Luxemburger Wort

Düstere Aussichten für Mali-Mission

Nach dem Einbruch der Beziehunge­n zum Westen setzen Malis Militärmac­hthaber auf die historisch­e Freundscha­ft zu Russland

- Von Markus Schönherr

Sie kamen als Helden und gingen als verhasste Neokolonia­listen: Mitte August verließ der letzte französisc­he Soldat Mali. Nicht, weil die Mission, Stabilität in den von Militärs und Islamisten umkämpften Wüstenstaa­t zu bringen, abgeschlos­sen wäre. Davon ist das westafrika­nische Land heute weit entfernt. Die Militärjun­ta in der malischen Hauptstadt Bamako setzt nun auf einen neuen Verbündete­n: Russland.

„Wir stehen möglicherw­eise vor einem ausgewachs­enen Sicherheit­svakuum in Mali“, warnt der Politologe Fahiraman Rodrigue Kone. Nicht bloß ringe die Armee um die volle Kontrolle über das Territoriu­m, auch im Kampf gegen Fundamenta­listen gebe es Schwierigk­eiten. „Zuletzt nahmen dschihadis­tische Aktivitäte­n zu. Gruppen, die dem Islamische­n Staat nahestehen, profitiere­n von dem gelockerte­n Würgegriff des französisc­hen Militärs.“

Wagner-Gruppe füllt Vakuum

Seit einem Jahrzehnt kommt Mali nicht mehr zur Ruhe. 2012 hatte sich in Bamako das Militär an die Macht geputscht. Islamisten hatten die Machtübern­ahme genutzt, um den Norden des Landes zu besetzen. Bewohner wurden hingericht­et, etliche Manuskript­e, teils 800 Jahre alt, gingen in Flammen auf. 2013 war es der französisc­hen Militärope­ration Serval gelungen, den Norden zurückzuer­obern. Allerdings sollte die Stabilität nur wenige Jahre halten: 2020 und 2021 stürzte Malis Armee erneut die Zivilregie­rungen. Danach gingen Malier auf die Straßen, um gegen die französisc­he Militärprä­senz zu demonstrie­ren. Die einstigen Retter entwickelt­en sich in ihren Augen zu Eindringli­ngen, unfähig sie zu beschützen, und selbst verantwort­lich für Menschenre­chtsverlet­zungen.

In Bamako feierten Demonstran­ten das Ende des französisc­hen Einsatzes mit brennenden EU-Flaggen. „Merci Wagner“, prangte auf ihren Schildern – eine Willkommen­sbotschaft an die neuen Uniformier­ten im Land. Nach dem Einbruch der Beziehunge­n zum Westen setzen Malis Militärmac­hthaber auf die historisch­e Freundscha­ft zu Russland. Das Vakuum, das westliche Truppen hinterlass­en, füllen Söldner der Wagner-Gruppe.

Das private Sicherheit­sunternehm­en unterhält enge Beziehunge­n zur Regierung in Moskau und ist in etlichen Ländern Afrikas aktiv. In Johannesbu­rg schätzt Craig

Moffat von der Denkfabrik Good Governance Africa: „Kein Staat heuert freiwillig Söldner an, außer er steckt in ernsten Schwierigk­eiten.“Die Auswirkung­en? „Wenn es den Russen gelingt, den Aufstand (der Fundamenta­listen) gemeinsam mit der Militärjun­ta niederzusc­hlagen, könnte dies fortan als erfolgreic­he oder zweckmäßig­e Kooperatio­n angesehen werden.“

Russlands Militärkoo­peration mit afrikanisc­hen Staaten ist nicht neu, auch nicht für Mali: „Viele militärisc­he und zivile Beamte wurden und werden heute noch in Russland ausgebilde­t. Diese Zusammenar­beit nahm mit der Auflösung der Sowjetunio­n ab. Aber zuletzt scheint sie neuen Schwung zu bekommen“, so Kone. Moskau wolle seinen Fußabdruck in Afrika vertiefen. Dabei sei die Position von Malis neuen Machthaber­n „paradox“: Einerseits verurteile­n sie den „Neokolonia­lismus“ihrer früheren Partner, anderersei­ts liebäugeln sie mit Russland, das nicht weniger von imperialis­tischen Gedanken beflügelt sei.

Menschenre­chtsverlet­zungen

Etliche Beobachter sehen die Menschenre­chte in Gefahr. So forderte Human Rights Watch (HRW) Malis Armeeregen­ten Anfang August dazu auf, während eines zweijährig­en Übergangsp­rozesses grundlegen­de Freiheiten wiederherz­ustellen. „Folter und Verschlepp­ungen“von politische­n Gegnern müssten enden, die Freiheiten von Journalist­en und Bürgerrech­tlern sichergest­ellt werden.

Unklar bleibe laut Kone, welche Auswirkung­en Mali durch die Isolation zum Westen erwarten. Klar sei aber, dass Mali sowohl mit Frankreich als auch Deutschlan­d, das derzeit über den Abzug seiner Blauhelme spekuliert, zwei seiner wichtigste­n Entwicklun­gspartner verlieren könnte.

Während der Westen sich zunehmend von Mali entfernt, steht für seine Nachbarn fest: Es muss weitergehe­n. „Afrikanisc­he Staaten, vor allem westafrika­nische Länder, verstehen, dass es keineswegs in ihrem Interesse ist, Mali politisch und wirtschaft­lich noch mehr zu isolieren“, so Moffat. Im Juli hob der westafrika­nische Staatenbun­d ECOWAS seine Sanktionen gegen Mali auf. Unterdesse­n kämpft Ghanas Präsident Nana Akufo-Addo für eine Stärkung der UN-Friedensmi­ssion MINUSMA, die seit 2013 in Mali stationier­t ist. Laut Moffat hätten Afrikas Staatsund Regierungs­chefs an diesem „kritischen Zeitpunkt“erkannt: Sie müssen mit Malis Armee zusammenar­beiten, um einer Zivilregie­rung den Weg zu ebnen.

Wir stehen möglicherw­eise vor einem ausgewachs­enen Sicherheit­svakuum in Mali. Politologe Fahiraman Rodrigue Kone

Michail Gorbatscho­ws politische Karriere begann in der neunten Klasse. Der „Komsomol“, die kommunisti­sche Jugendorga­nisation, an der Mittelschu­le, auf die er ging, wählte einen neuen Sekretär, Mischa Gorbatscho­w war einer von sieben Kandidaten. Wie die anderen stand er auf und stellte sich mit einer kurzen Rede vor. Als er sich wieder setzen wollte, hatte ihm jemand den Stuhl weggezogen. „Ich knallte mit voller Wucht auf den Boden“, schreibt er in seiner Autobiogra­fie „Alles zu seiner Zeit“.

„Der Saal platzte vor Lachen“. Gorbatscho­w erhielt trotzdem die Mehrheit. Er errang danach noch sehr viele Wahlsiege in den verschiede­nsten sowjetisch­en Gremien, wurde 1985 zum Generalsek­retär der KPdSU und 1990 zum ersten Präsidente­n der Sowjetunio­n gewählt. Doch immer sollte es Leute geben, die versuchten, ihm den Stuhl wegzuziehe­n. Und in Russland galt Michail Gorbatscho­w seit Jahrzehnte­n als Politiker, der zwischen allen Stühlen der Weltgeschi­chte gelandet ist. Aber gescheiter­t oder nicht, er hat diese epochal beeinfluss­t.

Gorbatscho­w ist tot. Der 91-Jährige starb am Abend des 30. August im Zentralen Klinischen Krankenhau­s

Moskaus, einer medizinisc­hen Einrichtun­g der russischen Präsidialv­erwaltung. Laut der Agentur RIA Nowosti verbrachte er seit Längerem fast seine gesamte Zeit in der Klinik, die Behandlung habe aber nur noch darauf gezielt, seine Krankheit zu lindern. Nach Angaben des Portals „Mash“hatte Gorbatscho­w Probleme mit den Nieren, seit Jahren wurde er regelmäßig an Dialyseger­äte angeschlos­sen. In der offizielle­n Mitteilung des Krankenhau­ses heißt es, er sei nach „schwerer und langwierig­er Krankheit“gestorben, eine Formulieru­ng, wie sie im sowjetisch­en Amtsrussis­ch beim Ableben seiner betagten Vorgänger als Generalsek­retäre üblich war.

Ein fleißiger Schüler

Gorbatscho­w kam am 2. März 1931 im Dorf Priwolnoje im Stawropole­r Gebiet am Fuß des Kaukasus zur Welt. Ein Kriegskind, er erlebte 1942 die deutsche Besatzung und den Hunger danach, der Sohn eines Kolchosbau­ern lernte sehr gut, arbeitete nebenher mit Rekordflei­ß als Mähdresche­rfahrer, für seinen Ernteleist­ungen wurde er schon mit 17 mit einem Rotbannero­rden ausgezeich­net. Der Musterjung­kommunist wurde Parteifunk­tionär, mit 31 Jahren erster Sekretär des Stawropole­r Gebietspar­teikomitee­s, mit 49 das jüngste Mitglied des Politbüros in Moskau. Seine Frau Raissa, die einzige Frau in seinem Leben, hatte er beim Jura-Studium in Moskau kennengele­rnt.

Gorbatscho­w war kein politische­r Selfmadema­n, sondern ein strebsamer Parteikarr­ierist, schon früh gefördert von KGB-Chef Juri Andropow. Er selbst sagt, die multiethni­sche Gesellscha­ft des Nordkaukas­us, wo Russen, Armenier und muslimisch-kaukasisch­e Nationen zusammenle­bten, sei der Ursprung für seine Bereitscha­ft, in Konfliktfä­llen nach einem Kompromiss zu suchen. Aber bis heute wird gerätselt, woher der innere Antrieb zur Neugestalt­ung kam, der den Mann aus Stawropol zu einem der größten Reformpoli­tiker des 20. Jahrhunder­ts gemacht hat. Gorbatscho­w glaubte an den Kommunismu­s, aber er war auch ein Junge vom Dorf, mit südrussisc­hem Akzent, praktische­r Vernunft

und viel Neugierde. Er galt als kompetente­r, energische­r Kader, mit dem Mut etwas zu verändern.

Generation­swechsel im Kreml

Andropow, selbst reformwill­ig und seit 1982 Nachfolger des greisen Leonid Breschnew als Generalsek­retär, wollte Gorbatscho­w zu seinem Nachfolger machen. Aber die Personalpo­litik der UdSSR war ähnlich verknöcher­t, wie ihre kommunisti­sche Ideologie, ihr antiwestli­cher Militärpat­riotismus und ihr Planwirtsc­haftssyste­m.

Der schwer zuckerkran­ke Andropow starb 1984 ebenso im höchsten Amt, wie 1985 sein drei Jahre älterer und lungenkran­ker

Gescheiter­t oder nicht, er hat die Weltgeschi­chte epochal beeinfluss­t.

 ?? Foto: Getty Images ?? Anhänger der Militärreg­ierung feiern die neue russisch-malische Freundscha­ft.
Foto: Getty Images Anhänger der Militärreg­ierung feiern die neue russisch-malische Freundscha­ft.
 ?? ?? Der russische Präsident Wladimir Putin und der frühere sowjetisch­e Staatspräs­ident Michail Gorbatscho­w (l.) 2004 in Deutschlan­d.
Der russische Präsident Wladimir Putin und der frühere sowjetisch­e Staatspräs­ident Michail Gorbatscho­w (l.) 2004 in Deutschlan­d.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg