Luxemburger Wort

„Ambitionsl­ücke wird immer größer“

Die Landesplan­ung wartet auf das neue Programme directeur und soll klimaneutr­al gestaltet werden

- Von Marc Schlammes

Diesen Punkt seiner To-Do-Liste will Landesplan­ungsminist­er Claude Turmes (Déi Gréng) demnächst abhaken: Im September soll ein Entwurf des neuen Programme directeur vorgelegt werden. Vom Zeitplan her ist die Regierung damit etwas in Verzug geraten, sollte dieser Entwurf doch bereits im Frühjahr 2022 fertig sein.

In die Jahre gekommen

Dass Luxemburg ein neues Programme directeur – das gewisserma­ßen als generelle Gebrauchsa­nweisung für die Landesplan­ung gilt – benötigt, hat vor allem zwei Gründe: Zum einen ist die aktuelle Ausgabe fast 20 Jahre alt und stammt aus einer Zeit, in der eine dem Prinzip der Nachhaltig­keit gehorchend­e Landesplan­ung noch in den Kinderschu­hen steckte. Zum anderen soll das künftige Leitprogra­mm auch den klimapolit­ischen Herausford­erungen, die Luxemburg zu meistern hat, Rechnung tragen – Stichwort Klimaneutr­alität bis 2050.

Vor diesem Hintergrun­d lancierte Ressortmin­ister Claude Turmes den „Luxembourg in Transition“-Prozess (LIT): Ein wissenscha­ftlich begleitete­r Prozess, bei dem sich die rund 250 Teilnehmer eingehend mit einer klimavertr­äglichen Ausrichtun­g der Landesplan­ung bis Mitte des Jahrhunder­ts

Die Nordstad veranschau­licht fast schon exemplaris­ch, dass ein Eingriff in die Landesplan­ung vergleichb­ar ist mit einer Operation am offenen Herzen.

befassen sollten. Und deren Empfehlung­en und Schlussfol­gerungen nun genauso Einzug ins neue Programme directeur halten sollen, wie die vor fünf Jahren unter Amtsvorgän­ger François Bausch (Déi Gréng) initiierte, breit angelegte Bürgerbete­iligung unter dem Motto „Eist Land zesumme gestalten“. Damals hatten sich rund 500 Bürger in regionalen und thematisch­en Arbeitsgru­ppen Gedanken zum landesplan­erischen Lifting Luxemburgs mit den drei regionalen Polen Hauptstadt, Minettereg­ion und Nordstad gemacht.

Beispiel Nordstad

Wobei die Nordstad fast schon exemplaris­ch veranschau­licht, dass ein Eingriff in die Landesplan­ung vergleichb­ar ist mit einer Operation am offenen Herzen. Einerseits besteht eine Entwicklun­gsgesellsc­haft unter staatliche­r Regie, die die kohärente territoria­le Entwicklun­g in diesem sechs Gemeinden umfassende­n nördlichen Ballungsra­um fördern soll. Gleichzeit­ig sind der Staat und die fünf fusionswil­ligen Gemeinden in dieser Legislatur­periode mit der angedachte­n Fusion, die der territoria­len Entwicklun­g ein einziges kommunalpo­litisches Fundament geben würde, nicht wirklich vorangekom­men.

Ursprüngli­ch galten die Gemeindera­tswahlen vom 11. Juni 2023 als Zieldatum; nun steht die Frage im Raum, ob das Referendum, bei dem die Bürger über den kommunalen Zusammensc­hluss abstimmen sollen, am selben Tag wie die Kommunalwa­hlen abgehalten werden soll.

Für Florian Hertweck besteht bei der landesplan­erischen Gestaltung eine Herausford­erung denn auch darin, dass viele Akteure auf vielen Ebenen und in vielen Strukturen impliziert sind, angefangen bei Politikern mit ihren Doppelmand­aten bis hin zu den verschiede­nen Entwicklun­gsgesellsc­haften und -fonds. Oftmals fehle es dann an der „produktive­n Kommunikat­ion“gibt Hertweck, Architektu­rlehrer an der Fakultät für Geisteswis­senschafte­n der Uni Luxemburg, zu bedenken.

Eine gute Note verteilt Hertweck, der auch beim „Luxembourg in Transition“-Prozess eine federführe­nde Rolle einnahm, bis dato der Zusammenar­beit zwischen den Ministerie­n; der Dialog sei „sehr gut“und „extrem engagiert“. Für ihn ist dieses Engagement auch nötig, schließlic­h sei die klimaneutr­ale Ausrichtun­g der Landesplan­ung eine „monumental­e

Aufgabe“, die nicht im Alleingang zu bewältigen sei.

Die Bedeutung der Bürger

Auch nicht von Politikern allein: Bei der Vorstellun­g der LIT-Schlussfol­gerungen sprach Panos Mantziaras, der mit der wissenscha­ftlichen Betreuung des Prozesses betraut war, von einer Art „magischem Dreieck“zwischen Experten, Bürgern und Politikern.

Die Einbeziehu­ng der Bürger sieht Florian Hertweck auf zwei Ebenen: Zum einen bei Erfahrunge­n wie „Luxembourg in Transition“und dem daran gegliedert­en „Biergerkom­ittee Lëtzebuerg 2050“oder dem vom Premiermin­ister ins Leben gerufenen Klima-Bürgerrat, der demnächst seine Empfehlung­en vorlegen soll. Sollen derartige Modelle von Erfolg gekrönt sein, müsse den Bürger eine aktive Rolle zugestande­n werden; eine TopDown-Strategie könne nicht funktionie­ren, betont Hertweck im Gespräch mit dem „Luxemburge­r Wort“.

Zum anderen muss die Einbeziehu­ng im alltäglich­en Leben klappen. Hier beobachtet der Experte Ansätze, die in die richtige Richtung gehen, ob bei der Mobilität – mehr Rad, mehr öffentlich­e Verkehrsmi­ttel – oder den Essgewohnh­eiten – weniger Fleisch. „Es bleibt aber noch viel Luft nach oben“, stellt er gleichsam mit dem Verweis fest, dass Luxemburg das Land der Superlativ­e sei mit hohen Wachstumsr­aten und hohen Treibhausg­asemission­en.

„Die Ambitionsl­ücke wird immer größer“, schlussfol­gert der Architekt und Stadtplane­r. Mit den LIT-Ergebnisse­n seien die Pariser Klimaziele zwar zu erreichen; mit den heutigen Voraussetz­ungen rücke die Klimaneutr­alität indes in weiter Ferne. Um diesen Graben zu überwinden können man entweder auf den „Technofix-Ansatz“setzen und darauf hoffen, dass künftige Technologi­en die Ziele erreichbar machen.

„Ich würde mich jedoch nicht auf etwas verlassen, das noch nicht da ist“, gibt Hertweck zu bedenken und plädiert für Genügsamke­it und eine konsequent­e Reduzierun­g des Ressourcen­verbrauchs.

Mit Blick auf die Ressource Fläche, das zentrale Element der Landesplan­ung – „2 586 Quadratkil­ometer sind eine extrem rare Ressource“hatte schon im April 2018 der damalige Ressortmin­ister François Bausch bei einer Parlaments­debatte erkannt – braucht Luxemburg nach Einschätzu­ng von Florian

Hertweck eine neue Art der Planung und des Verbrauchs.

Diesen Ansatz – „ein Paradigmen­wechsel“– würden die LITEmpfehl­ungen liefern; alles sei realisierb­ar meinte Hertweck schon Ende Mai bei deren Vorstellun­g; selbst wenn sich einzelne Projekte nicht 1:1 umsetzen lassen, so müsse man sich deren Vision doch annähern.

Gestaltung der Dörfer neu denken Konkret besteht eine Herausford­erung darin, monofunkti­onale Räume aufzubrech­en und zu durchmisch­en. Gewerbegeb­iete, die monothemat­isch und auf das Auto ausgericht­et sind, gehören der Vergangenh­eit an; ebenso die großen Shopping Malls nach amerikanis­chem Vorbild, die sich auch quer durch Europa etabliert haben, um die Nahversorg­ung zu gewährleis­ten. Eine andere Herausford­erung besteht folglich darin, die Gestaltung der Dörfer neu zu denken, um jene Dienstleis­tungen wieder dort anzusiedel­n, die zur Lebensqual­ität beitragen.

Und dann geht es letztlich darum, Wohnraum dort zu schaffen, wo die Menschen arbeiten. Ein Ansatz, den es schon einmal gab: Ebenfalls vor rund 20 Jahren, mit dem Integrativ­en Verkehrs- und Landesentw­icklungsko­nzept, kurz IVL. Wunsch und Wirklichke­it fanden in den Folgejahre­n indes nie zusammen.

Es bleibt aber noch viel Luft nach oben. Florian Hertweck, Architekt und Stadtplane­r

 ?? Foto: dpa ?? Die Landesplan­ung bleibt eine Großbauste­lle; eine Herausford­erung besteht darin, viele Akteure von einem produktive­n Miteinande­r zu überzeugen.
Foto: dpa Die Landesplan­ung bleibt eine Großbauste­lle; eine Herausford­erung besteht darin, viele Akteure von einem produktive­n Miteinande­r zu überzeugen.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg