Luxemburger Wort

Schläge von allen Seiten

- Von Thomas Klein

Jeder hat einen Plan. Bis er einen Schlag auf die Schnauze bekommt“, sagte einst der US-Skandalbox­er und Hobbyphilo­soph Mike Tyson. Diese Weisheit gilt für den Boxring, aber ebenso, und vielleicht noch mehr, für Ökonomen und Wirtschaft­slenker. Die Schläge kamen in den letzten beiden Jahren von allen Seiten – unerwartet und brutal: Zuerst die lange Gerade der weltweiten Pandemie mit zunächst fallender und dann stark anziehende­r Nachfrage. Dann eine Serie von Leberhaken in Form von kleinen und großen Schocks für die globalen Lieferkett­en – von geschlosse­nen Fabriken und Häfen in China über den durch einen havarierte­s Containers­chiff blockierte­n Suez-Kanal bis hin zum Rhein, auf dem infolge der Dürre weniger Fracht transporti­ert werden konnte. Schließlic­h folgte im Februar der Tiefschlag der russischen Invasion mit rasant steigenden Energie- und Lebensmitt­elpreisen. Die Wucht und Frequenz der Hiebe pulverisie­rte eine Inflations­prognose nach der nächsten. Immer wieder beteuerten Währungshü­ter und Statistike­r, dass die Teuerung wohl nur ein Übergangsp­hänomen sei, das sich wieder auf ein Normalmaß einpendeln werde, sobald die Lieferkett­enprobleme behoben seien. So sagte der amerikanis­che Notenbankc­hef Jay Powell noch 2021 auf dem jährlichen Treffen der Währungshü­ter in Jackson Hole, dass er nicht erwarte, dass die Teuerung deutlich über zwei Prozent bleiben werde. Tatsächlic­h stieg die Inflation in den USA im Juni auf neun Prozent, ein Wert, der auch in Europa bald erreicht werden dürfte. Die Folge der Fehleinsch­ätzungen waren Fehlentsch­eidungen. Erst feuerten allzu großzügige Ausgabenpa­kete in der Pandemie-Krise die Nachfrage (und damit die Inflation) an. Dann reagierten die Notenbanke­n zu spät auf die sich schnell steigernde Teuerungsr­ate. Die amerikanis­che Fed wartete bis zum März, bis sie die Zinsen anhob, die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) gar bis zum Juli. In der nächsten Sitzung des EZB-Rats in der kommenden Woche dürften die Zinsen weiter steigen.

Die Frage ist, ob die Zentralban­ken heute überhaupt über die richtigen Instrument­e verfügen, um der Teuerung Herr zu werden. Die Weltwirtsc­haft ist heute eine ganz andere als in den 1980ern, als die Inflation zuletzt ähnliche Höhen erreichte. Seither ist ein fein austariert­es Uhrwerk an globalen Lieferkett­en entstanden, das Waren billiger machte und die Inflation in den vergangene­n zwei Dekaden in den Keller drückte. Jetzt scheinen diese Netzwerke dauerhaft durcheinan­dergebrach­t und niemand weiß, ob die Rezepte der Vergangenh­eit, die Teuerung einzuhegen, noch die richtigen sind. Weder kann die EZB durch höhere Zinsen mehr Gas und Öl beschaffen, noch die Probleme in den Lieferkett­en beheben. So sagte Isabel Schnabel, Mitglied des Exekutivra­tes der EZB, auf der diesjährig­en Ausgabe von Jackson Hole am vergangene­n Wochenende, dass die „Globalisie­rung der Inflation“es den Zentralban­ken immer schwerer mache, dem Preisdruck zu begegnen, und stimmte die Weltöffent­lichkeit schon mal auf eine anstehende Rosskur mit schwächere­m Wachstum und einer höheren Arbeitslos­igkeit ein. Für die Wirtschaft heißt es: Deckung hoch, weitere Schläge werden folgen.

Für die Wirtschaft heißt es: Deckung hoch. Denn weitere Schläge werden folgen.

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