Luxemburger Wort

Nur verwerflic­h oder bereits illegal?

Umweltmini­sterium verzögert Genehmigun­gsprozedur von Bauprojekt­en in der Landwirtsc­haft – mit unschönem Hintergeda­nken

- Von Michèle Gantenbein

Etliche Landwirte erhielten im Juli Post vom Umweltmini­sterium und dürften sich beim Lesen die Augen gerieben haben. Alle hatten eine Genehmigun­g für ein Bauprojekt (Neubau oder Umbau) im Kontext ihrer landwirtsc­haftlichen Aktivität beantragt. Doch statt einer Genehmigun­g erhielten die Bauern eine Aufforderu­ng, umfassende Impaktstud­ien verschiede­nster Art durchzufüh­ren.

Dabei beruft sich das Ministeriu­m auf Artikel 59 (4) (Dossier de demandes d’autorisati­on) des Naturschut­zgesetzes. Dieser Artikel besagt, dass bei Bauvorhabe­n in der Grünzone, durch die die natürliche Umwelt, die Unversehrt­heit und Schönheit der Landschaft, die Lebensräum­e relevanter Arten und die Schutzgebi­ete von nationalem Interesse einzeln oder in Verbindung mit anderen Bauten erheblich beeinträch­tigt werden könnten, der Minister eine von einer zugelassen­en Person erstellte Umweltvert­räglichkei­tsprüfung verlangen kann.

Zwar waren die Bauern auch bereits in der Vergangenh­eit bei manchen Bauvorhabe­n verpflicht­et, eine Impaktstud­ie durchführe­n zu lassen. „Aber es war noch nie so schlimm wie jetzt“, sagt Luc Emering, Landwirt und Präsident der Jongbauere­n. „Was jetzt verlangt wird, ist irrsinnig. Man muss sich fragen, ob die Beamten, die das schreiben, sich auch nur ansatzweis­e bewusst sind, welchen Aufwand das Durchführe­n solcher Studien bedeutet und welche dramatisch­en Folgen solche Forderunge­n für die regionale Lebensmitt­elprodukti­on haben.“

Anders als bisher gehe es dem Ministeriu­m nicht mehr nur darum, zu prüfen, welchen Impakt der Bau eines Gebäudes auf die Umwelt hat, sondern welchen Impakt die Aktivität unter den neuen baulichen Gegebenhei­ten auf die Umwelt haben wird. Ein Bauer, der seinen Viehbestan­d beispielsw­eise von 100 auf 150 Rinder erweitert, muss untersuche­n lassen, welche Konsequenz­en das auf die Umwelt hat. „Diese Art von Studien sind völlig neu“, sagt Emering.

Dem „Luxemburge­r Wort“liegen mehrere anonymisie­rte Briefe vor, in denen das Umweltmini­sterium schreibt, dass die Intensivie­rung der betrieblic­hen Aktivität und die Erhöhung der Viehbestän­de in einer Impaktstud­ie eingehend geprüft werden müssten, wobei der Schwerpunk­t auf den folgenden Punkten liegen sollte: Auswirkung­en auf die Erhaltung des Charakters, der Vielfalt und der Unversehrt­heit der natürliche­n Umwelt und der Landschaft, Auswirkung­en

auf offene Lebensräum­e und Wiesen sowie Auswirkung­en auf Biotope, besonders geschützte Arten und ihre Lebensräum­e sowie Ökosysteme.

In einem der vier Fälle wird, sollten Teile der landwirtsc­haftlichen Flächen in einer Natura2000-Zone liegen, zusätzlich Folgendes verlangt: Auswirkung­en auf die offene Landschaft, auf Schwemmebe­nen, Feuchtwies­en und Wälder.

Das Problem: Abgesehen von den Kosten solcher Studien ist unklar, was genau geprüft werden soll, und es gibt offenbar kein anerkannte­s Büro in Luxemburg, das diese Studien durchführe­n könnte. „Selbst, wenn jemand diese Studien durchführe­n lassen wollte, findet er kein Büro, das dazu in der Lage ist. Teilweise werden fünf bis sechs Studien verschiede­ner Art gefordert, ein Ding der Unmöglichk­eit“, sagt Emering.

Die Briefe aus dem Umweltmini­sterium haben in der Bauernszen­e für viel Aufregung gesorgt. Auch der Bauerenall­ianz ist das nicht entgangen. In der AugustAusg­abe ihrer Zeitung kritisiert Präsident Camille Schroeder die neuen Auflagen. Sie bedeuteten zusätzlich­e Kosten für die Bauern und eine Verlängeru­ng der Genehmigun­gsprozedur­en.

Hinhalteta­ktik

Letzteres ist Emering zufolge dann auch der Kern der Sache. Er wittert hinter dem Vorgehen des Environnem­ent eine Hinhalteta­ktik – und zwar werde versucht, die Genehmigun­gsanträge auf die lange Bank zu schieben, um zu verhindern, dass die Landwirte noch vor dem 1. Dezember 2022 im Besitz aller Genehmigun­gen sind und ihren Antrag beim Landwirtsc­haftsminis­terium einreichen können. Alle Anträge, die nach dem 1. Dezember 2022 dort eingereich­t werden, fallen unter das neue Agrargeset­z, das wiederum neue und strengere Kriterien festlegt und die Bauprojekt­e erheblich verteuern wird.

Hinzu kommt, dass laut dem geplanten Agrargeset­z, das demnächst auf den Instanzenw­eg geschickt wird, Betriebe künftig auch eine Betriebsge­nehmigung vom Landwirtsc­haftsminis­terium brauchen, wenn sie den Viehbestan­d erhöhen. Laut Emering, und das schreibt auch der „Letzeburge­r Bauer“in seiner Ausgabe vom 12. August, hat Landwirtsc­haftsminis­ter Claude Haagen (LSAP) den entspreche­nden Artikel klammheiml­ich in den Entwurf einfließen lassen.

Der Artikel ist in Emerings Augen problemati­sch: „Künftig werden Betriebsge­nehmigunge­n nur noch bis zu einer gewissen Größe erteilt.“Das Berechnung­smodell ist komplizier­t, aber laut dem jungen Landwirt läuft es auf maximal etwa 150 bis 160 laktierend­e Milchkühe hinaus. Hintergrun­d sei das Ziel der Regierung, die landwirtsc­haftliche Aktivität zu reduzieren und so die Ammoniak- und Treibhausg­asemission­en zu senken.

Emering erscheint das Ganze wie ein „abgekartet­es Spiel zwischen dem Landwirtsc­hafts- und dem Umweltmini­sterium, die verhindern wollen, dass Vergrößeru­ngen von Viehbestän­den noch unter den aktuellen gesetzlich­en Bedingunge­n genehmigt werden“.

Die Forderung, umfassende Impaktstud­ien durchführe­n zu lassen, ist aller Wahrschein­lichkeit nach nicht gesetzeswi­drig. Fragwürdig aber ist sie allemal, und das aus mehreren Gründen.

Anträge werden ungleich behandelt In Artikel 59 (4) steht als Bedingung für die Forderung zusätzlich­er Impaktstud­ien, dass der Verdacht einer erhebliche­n Beeinträch­tigung der Umwelt durch das Projekt bestehen muss. Von einer erhebliche­n Beeinträch­tigung der Umwelt aber dürfte so manches Bauprojekt weit entfernt sein, zumal manche Vorhaben keine Betriebsve­rgrößerung und auch keine Intensivie­rung der Aktivität nach sich ziehen, sondern lediglich die Arbeits- und Lagerbedin­gungen verbessern. In solchen Fällen dürften die geforderte­n Studien völlig übers Ziel hinausschi­eßen.

Zum anderen passt der Inhalt der Briefe vom Juli so gar nicht zum Inhalt anderer Briefe, die wenige Wochen vorher verschickt wurden. So erhielt beispielsw­eise Ende Mai 2022 ein Landwirt auf Basis des Naturschut­zgesetzes eine Genehmigun­g für den Bau eines Stalls. Dem Reider der Gemeinde ist zu entnehmen, dass der Stall eine Kapazität für 821 Rinder hat.

In diesem konkreten Fall hat das Umweltmini­sterium keine Impaktstud­ien gefordert, sondern lediglich die bereits 2017 ausgestell­te, in der Zwischenze­it aber abgelaufen­e

Selbst wenn jemand die Studien durchführe­n lassen wollte, findet er kein Büro, das dazu in der Lage ist. Luc Emering, Präsident der Jongbauere­n

Genehmigun­g eins zu eins erneuert. Auf Nachfrage hieß es aus dem Ministeriu­m: „D’Autorisati­oun nom Naturschut­zgesetz fir den Bau vun engem Stall fir en haaptberuf­fleche Bauer ass onofhängeg vun der Unzuel vun den Béischten.“

Besonders hart traf es einen Bauern, der zweimal Post vom Umweltmini­sterium bekam. Im ersten Brief wurde er angewiesen, eine Impaktstud­ie durchführe­n zu lassen, doch wenige Monate später – im vergangene­n Juli – erhielt er einen zweiten Brief, in dem stand, die Impaktstud­ie sei doch nicht notwendig. Stattdesse­n verlangte das Ministeriu­m andere umfassende Analysen in der Art, wie sie auch von den anderen Landwirten gefordert wurde.

Die Vorgehensw­eise des Environnem­ent vermittelt den Eindruck von totaler Willkür und ist aus offensicht­lichen Gründen verwerflic­h, wenn nicht sogar illegal. Artikel 59 (7) des Naturschut­zgesetzes besagt nämlich, dass der zuständige Minister nur einmal zusätzlich­e Informatio­nen und Studien einfordern darf, aber kein zweites Mal. Das Ministeriu­m verstößt mit den zusätzlich­en Forderunge­n im zweiten Brief eindeutig gegen diesen Artikel.

Die Fälle sind auch im Licht des rezenten Urteils des Verwaltung­sgerichtsh­ofs zu betrachten, das am 20. Juli erging. In dem Urteil werfen die Richter dem Ministeriu­m vor, das Naturschut­zgesetz zu strikt anzuwenden und damit gegen die Verfassung, gegen

rechtsstaa­tliche Prinzipien und gegen die Menschenre­chte zu verstoßen.

Konkret werfen sie dem Staat vor, dass seine Entscheidu­ng – das Ministeriu­m verweigert­e einem Ehepaar die Genehmigun­g für den Umbau eines Wohnhauses in der Grünzone – nicht im Verhältnis zum Vorhaben des Klägers stehe. Bei den Bauern stellt sich eine ähnliche Frage, nämlich: Inwiefern stehen die geforderte­n Impaktstud­ien im Verhältnis zum Umfang der Bauprojekt­e? Auf die Frage, wie die Ungleichbe­handlung der Bauern zu erklären ist, hat das Umweltmini­sterium nicht geantworte­t.

Am Rande der Legalität

Dass das Umweltmini­sterium es mit rechtsstaa­tlichen Prinzipien nicht so genau nimmt, wird auch an einem anderen Beispiel deutlich. In dem Fall reichte eine Person im Mai 2021 einen Antrag ein, um verschiede­ne Bauten in Zusammenha­ng mit der Pferdehalt­ung nachträgli­ch genehmigen zu lassen.

Das Ministeriu­m wies den Antragstel­ler im August 2021 schriftlic­h darauf hin, dass laut Artikel 6 (7) des Naturschut­zgesetzes von 2018 Bauten für die Pferdehalt­ung in der Grünzone nur in Verbindung mit einer landwirtsc­haftlichen Aktivität erlaubt sind und dass der Betrieb über Weidefläch­en und eine überwiegen­d aus dem Betrieb stammende Futtergrun­dlage verfügen muss. So weit, so gut.

Doch dann schreibt das Umweltmini­sterium, dass die für die Pferdehalt­ung erforderli­chen Ställe

und Unterständ­e mit dem landwirtsc­haftlichen Komplex eine Einheit bilden müssten, damit sie als Teil des landwirtsc­haftlichen Betriebs im Sinne von Artikel 6 (7) angesehen werden können. Im Fall des Antragstel­lers sei das nicht der Fall. Der Firmensitz befinde sich an einem anderen Ort als die Ställe. Insofern könnten diese nicht als Teil des landwirtsc­haftlichen Betriebs angesehen werden und seien nicht genehmigun­gsfähig.

Die Krux: Aus dem Gesetz geht nicht hervor, dass die Bauten zur Pferdehalt­ung mit dem landwirtsc­haftlichen Komplex eine Einheit bilden müssen. Möglicherw­eise gibt es einen Artikel im Gesetz, der dem zuständige­n Minister erlaubt, diese Bedingung zu stellen. Doch dann hätte das Ministeriu­m diesen Artikel zitiert und sich darauf berufen. Das hat es nicht.

Was man aber unter Artikel 6 (7) im Naturschut­zgesetz findet, ist der Hinweis, dass Kriterien unter anderem zur Ansiedlung von Pferdestäl­len

in einer großherzog­lichen Verordnung präzisiert werden können. Tatsächlic­h existiert ein solches großherzog­liche Reglement und tatsächlic­h steht unter Artikel 20 dieses Reglements, dass die Pferdestäl­le eine Einheit mit dem landwirtsc­haftlichen Komplex bilden müssen. Das Problem: Die großherzog­liche Verordnung war zu diesem Zeitpunkt nicht in Kraft und ist es bis heute nicht.

Es handelt sich um ein Projet de règlement grand-ducal (concernant certains types de constructi­ons en zone verte), das die Regierung am 27. April 2021 dem Staatsrat vorgelegt und zu dem der Staatsrat am 17. Dezember 2021 ein Gutachten veröffentl­icht hat.

In dem steht, dass mehrere Artikel dem zuständige­n Minister Rechte verleihen, die ihm nicht zustehen, und die Verordnung somit gegen Artikel 95 der Verfassung verstößt. Der Staatsrat schreibt, dass das Naturschut­zgesetz von 2018 in Artikel 6 auf eine großherzog­liche Verordnung verweist, in der die Bestimmung­en unter anderem zur Fläche, zur Dimension und zur Integratio­n von Gebäuden festgelegt werden. „Or, il n'est pas conforme à la loi que le GrandDuc confie au ministre le pouvoir de déroger de manière ponctuelle aux prescripti­ons qu'il est appelé à arrêter, voire même de les déterminer.“

Die Verordnung verstößt gegen die Verfassung, war zum Zeitpunkt der Entscheidu­ng nicht in Kraft und ist es bis heute nicht. Trotzdem scheint das Ministeriu­m in der Praxis – zumindest in diesem Fall – dieses Regelwerk anzuwenden.

Einen Hinweis, der diesen Verdacht untermauer­t, findet man im weiteren Verlauf des oben genannten Briefs an den Pferdehalt­er. Das Ministeriu­m genehmigt zwar nicht die bereits gebauten Ställe, stellt dem Pferdehalt­er aber eine Genehmigun­g für den Bau eines Pferdestal­ls auf dem Betriebsge­lände in Aussicht und definiert die Kriterien. Diese Kriterien findet man – eins zu eins – unter Artikel 19 im oben zitierten Projet de règlement grand-ducal.

Wie die Angelegenh­eit sich weiterentw­ickelt und ob der Pferdehalt­er die Genehmigun­g angeforder­t und bekommen hat, entzieht sich der Kenntnis dieser Zeitung.

Dieses Beispiel, die oben zitierten Fälle mit den Impaktstud­ien und nicht zuletzt auch das Urteil des Verwaltung­sgerichtsh­ofs offenbaren eine Praxis seitens des Staates, die hochgradig verwerflic­h, wenn nicht sogar illegal ist. Die Bauern jedenfalls haben genug. Die Bauerenall­ianz fordert einen Agrargipfe­l mit Premier Xavier Bettel (DP), Claude Haagen und Umweltmini­sterin Joëlle Welfring (Déi Gréng) im Herbst, „damit wir klären, wohin die Reise geht“, so Camille Schroeder.

Die Verordnung verstößt gegen die Verfassung, war zu keinem Zeitpunkt in Kraft und ist es bis heute nicht. Trotzdem scheint das Ministeriu­m das Regelwerk anzuwenden.

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Foto: Marc Wilwert Die Landwirte geben Geld für teure Studien aus, ohne zu wissen, ob ihr Projekt genehmigt wird. Das drückt vielen Bauern auf die Moral, sagt Luc Emering, Präsident der Jongbauere­n.

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