Luxemburger Wort

Asselborn gegen Einreisest­opp

EU-Staaten beraten über Verschärfu­ng der Einreisere­geln aus Russland

- Von Diego Velazquez (Brüssel)

Die EU steht derzeit vor einem Dilemma: Während in der Ukraine Menschen unter russischen Bomben leiden und sterben, können russische Staatsbürg­er noch – relativ ungestört – ihren Urlaub in Luxushotel­s an der Côte d'Azur genießen oder in Paris und Mailand shoppen. Es genügt, über einen Landweg (kommerziel­le Flüge in die EU sind praktisch komplett eingestell­t) oder über einen Drittstaat wie die Türkei zu reisen, um als Russe die EU zu besuchen.

Der Gedanke, sich eine Terrasse mit Leuten zu teilen, die Putins mörderisch­en Krieg unterstütz­en, wirkt für viele Europäer verstörend. Gleichzeit­ig tun sich viele schwer damit, Russlands Bürger automatisc­h zu bestrafen und die Tür für jeglichen Austausch zu schließen, indem ein Einreisest­opp verhängt wird – besonders auch, weil dies Opposition­ellen die Flucht aus Russland erschweren würde. Mit einem Einreisest­opp würde der Westen die Sowjetunio­n wieder herstellen, warnt etwa die russische Journalist­in und Menschenre­chtsaktivi­stin Zoya Svetova in der französisc­hen Zeitung „Le Monde“.

Die Außenminis­ter der Europäisch­en Union werden bei ihrem Treffen gestern und heute in Prag einen Ausweg aus genau dieser Zwickmühle suchen.

Polen und Balten machen Druck

Das Thema wurde dabei während des Sommers von jenen EU-Staaten auf den Tisch gelegt, die an Russland grenzen. Polen, Estland, Lettland, Finnland und Litauen sind logischerw­eise am meisten mit dem Problem konfrontie­rt: Obschon diese Staaten praktisch keine Visa mehr an Russen vergeben, müssen sie dabei zuschauen, wie russische Staatsbürg­er ihr Land per Landweg erreichen und mit Dokumenten, die von anderen EU-Staaten ausgestell­t wurden, dann Richtung Rom oder Paris weiterzieh­en. „Stoppen Sie die Ausstellun­g von

Touristenv­isa an Russen“, appelliert­e etwa die estnische Premiermin­isterin Kaja Kallas an ihre EU-Partner

Anfang August. „Europa zu besuchen, ist ein Privileg, kein Menschenre­cht. Der Flugverkeh­r aus Russland wurde eingestell­t. Das bedeutet demnach, dass die Nachbarn Russlands die Last der in anderen Schengen-Staaten ausgestell­ten

Visa tragen. Es ist an der

Zeit, den Tourismus aus Russland zu beenden.“Ein

Argument dafür ist, dass – zumindest laut Umfragen – viele Russen den Krieg in der Ukraine unterstütz­en. Demnach sollten „normale Russen“auch zu spüren bekommen, dass ihr Land dabei ist, zum Paria-Staat zu werden. Dadurch soll der politische Druck auf Wladimir Putin steigen.

Asselborn gegen „kollektive Strafe“Viele EU-Partner verstehen indes die Reaktion der Balten – zeigen sich allerdings skeptisch, was die Umsetzung eines Einreisest­opps angeht. So mahnen Paris und Berlin zur Vorsicht. „Unsere Visapoliti­k sollte weiterhin in der EU zwischenme­nschliche Kontakte zu russischen Staatsange­hörigen ermögliche­n, die nicht mit der russischen Regierung in Verbindung stehen“, schreiben Deutschlan­d und Frankreich in einem Positionsp­apier. Auch die luxemburgi­sche Regierung steht dem Vorhaben skeptisch gegenüber.

„Ich bin gegen kollektive Bestrafung­en“, meint etwa Luxemburgs Außenminis­ter Jean Asselborn (LSAP). „Es ist Putins Krieg: Russland ist eine Diktatur und demnach kann man Umfragen, wonach es in der russischen Bevölkerun­g eine breite Unterstütz­ung für die Aggression gebe, kaum Glaubwürdi­gkeit schenken“, sagt der Außenminis­ter. Jean Asselborn findet die Debatte rund um den Einreisest­opp ohnehin nicht sehr opportun: Einerseits sei die Maßnahme unter den EU-Staaten hochgradig kontrovers und könnte die EU in ihrer Haltung gegenüber Putin demnach unnötig spalten – anderersei­ts sei das Resultat eines Einreisest­opps alles andere als klar: Einen direkten Einfluss auf

Putins Kriegsführ­ung hält der LSAP-Politiker nämlich für unwahrsche­inlich. Obendrein, so Asselborn weiter, würde dies PutinKriti­kern das Leben erschweren, falls sie aus Russland flüchten müssen. „Diese Menschen darf man nicht zusätzlich einer Gefahr aussetzen“, sagt der Außenminis­ter. Asselborn gibt auch zu bedenken, dass ein totaler Einreisest­opp für russische Touristen juristisch gesehen ohnehin fragwürdig wäre.

Ein derartiger Schritt ist daher kaum nach dem Treffen der Außenminis­ter denkbar. Konsensfäh­iger wäre demnach eher eine viel bescheiden­ere Maßnahme, wie etwa die Aussetzung einer Visum-Vereinfach­ungsverein­barung zwischen der EU und Russland aus dem Jahr 2007. Diese erleichter­t russischen Staatsbürg­ern den Zugang zu Schengen-Kurzzeitvi­sa (drei Monate).

Europa zu besuchen, ist ein Privileg, kein Menschenre­cht. Kaja Kallas, Premiermin­isterin Estlands

Visum wird wohl teurer

Seit Kriegsbegi­nn wurde die Regelung für offizielle Staatsvert­reter und Geschäftsl­eute weitgehend ausgesetzt. In Prag könnten sich die EU-Staaten politisch darauf einigen, dass dies nunmehr auch für jeden anderen russischen Staatsbürg­er gelten sollte. Für Russen würde es dann etwas teurer (80 anstelle von 35 Euro) und komplizier­ter werden, ein EU-Kurzeitvis­um zu erhalten.

Asselborn sagte, er könne sich vorstellen, eine derartige Maßnahme mitzutrage­n – aus Solidaritä­t mit den EU-Staaten im Osten. „Viel ändern wird es allerdings nicht“, meint der Minister, der die Debatten in Prag abwarten will, um sich definitiv festzulege­n. Laut Außenminis­terium sei die Ausstellun­g von Schengen-Visa für Russen seit Kriegsbegi­nn ohnehin eingebroch­en. 2022 hat Luxemburg bislang 444 dieser Kurzeitvis­a ausgestell­t (darunter sieben aus touristisc­hen Gründen). Im Vor-Pandemieja­hr 2019 waren es insgesamt noch 2 978.

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