Schläge von allen Seiten
Jeder hat einen Plan. Bis er einen Schlag auf die Schnauze bekommt“, sagte einst der US-Skandalboxer und Hobbyphilosoph Mike Tyson. Diese Weisheit gilt für den Boxring, aber ebenso, und vielleicht noch mehr, für Ökonomen und Wirtschaftslenker. Die Schläge kamen in den letzten beiden Jahren von allen Seiten – unerwartet und brutal: Zuerst die lange Gerade der weltweiten Pandemie mit zunächst fallender und dann stark anziehender Nachfrage. Dann eine Serie von Leberhaken in Form von kleinen und großen Schocks für die globalen Lieferketten – von geschlossenen Fabriken und Häfen in China über den durch einen havariertes Containerschiff blockierten Suez-Kanal bis hin zum Rhein, auf dem infolge der Dürre weniger Fracht transportiert werden konnte. Schließlich folgte im Februar der Tiefschlag der russischen Invasion mit rasant steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen. Die Wucht und Frequenz der Hiebe pulverisierte eine Inflationsprognose nach der nächsten. Immer wieder beteuerten Währungshüter und Statistiker, dass die Teuerung wohl nur ein Übergangsphänomen sei, das sich wieder auf ein Normalmaß einpendeln werde, sobald die Lieferkettenprobleme behoben seien. So sagte der amerikanische Notenbankchef Jay Powell noch 2021 auf dem jährlichen Treffen der Währungshüter in Jackson Hole, dass er nicht erwarte, dass die Teuerung deutlich über zwei Prozent bleiben werde. Tatsächlich stieg die Inflation in den USA im Juni auf neun Prozent, ein Wert, der auch in Europa bald erreicht werden dürfte. Die Folge der Fehleinschätzungen waren Fehlentscheidungen. Erst feuerten allzu großzügige Ausgabenpakete in der Pandemie-Krise die Nachfrage (und damit die Inflation) an. Dann reagierten die Notenbanken zu spät auf die sich schnell steigernde Teuerungsrate. Die amerikanische Fed wartete bis zum März, bis sie die Zinsen anhob, die Europäische Zentralbank (EZB) gar bis zum Juli. In der nächsten Sitzung des EZB-Rats in der kommenden Woche dürften die Zinsen weiter steigen.
Die Frage ist, ob die Zentralbanken heute überhaupt über die richtigen Instrumente verfügen, um der Teuerung Herr zu werden. Die Weltwirtschaft ist heute eine ganz andere als in den 1980ern, als die Inflation zuletzt ähnliche Höhen erreichte. Seither ist ein fein austariertes Uhrwerk an globalen Lieferketten entstanden, das Waren billiger machte und die Inflation in den vergangenen zwei Dekaden in den Keller drückte. Jetzt scheinen diese Netzwerke dauerhaft durcheinandergebracht und niemand weiß, ob die Rezepte der Vergangenheit, die Teuerung einzuhegen, noch die richtigen sind. Weder kann die EZB durch höhere Zinsen mehr Gas und Öl beschaffen, noch die Probleme in den Lieferketten beheben. So sagte Isabel Schnabel, Mitglied des Exekutivrates der EZB, auf der diesjährigen Ausgabe von Jackson Hole am vergangenen Wochenende, dass die „Globalisierung der Inflation“es den Zentralbanken immer schwerer mache, dem Preisdruck zu begegnen, und stimmte die Weltöffentlichkeit schon mal auf eine anstehende Rosskur mit schwächerem Wachstum und einer höheren Arbeitslosigkeit ein. Für die Wirtschaft heißt es: Deckung hoch, weitere Schläge werden folgen.
Für die Wirtschaft heißt es: Deckung hoch. Denn weitere Schläge werden folgen.