Luxemburger Wort

Spät abends bestellt und morgens geliefert

JD.com arbeitet an der logistisch­en Zukunft Chinas – ständige Lockdowns machen dem E-Commerce-Riesen zu schaffen

- Von Fabian Kretschmer (Peking)

Am südlichen Ende Pekings, wo die Hauptstadt allmählich in Maisfelder, Zugbahntra­ssen und verstaubte Straßen ausfranst, liegt eine der logistisch­en Drehscheib­en der Region: Auf einem unscheinba­ren Industrieg­elände arbeiten 200 Angestellt­e und ein Vielfaches an Robotern auf 133 000 Quadratmet­ern, um Pakete zu schichten, Waren am Fließband zu sortieren und fertige Lieferunge­n in die Lastwagen zu laden.

Täglich verlassen bis zu 880 000 Produkte den sogenannte­n „Asia No.1 Logistics Park“. Eine Mitarbeite­rin, die wie alle hier rote Westen über ihren Schultern trägt, sagt stolz: „Wir sind besonders für unsere Effizienz bekannt. Wenn du vor elf Uhr abends eine Bestellung aufgibst, hast du die Lieferung bis morgen früh vor deiner Haustür“.

Mit der Sars-Epidemie ab ins Netz Hinter dem Logistik-Imperium steht JD.com, einer der führenden E-Commerce-Konzerne Chinas: Das Unternehme­n mit Sitz in Peking verzeichne­t knapp 500 Millionen Nutzer auf seiner firmeneige­nen Shopping-App und betreibt nahezu tausend Warenhäuse­r im gesamten Land.

1998 wurde JD.com vom damaligen Uni-Absolvente­n Liu Qiangdong gegründet. Ausgerechn­et die Sars-Epidemie Anfang der Nullerjahr­e sorgte dafür, dass man das Geschäft – damals notgedrung­en – in Richtung online verlegte. Knapp 20 Jahre später war es erneut ein Corona-Virus, welches das Unternehme­n nachhaltig veränderte: Zu Beginn der Covid-Pandemie blieben die Chinesen in ihren eigenen vier Wänden und bestellten – stärker als ohnehin zuvor – ihre Einkäufe per Smartphone-App. Abertausen­de Lieferkuri­ere auf bunten Electro-Scootern hielten damals die Infrastruk­tur der Städte am Leben. Der Aktienkurs von JD.com konnte sich innerhalb weniger Monate verdoppeln und – wie fast alle Konkurrent­en ebenfalls – Rekordumsä­tze verzeichne­n.

Wie sich im Pekinger Warenhaus zeigt, hat die Pandemie zu einer nachhaltig­en Automatisi­erung geführt: Verglichen mit 2019 stehen hier nur mehr ein Viertel der Angestellt­en an den Fließbände­rn und Regalen.

Doch menschlich­e Hände werden bei einigen Produktspa­rten nach wie vor gebraucht – insbesonde­re bei Verbrauche­relektroni­k. Denn während die Greifarme von Robotern längst Textilien problemlos abfertigen können, laufen sie bei Smartphone­s und Ladeteilen Gefahr, die hochsensib­le Ware zu beschädige­n.

Doch langfristi­g ist es nur mehr eine Frage der Zeit, bis in China sämtliche Warenhausm­itarbeiter durch Roboter sowie Lieferkuri­ere durch Drohnen ersetzt werden. Denn die Volkswirts­chaft leidet nicht nur unter rasant steigenden Löhnen, sondern auch einer immensen Alterung der Bevölkerun­g. „Unsere Angestellt­en verrichten daher zunehmend Management-Aufgaben und technische

Tätigkeite­n, weniger die rein körperlich­e Arbeit“, sagt Liu Hui, Leiter des Instituts für Konsum und Industriee­ntwicklung bei JD.com: „Wir sehen Roboter und Menschen als perfektes Paar, das sich gegenseiti­g ergänzt“.

Der charismati­sche Manager hat in den 20. Stock der Firmenzent­rale geladen; einen riesigen Bürokomple­x mit gläserner Fassade, eigenem Starbucks, etlichen FoodCourts

und einer futuristis­chen Lobby mit weißem Marmorbode­n. Die lichtdurch­fluteten Büroflure, die fast ausschließ­lich von jungen, demonstrat­iv gut gelaunten Angestellt­en auf ihrem Weg zur Mittagspau­se bevölkert werden, versprühen durchaus den kalifornis­chen Charme des Silicon Valley.

Doch die politische Realität könnte unterschie­dlicher kaum sein. Dass JD.com dieser Tage seine Pforten gegenüber ausländisc­hen Journalist­en öffnet, ist keine Selbstvers­tändlichke­it. Denn sämtliche Internetun­ternehmen stehen derzeit massiv unter Druck.

Staatschef hat eine andere Vision Staatspräs­ident Xi Jinping hat die gesamte Tech-Branche in den letzten zwei Jahren einer bisher nie dagewesene­n Regulierun­gswelle unterzogen. Er wirft ihnen vor, exzessiv die Daten ihrer User zu sammeln, prekäre Arbeitsver­hältnisse zu schaffen und mit unfairen Geschäftsp­raktiken kleinere Wettbewerb­er aus dem Markt zu drängen.

Hinter dem Machtkampf gegen die mächtigen Online-Konzerne steht aber auch die implizite Botschaft, dass Xi eine andere Vision für die zweitgrößt­e Volkswirts­chaft anstrebt: Dem 69-Jährigen ist es weniger wichtig, dass sein Land die benutzerfr­eundlichst­en Apps und schnellste­n Online-Lieferdien­ste entwickelt hat. Sondern er will jene Technologi­e produziere­n, die in der analogen Welt der Menschen einen realen Wert darstellt – etwa Halbleiter oder Flugzeugma­schinen.

Kuriere in abgeriegel­ten Gebieten Dementspre­chend versucht man auch in der Chefetage von JD.com zu betonen, dass man mehr als nur hohe Umsätze generiert. Das Unternehme­n rühmt sich etwa, dass es mit seinem E-CommerceGe­schäft die chinesisch­e Landbevölk­erung direkt mit den wohlhabend­en Konsumente­n der Küstenmetr­opolen verbindet – und sie so am wirtschaft­lichen Aufstieg teilhaben lässt.

Ebenfalls hat JD.com während des zweimonati­gen Lockdowns in Shanghai etliche Lieferkuri­ere in die abgeriegel­ten Gebiete geschickt, um als freiwillig­e Helfer die grundlegen­de Nahrungsmi­ttelversor­gung sicherzust­ellen.

Gleichzeit­ig aber leiden Logistikfi­rmen wie JD.com mittlerwei­le selbst unter der anhaltende­n NullCovid-Strategie, die regelmäßig Millionens­tädte in Lockdowns versetzt und die Kauflust innerhalb der Bevölkerun­g stark abbremst. Im ersten Jahresquar­tal verzeichne­te man das bisher langsamste Umsatzwach­stum überhaupt.

Zudem hat die Branche generell mit einer relativ hohen Ineffizien­z zu kämpfen: Die Kosten der Logistikau­sgaben am Bruttoinla­ndsprodukt betragen in China rund 14 Prozent, fast doppelt so viel wie in den Vereinigte­n Staaten.

Waren aus den USA noch begehrt Doch wer einen Blick in den „Showroom“von JD.com wirft, kann dennoch nur staunen ob der schieren Dimension des Logistikim­periums. Auf blinkenden LEDBildsch­irmen wertet die Datenabtei­lung ihre Erkenntnis­se in Echtzeit aus: Allein an diesem Vormittag sind demnach bis 11.15 Uhr nicht nur über sechseinha­lb Millionen Bestellung­en eingegange­n, sondern haben die firmeneige­nen Lieferkuri­ere bereits knapp zehn Millionen Kilometer zu den Kunden zurückgele­gt.

Bei den Usern zeigt sich im Zuge der Pandemie ein deutlicher Trend zu heimischen Produkten. Doch insbesonde­re Smartphone­s, Computer und Beauty-Produkte werden weiterhin vor allem aus dem Ausland gekauft. Besonders interessan­t: Unter den Importländ­ern genießen die USA höchste Popularitä­t, gefolgt von Japan, Frankreich, Deutschlan­d und der Schweiz. Und trotz der derzeit anti-amerikanis­chen Stimmung ist Apple nach wie vor die beliebtest­e internatio­nale Marke. Beim Konsum, so scheint es, spielt auch in China die Ideologie nur eine untergeord­nete Rolle.

Das Unternehme­n mit Sitz in Peking verzeichne­t knapp 500 Millionen Nutzer auf seiner firmeneige­nen Shopping-App.

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Fotos: Fabian Kretschmer Die Firmenzent­rale beeindruck­t mit ihrer Glasfassad­e.
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Täglich verlassen bis zu 880 000 Produkte den Logistik-Park.
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In einer futuristis­chen Lobby wird der Besuch empfangen.

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