Nur verwerflich oder bereits illegal?
Umweltministerium verzögert Genehmigungsprozedur von Bauprojekten in der Landwirtschaft – mit unschönem Hintergedanken
Etliche Landwirte erhielten im Juli Post vom Umweltministerium und dürften sich beim Lesen die Augen gerieben haben. Alle hatten eine Genehmigung für ein Bauprojekt (Neubau oder Umbau) im Kontext ihrer landwirtschaftlichen Aktivität beantragt. Doch statt einer Genehmigung erhielten die Bauern eine Aufforderung, umfassende Impaktstudien verschiedenster Art durchzuführen.
Dabei beruft sich das Ministerium auf Artikel 59 (4) (Dossier de demandes d’autorisation) des Naturschutzgesetzes. Dieser Artikel besagt, dass bei Bauvorhaben in der Grünzone, durch die die natürliche Umwelt, die Unversehrtheit und Schönheit der Landschaft, die Lebensräume relevanter Arten und die Schutzgebiete von nationalem Interesse einzeln oder in Verbindung mit anderen Bauten erheblich beeinträchtigt werden könnten, der Minister eine von einer zugelassenen Person erstellte Umweltverträglichkeitsprüfung verlangen kann.
Zwar waren die Bauern auch bereits in der Vergangenheit bei manchen Bauvorhaben verpflichtet, eine Impaktstudie durchführen zu lassen. „Aber es war noch nie so schlimm wie jetzt“, sagt Luc Emering, Landwirt und Präsident der Jongbaueren. „Was jetzt verlangt wird, ist irrsinnig. Man muss sich fragen, ob die Beamten, die das schreiben, sich auch nur ansatzweise bewusst sind, welchen Aufwand das Durchführen solcher Studien bedeutet und welche dramatischen Folgen solche Forderungen für die regionale Lebensmittelproduktion haben.“
Anders als bisher gehe es dem Ministerium nicht mehr nur darum, zu prüfen, welchen Impakt der Bau eines Gebäudes auf die Umwelt hat, sondern welchen Impakt die Aktivität unter den neuen baulichen Gegebenheiten auf die Umwelt haben wird. Ein Bauer, der seinen Viehbestand beispielsweise von 100 auf 150 Rinder erweitert, muss untersuchen lassen, welche Konsequenzen das auf die Umwelt hat. „Diese Art von Studien sind völlig neu“, sagt Emering.
Dem „Luxemburger Wort“liegen mehrere anonymisierte Briefe vor, in denen das Umweltministerium schreibt, dass die Intensivierung der betrieblichen Aktivität und die Erhöhung der Viehbestände in einer Impaktstudie eingehend geprüft werden müssten, wobei der Schwerpunkt auf den folgenden Punkten liegen sollte: Auswirkungen auf die Erhaltung des Charakters, der Vielfalt und der Unversehrtheit der natürlichen Umwelt und der Landschaft, Auswirkungen
auf offene Lebensräume und Wiesen sowie Auswirkungen auf Biotope, besonders geschützte Arten und ihre Lebensräume sowie Ökosysteme.
In einem der vier Fälle wird, sollten Teile der landwirtschaftlichen Flächen in einer Natura2000-Zone liegen, zusätzlich Folgendes verlangt: Auswirkungen auf die offene Landschaft, auf Schwemmebenen, Feuchtwiesen und Wälder.
Das Problem: Abgesehen von den Kosten solcher Studien ist unklar, was genau geprüft werden soll, und es gibt offenbar kein anerkanntes Büro in Luxemburg, das diese Studien durchführen könnte. „Selbst, wenn jemand diese Studien durchführen lassen wollte, findet er kein Büro, das dazu in der Lage ist. Teilweise werden fünf bis sechs Studien verschiedener Art gefordert, ein Ding der Unmöglichkeit“, sagt Emering.
Die Briefe aus dem Umweltministerium haben in der Bauernszene für viel Aufregung gesorgt. Auch der Bauerenallianz ist das nicht entgangen. In der AugustAusgabe ihrer Zeitung kritisiert Präsident Camille Schroeder die neuen Auflagen. Sie bedeuteten zusätzliche Kosten für die Bauern und eine Verlängerung der Genehmigungsprozeduren.
Hinhaltetaktik
Letzteres ist Emering zufolge dann auch der Kern der Sache. Er wittert hinter dem Vorgehen des Environnement eine Hinhaltetaktik – und zwar werde versucht, die Genehmigungsanträge auf die lange Bank zu schieben, um zu verhindern, dass die Landwirte noch vor dem 1. Dezember 2022 im Besitz aller Genehmigungen sind und ihren Antrag beim Landwirtschaftsministerium einreichen können. Alle Anträge, die nach dem 1. Dezember 2022 dort eingereicht werden, fallen unter das neue Agrargesetz, das wiederum neue und strengere Kriterien festlegt und die Bauprojekte erheblich verteuern wird.
Hinzu kommt, dass laut dem geplanten Agrargesetz, das demnächst auf den Instanzenweg geschickt wird, Betriebe künftig auch eine Betriebsgenehmigung vom Landwirtschaftsministerium brauchen, wenn sie den Viehbestand erhöhen. Laut Emering, und das schreibt auch der „Letzeburger Bauer“in seiner Ausgabe vom 12. August, hat Landwirtschaftsminister Claude Haagen (LSAP) den entsprechenden Artikel klammheimlich in den Entwurf einfließen lassen.
Der Artikel ist in Emerings Augen problematisch: „Künftig werden Betriebsgenehmigungen nur noch bis zu einer gewissen Größe erteilt.“Das Berechnungsmodell ist kompliziert, aber laut dem jungen Landwirt läuft es auf maximal etwa 150 bis 160 laktierende Milchkühe hinaus. Hintergrund sei das Ziel der Regierung, die landwirtschaftliche Aktivität zu reduzieren und so die Ammoniak- und Treibhausgasemissionen zu senken.
Emering erscheint das Ganze wie ein „abgekartetes Spiel zwischen dem Landwirtschafts- und dem Umweltministerium, die verhindern wollen, dass Vergrößerungen von Viehbeständen noch unter den aktuellen gesetzlichen Bedingungen genehmigt werden“.
Die Forderung, umfassende Impaktstudien durchführen zu lassen, ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gesetzeswidrig. Fragwürdig aber ist sie allemal, und das aus mehreren Gründen.
Anträge werden ungleich behandelt In Artikel 59 (4) steht als Bedingung für die Forderung zusätzlicher Impaktstudien, dass der Verdacht einer erheblichen Beeinträchtigung der Umwelt durch das Projekt bestehen muss. Von einer erheblichen Beeinträchtigung der Umwelt aber dürfte so manches Bauprojekt weit entfernt sein, zumal manche Vorhaben keine Betriebsvergrößerung und auch keine Intensivierung der Aktivität nach sich ziehen, sondern lediglich die Arbeits- und Lagerbedingungen verbessern. In solchen Fällen dürften die geforderten Studien völlig übers Ziel hinausschießen.
Zum anderen passt der Inhalt der Briefe vom Juli so gar nicht zum Inhalt anderer Briefe, die wenige Wochen vorher verschickt wurden. So erhielt beispielsweise Ende Mai 2022 ein Landwirt auf Basis des Naturschutzgesetzes eine Genehmigung für den Bau eines Stalls. Dem Reider der Gemeinde ist zu entnehmen, dass der Stall eine Kapazität für 821 Rinder hat.
In diesem konkreten Fall hat das Umweltministerium keine Impaktstudien gefordert, sondern lediglich die bereits 2017 ausgestellte, in der Zwischenzeit aber abgelaufene
Selbst wenn jemand die Studien durchführen lassen wollte, findet er kein Büro, das dazu in der Lage ist. Luc Emering, Präsident der Jongbaueren
Genehmigung eins zu eins erneuert. Auf Nachfrage hieß es aus dem Ministerium: „D’Autorisatioun nom Naturschutzgesetz fir den Bau vun engem Stall fir en haaptberuffleche Bauer ass onofhängeg vun der Unzuel vun den Béischten.“
Besonders hart traf es einen Bauern, der zweimal Post vom Umweltministerium bekam. Im ersten Brief wurde er angewiesen, eine Impaktstudie durchführen zu lassen, doch wenige Monate später – im vergangenen Juli – erhielt er einen zweiten Brief, in dem stand, die Impaktstudie sei doch nicht notwendig. Stattdessen verlangte das Ministerium andere umfassende Analysen in der Art, wie sie auch von den anderen Landwirten gefordert wurde.
Die Vorgehensweise des Environnement vermittelt den Eindruck von totaler Willkür und ist aus offensichtlichen Gründen verwerflich, wenn nicht sogar illegal. Artikel 59 (7) des Naturschutzgesetzes besagt nämlich, dass der zuständige Minister nur einmal zusätzliche Informationen und Studien einfordern darf, aber kein zweites Mal. Das Ministerium verstößt mit den zusätzlichen Forderungen im zweiten Brief eindeutig gegen diesen Artikel.
Die Fälle sind auch im Licht des rezenten Urteils des Verwaltungsgerichtshofs zu betrachten, das am 20. Juli erging. In dem Urteil werfen die Richter dem Ministerium vor, das Naturschutzgesetz zu strikt anzuwenden und damit gegen die Verfassung, gegen
rechtsstaatliche Prinzipien und gegen die Menschenrechte zu verstoßen.
Konkret werfen sie dem Staat vor, dass seine Entscheidung – das Ministerium verweigerte einem Ehepaar die Genehmigung für den Umbau eines Wohnhauses in der Grünzone – nicht im Verhältnis zum Vorhaben des Klägers stehe. Bei den Bauern stellt sich eine ähnliche Frage, nämlich: Inwiefern stehen die geforderten Impaktstudien im Verhältnis zum Umfang der Bauprojekte? Auf die Frage, wie die Ungleichbehandlung der Bauern zu erklären ist, hat das Umweltministerium nicht geantwortet.
Am Rande der Legalität
Dass das Umweltministerium es mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht so genau nimmt, wird auch an einem anderen Beispiel deutlich. In dem Fall reichte eine Person im Mai 2021 einen Antrag ein, um verschiedene Bauten in Zusammenhang mit der Pferdehaltung nachträglich genehmigen zu lassen.
Das Ministerium wies den Antragsteller im August 2021 schriftlich darauf hin, dass laut Artikel 6 (7) des Naturschutzgesetzes von 2018 Bauten für die Pferdehaltung in der Grünzone nur in Verbindung mit einer landwirtschaftlichen Aktivität erlaubt sind und dass der Betrieb über Weideflächen und eine überwiegend aus dem Betrieb stammende Futtergrundlage verfügen muss. So weit, so gut.
Doch dann schreibt das Umweltministerium, dass die für die Pferdehaltung erforderlichen Ställe
und Unterstände mit dem landwirtschaftlichen Komplex eine Einheit bilden müssten, damit sie als Teil des landwirtschaftlichen Betriebs im Sinne von Artikel 6 (7) angesehen werden können. Im Fall des Antragstellers sei das nicht der Fall. Der Firmensitz befinde sich an einem anderen Ort als die Ställe. Insofern könnten diese nicht als Teil des landwirtschaftlichen Betriebs angesehen werden und seien nicht genehmigungsfähig.
Die Krux: Aus dem Gesetz geht nicht hervor, dass die Bauten zur Pferdehaltung mit dem landwirtschaftlichen Komplex eine Einheit bilden müssen. Möglicherweise gibt es einen Artikel im Gesetz, der dem zuständigen Minister erlaubt, diese Bedingung zu stellen. Doch dann hätte das Ministerium diesen Artikel zitiert und sich darauf berufen. Das hat es nicht.
Was man aber unter Artikel 6 (7) im Naturschutzgesetz findet, ist der Hinweis, dass Kriterien unter anderem zur Ansiedlung von Pferdeställen
in einer großherzoglichen Verordnung präzisiert werden können. Tatsächlich existiert ein solches großherzogliche Reglement und tatsächlich steht unter Artikel 20 dieses Reglements, dass die Pferdeställe eine Einheit mit dem landwirtschaftlichen Komplex bilden müssen. Das Problem: Die großherzogliche Verordnung war zu diesem Zeitpunkt nicht in Kraft und ist es bis heute nicht.
Es handelt sich um ein Projet de règlement grand-ducal (concernant certains types de constructions en zone verte), das die Regierung am 27. April 2021 dem Staatsrat vorgelegt und zu dem der Staatsrat am 17. Dezember 2021 ein Gutachten veröffentlicht hat.
In dem steht, dass mehrere Artikel dem zuständigen Minister Rechte verleihen, die ihm nicht zustehen, und die Verordnung somit gegen Artikel 95 der Verfassung verstößt. Der Staatsrat schreibt, dass das Naturschutzgesetz von 2018 in Artikel 6 auf eine großherzogliche Verordnung verweist, in der die Bestimmungen unter anderem zur Fläche, zur Dimension und zur Integration von Gebäuden festgelegt werden. „Or, il n'est pas conforme à la loi que le GrandDuc confie au ministre le pouvoir de déroger de manière ponctuelle aux prescriptions qu'il est appelé à arrêter, voire même de les déterminer.“
Die Verordnung verstößt gegen die Verfassung, war zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht in Kraft und ist es bis heute nicht. Trotzdem scheint das Ministerium in der Praxis – zumindest in diesem Fall – dieses Regelwerk anzuwenden.
Einen Hinweis, der diesen Verdacht untermauert, findet man im weiteren Verlauf des oben genannten Briefs an den Pferdehalter. Das Ministerium genehmigt zwar nicht die bereits gebauten Ställe, stellt dem Pferdehalter aber eine Genehmigung für den Bau eines Pferdestalls auf dem Betriebsgelände in Aussicht und definiert die Kriterien. Diese Kriterien findet man – eins zu eins – unter Artikel 19 im oben zitierten Projet de règlement grand-ducal.
Wie die Angelegenheit sich weiterentwickelt und ob der Pferdehalter die Genehmigung angefordert und bekommen hat, entzieht sich der Kenntnis dieser Zeitung.
Dieses Beispiel, die oben zitierten Fälle mit den Impaktstudien und nicht zuletzt auch das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs offenbaren eine Praxis seitens des Staates, die hochgradig verwerflich, wenn nicht sogar illegal ist. Die Bauern jedenfalls haben genug. Die Bauerenallianz fordert einen Agrargipfel mit Premier Xavier Bettel (DP), Claude Haagen und Umweltministerin Joëlle Welfring (Déi Gréng) im Herbst, „damit wir klären, wohin die Reise geht“, so Camille Schroeder.
Die Verordnung verstößt gegen die Verfassung, war zu keinem Zeitpunkt in Kraft und ist es bis heute nicht. Trotzdem scheint das Ministerium das Regelwerk anzuwenden.