Asselborn gegen Einreisestopp
EU-Staaten beraten über Verschärfung der Einreiseregeln aus Russland
Die EU steht derzeit vor einem Dilemma: Während in der Ukraine Menschen unter russischen Bomben leiden und sterben, können russische Staatsbürger noch – relativ ungestört – ihren Urlaub in Luxushotels an der Côte d'Azur genießen oder in Paris und Mailand shoppen. Es genügt, über einen Landweg (kommerzielle Flüge in die EU sind praktisch komplett eingestellt) oder über einen Drittstaat wie die Türkei zu reisen, um als Russe die EU zu besuchen.
Der Gedanke, sich eine Terrasse mit Leuten zu teilen, die Putins mörderischen Krieg unterstützen, wirkt für viele Europäer verstörend. Gleichzeitig tun sich viele schwer damit, Russlands Bürger automatisch zu bestrafen und die Tür für jeglichen Austausch zu schließen, indem ein Einreisestopp verhängt wird – besonders auch, weil dies Oppositionellen die Flucht aus Russland erschweren würde. Mit einem Einreisestopp würde der Westen die Sowjetunion wieder herstellen, warnt etwa die russische Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Zoya Svetova in der französischen Zeitung „Le Monde“.
Die Außenminister der Europäischen Union werden bei ihrem Treffen gestern und heute in Prag einen Ausweg aus genau dieser Zwickmühle suchen.
Polen und Balten machen Druck
Das Thema wurde dabei während des Sommers von jenen EU-Staaten auf den Tisch gelegt, die an Russland grenzen. Polen, Estland, Lettland, Finnland und Litauen sind logischerweise am meisten mit dem Problem konfrontiert: Obschon diese Staaten praktisch keine Visa mehr an Russen vergeben, müssen sie dabei zuschauen, wie russische Staatsbürger ihr Land per Landweg erreichen und mit Dokumenten, die von anderen EU-Staaten ausgestellt wurden, dann Richtung Rom oder Paris weiterziehen. „Stoppen Sie die Ausstellung von
Touristenvisa an Russen“, appellierte etwa die estnische Premierministerin Kaja Kallas an ihre EU-Partner
Anfang August. „Europa zu besuchen, ist ein Privileg, kein Menschenrecht. Der Flugverkehr aus Russland wurde eingestellt. Das bedeutet demnach, dass die Nachbarn Russlands die Last der in anderen Schengen-Staaten ausgestellten
Visa tragen. Es ist an der
Zeit, den Tourismus aus Russland zu beenden.“Ein
Argument dafür ist, dass – zumindest laut Umfragen – viele Russen den Krieg in der Ukraine unterstützen. Demnach sollten „normale Russen“auch zu spüren bekommen, dass ihr Land dabei ist, zum Paria-Staat zu werden. Dadurch soll der politische Druck auf Wladimir Putin steigen.
Asselborn gegen „kollektive Strafe“Viele EU-Partner verstehen indes die Reaktion der Balten – zeigen sich allerdings skeptisch, was die Umsetzung eines Einreisestopps angeht. So mahnen Paris und Berlin zur Vorsicht. „Unsere Visapolitik sollte weiterhin in der EU zwischenmenschliche Kontakte zu russischen Staatsangehörigen ermöglichen, die nicht mit der russischen Regierung in Verbindung stehen“, schreiben Deutschland und Frankreich in einem Positionspapier. Auch die luxemburgische Regierung steht dem Vorhaben skeptisch gegenüber.
„Ich bin gegen kollektive Bestrafungen“, meint etwa Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn (LSAP). „Es ist Putins Krieg: Russland ist eine Diktatur und demnach kann man Umfragen, wonach es in der russischen Bevölkerung eine breite Unterstützung für die Aggression gebe, kaum Glaubwürdigkeit schenken“, sagt der Außenminister. Jean Asselborn findet die Debatte rund um den Einreisestopp ohnehin nicht sehr opportun: Einerseits sei die Maßnahme unter den EU-Staaten hochgradig kontrovers und könnte die EU in ihrer Haltung gegenüber Putin demnach unnötig spalten – andererseits sei das Resultat eines Einreisestopps alles andere als klar: Einen direkten Einfluss auf
Putins Kriegsführung hält der LSAP-Politiker nämlich für unwahrscheinlich. Obendrein, so Asselborn weiter, würde dies PutinKritikern das Leben erschweren, falls sie aus Russland flüchten müssen. „Diese Menschen darf man nicht zusätzlich einer Gefahr aussetzen“, sagt der Außenminister. Asselborn gibt auch zu bedenken, dass ein totaler Einreisestopp für russische Touristen juristisch gesehen ohnehin fragwürdig wäre.
Ein derartiger Schritt ist daher kaum nach dem Treffen der Außenminister denkbar. Konsensfähiger wäre demnach eher eine viel bescheidenere Maßnahme, wie etwa die Aussetzung einer Visum-Vereinfachungsvereinbarung zwischen der EU und Russland aus dem Jahr 2007. Diese erleichtert russischen Staatsbürgern den Zugang zu Schengen-Kurzzeitvisa (drei Monate).
Europa zu besuchen, ist ein Privileg, kein Menschenrecht. Kaja Kallas, Premierministerin Estlands
Visum wird wohl teurer
Seit Kriegsbeginn wurde die Regelung für offizielle Staatsvertreter und Geschäftsleute weitgehend ausgesetzt. In Prag könnten sich die EU-Staaten politisch darauf einigen, dass dies nunmehr auch für jeden anderen russischen Staatsbürger gelten sollte. Für Russen würde es dann etwas teurer (80 anstelle von 35 Euro) und komplizierter werden, ein EU-Kurzeitvisum zu erhalten.
Asselborn sagte, er könne sich vorstellen, eine derartige Maßnahme mitzutragen – aus Solidarität mit den EU-Staaten im Osten. „Viel ändern wird es allerdings nicht“, meint der Minister, der die Debatten in Prag abwarten will, um sich definitiv festzulegen. Laut Außenministerium sei die Ausstellung von Schengen-Visa für Russen seit Kriegsbeginn ohnehin eingebrochen. 2022 hat Luxemburg bislang 444 dieser Kurzeitvisa ausgestellt (darunter sieben aus touristischen Gründen). Im Vor-Pandemiejahr 2019 waren es insgesamt noch 2 978.