz. Der 19-Jährige trug zudem an zwei Renntagen das gepunktete Bergtrikot.
Drucker ist zufrieden. „Sehr sogar“, sagt er und analysiert anschließend: „Es wurde Radsport auf Weltniveau geboten. Das Tempo war hoch und die Streckenführung sehr anspruchsvoll – vor allem an den letzten drei Tagen in den Bergen. Man muss sich nur die Resultate anschauen: 160 Fahrer waren am Start. 75 schaffen es ins Ziel. Da sieht man, wo der Hammer hängt.“
Unser Nachwuchs ist gut. Die Fahrer brauchen sich nicht zu verstecken. Ich denke, diese Message ist bei ihnen angekommen. Nationaltrainer Jempy Drucker
Aus dem Luxemburger Sextett erwischte es Pereira und Paquet. Letzterer wurde krank und stieg nach acht Renntagen aus. Pereira hatte sich auf der vierten Etappe als Ausreißer präsentiert, einen Tag später beim Teamzeitfahren wurde er früh abgehängt und erreichte das Ziel außerhalb des Zeitlimits.
Das soll die Bilanz aus Luxemburger Sicht jedoch nicht schmälern. „Das absolute Spitzenresultat fehlt vielleicht, aber wir waren an einigen Tagen ganz nah dran“, sagt Drucker. Dem 35-Jährigen haben vor allem die Mentalität und der Zusammenhalt im FSCL-Team gefallen. „Wir wussten, dass uns das Terrain in der ersten Woche am besten liegen würde. Also haben wir dementsprechend agiert. Wir haben jede Etappe als Eintagesrennen gesehen und die Gesamtwertung erst einmal außer Acht gelassen. Dass wir hinten heraus im Gebirge ein paar Positionen eingebüßt haben, ist kein Drama. Wir hatten jeden Tag einen Plan und haben immer auf den aus unserer
Sicht besten Fahrer im Team gesetzt. Es ging schon auf der ersten Etappe los. Es gab dort eine Bergwertung. Die sollte einer von unseren Jungs gewinnen. Mats war in der Ausreißergruppe des Tages dabei und holte sich das Trikot. Solche Erlebnisse sorgen für zusätzliche
Jempy Drucker ist mit den Leistungen zufrieden. Motivation im Team. Es entsteht gleich eine positive Dynamik.“
Und so ging es weiter. Das Team Lëtzebuerg tauchte oft ganz vorne im Peloton auf. „Wir haben das Heft in die Hand genommen. Das war gut. Wir waren nicht am Start, um einfach nur mitzufahren. Wir wollten der Tour de l'Avenir unseren Stempel aufdrücken. Das ist uns gelungen. Unser Nachwuchs ist gut. Die Fahrer brauchen sich nicht zu verstecken. Ich denke, diese Message ist bei ihnen angekommen.“
Wenzel überzeugt in den Bergen
Das Teamzeitfahren hat diesen Eindruck bestärkt. Platz zehn unter 27 Mannschaften sprang heraus. Nach 28 Kilometern waren die Luxemburger 1'08'' langsamer als die siegreichen Deutschen. Nur 34 Sekunden fehlten zu Rang fünf. „Das zeigt wie homogen die Mannschaft war und wie gut sie harmoniert hat“, unterstreicht Drucker.
Neben Kluckers hat vor allem Wenzel für Aufmerksamkeit gesorgt. Der Leopard-Fahrer fuhr bei der Bergankunft in St-FrançoisLongchamp auf Rang acht. Auf der vorletzten Etappe, die über den Col de la Madeleine und dann bis hinauf La Touissuire führte, bezahlte er die Anstrengungen etwas. „Das ist vollkommen okay. Mats ist noch jung und erst im ersten Jahr Espoir. Für ihn standen in diesem Jahr die schulischen Examen im Vordergrund. Diese Hürde hat er genommen. Er ging mit 16 Renntagen in die Tour de l'Avenir. Das ist nicht viel. Er hat sich sehr gut geschlagen. Es fehlte an den Anstiegen nicht viel, um die Besten bis ins Ziel zu begleiten. Das ist unter den geschilderten Voraussetzungen eine interessante Erkenntnis“, erläutert Drucker.
Für den Nationaltrainer steht mit der WM in Australien (18. bis 25. September) schon sehr bald die nächste Herausforderung auf dem Programm. In drei Wochen will der Luxemburger Nachwuchs erneut beweisen, dass sich die einheimischen Fans mit Recht auf die kommenden Jahre freuen können.