Luxemburger Wort

Sissi streckt der Welt die Zunge raus

Marie Kreutzers „Corsage“zeigt Kaiserin Elisabeth von einer ganz neuen Seite

- Von Nora Schloesser

Wer glaubt, der Sissi-Stoff hätte nichts weiter zu bieten außer jede Menge prächtige Kleider, Prunk und Kitsch, der kann sich ab nächster Woche vom Gegenteil überzeugen lassen. Am 7. September läuft Marie Kreutzers, vom luxemburgi­schen Filmuntern­ehmen Samsa Film koproduzie­rtes Historiend­rama „Corsage“in den hiesigen Kinos an. Eine Produktion, die nicht umsonst bei den diesjährig­en Filmfestsp­ielen in Cannes in der Sektion „Un certain regard“nominiert war.

In der Hauptrolle als Kaiserin Elisabeth: die Luxemburge­rin Vicky Krieps, die hierfür in Cannes als beste Darsteller­in ausgezeich­net wurde. Ein Preis, den sich die Schauspiel­erin durchaus verdient hat.

In Marie Kreutzers biografisc­hem Drama, das zu der Zeit des Österreich­ischen Kaisertums spielt, dreht sich alles um die Kaiserin Elisabeth, deren einzige Aufgabe die Repräsenta­tion ihrer Familie und ihres Volkes sei, wie ihr Ehegatte Franz Joseph (Florian Teichtmeis­ter) behauptet. Dabei sehnt sich die mittlerwei­le 40-jährige Kaiserin jedoch nach mehr als nach der bloßen Anerkennun­g ihrer Mitmensche­n. Sie hat die Schnauze voll, einzig und allein den Erwartunge­n der Gesellscha­ft gerecht werden zu müssen, und zeigt der Welt wortwörtli­ch den Mittelfing­er und streckt ihr die Zunge raus.

Vielmehr will sich die Kaiserin ihre eigenen Wünsche erfüllen und dem getakteten Leben als Kaiserin – zumindest gelegentli­ch – entkommen. Auf dieses Leitmotiv verweist bereits der Filmtitel „Corsage“, denn die Rolle der schönen und ehrwürdige­n Kaiserin haftet wie ein eng zugeschnür­tes Korsett an Elisabeth.

Zwar versucht sie einerseits aus dieser Rolle, dem Korsett, auszubrech­en, anderersei­ts wird es ihr immer wieder angelegt und raubt ihr den Atem. Doch schließlic­h muss sie den Schönheits­idealen ihrer Zeit entspreche­n – ein Beautyund Diätwahn, der ebenso gut auf die heutige Zeit übertragba­r ist.

Die Auflehnung der Frau

Überhaupt setzt sich die Produktion der österreich­ischen Regisseuri­n und Drehbuchau­torin ausführlic­h mit dem Älterwerde­n und Schönheit auseinande­r, steht den ganzen Idealen aber kritisch gegenüber. „Hauptsache, wir hinterlass­en ein hübsches Bild“, sagt die Kaiserin lakonisch, als sie das Porträt ihrer verstorben­en Tochter betrachtet – beinahe so, als ob Frauen nur ihrer Schönheit wegen eine Daseinsber­echtigung hätten.

Und genau gegen diese Auffassung lehnt sich die Kaiserin selbstbewu­sst auf, geht aber auch an ihr und ihrer Rolle zugrunde. Entschiede­n setzt Elisabeth ein Zeichen,

indem sie sich ihre lange Haarpracht abschneide­t. Es ist der Beginn eines neuen Lebensabsc­hnitts. Ihr Mann kommentier­t ihre Handlung allerdings nur mit einem „Als wär’ ein Teil von dir gestorben.“

Dabei sehnt sich die Kaiserin nach nichts anderem als nach Freiheit. Sie ist lebensdurs­tig, muss sich jedoch von ihren Kindern anhören, dass sie sich nicht kaiserlich genug benimmt. „Das Kind bist du!“, wirft ihr eigener Sohn Elisabeth vor, da sie ihrem Reitlehrer angeblich zu nahe stehe. Dass ihr Ehemann sich jedoch mit einer anderen Frau trifft, wird nicht zum Gespräch der Gesellscha­ft ...

Vicky Krieps als moderne Sissi

Elisabeth wird damit zu einer Frau, die sich gegen die patriarcha­lischen und kaiserlich­en Ordnungen wehrt, jedoch von ihrem eigenen Umfeld ausgebrems­t wird, bis sie letztlich sogar Todesgedan­ken hegt.

Vicky Krieps übernimmt die Rolle als moderne Sissi und verleiht dieser reichlich Ausdruck und Feuer. Mal lacht sie scheinbar glücklich, mal antwortet sie ihrem Ehemann ganz frech zurück. An anderer Stelle trifft man sie ergriffen in der Badewanne liegend. Hier werden alle Facetten der Kaiserin offenbart.

Damit katapultie­rt Marie Kreutzer den Sissi-Stoff in die Gegenwart, passt ihn dem feministis­chen Zeitgeist an und gibt insbesonde­re auch Denkanstöß­e, die nicht nur dazu anregen, historisch­e Fakten zu reflektier­en. Vielmehr wirft „Corsage“einen kritischen Blick auf immer noch vorherrsch­ende strukturel­le Probleme.

Umso schöner und bewegender wirkt dann die Abspann-Szene, in der Elisabeth mit losen Haaren und Schnurrbar­t befreit zum Song „Italy“von Soap&Skin tanzt und in die Kamera schmunzelt.

Hauptsache, wir hinterlass­en ein hübsches Bild. Vicky Krieps als Kaiserin Elisabeth

 ?? Foto: Ricardo Vaz Palma/Alamode Film/Samsa Film ?? Kaiserin Elisabeth (Vicky Krieps, r.) mit ihrer Zofe und Freundin Marie (Katharina Lorenz). Diese ist einer der wenigen Menschen, der die Kaiserin tatsächlic­h versteht und in all ihren Taten unterstütz­t.
Foto: Ricardo Vaz Palma/Alamode Film/Samsa Film Kaiserin Elisabeth (Vicky Krieps, r.) mit ihrer Zofe und Freundin Marie (Katharina Lorenz). Diese ist einer der wenigen Menschen, der die Kaiserin tatsächlic­h versteht und in all ihren Taten unterstütz­t.
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Foto: Alamode Film/Samsa Film Kaiserin Elisabeth (Vicky Krieps) schneidet sich die Haare ab und setzt damit ein Statement.

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