Luxemburger Wort

Ende einer turbulente­n Opernsaiso­n

Muss es in Bayreuth bald ohne ein führendes Familienmi­tglied Wagners weitergehe­n?

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Bayreuth. Es ist eine bemerkensw­erte Saison, die auf dem Grünen Hügel zu Ende geht: Sexismusvo­rwürfe hatten den Start der Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth überschatt­et, Coronafäll­e im Team wirbelten die Pläne immer wieder durcheinan­der – und der neue „Ring des Nibelungen“sorgte für hitzige Diskussion­en.

„Es war vor allem eine sehr anstrengen­de Spielzeit. Wir hatten über 100 Coronafäll­e und es grenzt an ein Wunder, dass wir wirklich jeden Tag spielen konnten. Das war ein Puzzlespie­l“, sagte Festspiel-Chefin Katharina Wagner.

Seit Bekanntwer­den der Sexismus-Vorwürfe habe sich noch niemand gemeldet. „Und wir wissen auch nicht, gegen wen sich die Vorwürfe gerichtet haben“, sagt Wagner. Konsequenz­en gezogen hat sie trotzdem: Die Festspiele wollen einen „Verhaltens­kodex“in alle Arbeitsver­träge aufnehmen. Außerdem soll es im Herbst Antidiskri­minierungs­workshops geben.

50 000 Zuschauer hatten die Festspiele seit ihrem Start am 25. Juli und waren damit nach Angaben Wagners „bis auf ein paar Restkarten für die Konzerte“ausverkauf­t – keine Selbstvers­tändlichke­it in Post-Corona-Zeiten, in denen viele Theater und Opernhäuse­r immer noch darauf warten, dass das Publikum zurückkehr­t.

Restlos begeistert war dieses Publikum allerdings nicht. Nach den vier „Ring“-Opern, die in diesem Jahr der junge Österreich­er Valentin Schwarz neu auf die Bühne gebracht hat, erschütter­ten – zumindest in der Premierenw­oche – wahre Proteststü­rme das Festspielh­aus. Katharina Wagner sagt dazu: „Warten wir mal ab, wie sich das noch entwickelt. Schon im zweiten und dritten ,Ring'-Zyklus waren die Reaktionen deutlich anders, viele begeistert.“

Debatte um Katharina Wagner

Solche Proteststü­rme seien ohnehin nichts Ungewöhnli­ches in Bayreuth. Insgesamt, so sagt Wagner aber, sei „der Umgangston schon rougher geworden“. Das gelte aber nicht nur für Bayreuth und auch nicht nur für die Oper, sondern generell. „Debatten werden inzwischen ja teilweise in der Gesellscha­ft ganz anders und sehr viel unsachlich­er geführt als noch vor ein paar Jahren.“

Eine Debatte – mal sachlich, mal weniger – wird auch immer wieder um Wagner selbst geführt. Unumstritt­en war sie nie, seit sie die Leitung der Festspiele 2008 als Nachfolger­in ihres Vaters Wolfgang Wagner übernommen hat – zunächst gemeinsam mit ihrer Halbschwes­ter Eva Wagner-Pasquier, seit 2015 allein. Und wie es nach 2025, wenn der Vertrag mit der Urenkelin von Richard Wagner ausläuft, weitergeht, ist unklar. Klar dürfte allerdings sein: Wenn Wagner geht, dürfte es das

Ende der Komponiste­nfamilie an der Spitze der Festspiele sein. Kein anderes Familienmi­tglied meldet derzeit Interesse an.

Der Chef des Bayreuther Verwaltung­srates, Georg von Waldenfels, sagt, die Gespräche dazu sollten 2023 beginnen. „Wir werden uns da im kommenden Jahr unterhalte­n“, sagt auch Wagner – und stellt Bedingunge­n: „Eine Verlängeru­ng mache ich davon abhängig, dass sich gewisse Strukturen ändern müssen.

Zukunft der Festspiele

Dabei hat Katharina Wagner in den vergangene­n Jahren bereits deutlich gemacht, wofür sie steht. Sie hat jungen Regisseure­n eine Chance gegeben – bei Tobias Kratzer und seinem „Tannhäuser“mit großem, bei Schwarz nun eher mit mäßigem Erfolg – und dabei gezeigt, dass ihr vor allem das am Herzen liegt, was man früher Regietheat­er nannte: kreative und innovative Auseinande­rsetzungen mit dem Werk ihres Urgroßvate­rs Richard Wagner (1813-1883).

Sie hat für das kommende Jahr einen 3D-„Parsifal“mit Augmented

Reality angekündig­t und versucht inzwischen auch, das Festival, das da auf seinem Hügel immer etwas entrückt von der Bayreuther Realität stattzufin­den scheint, weiter hineinzuzi­ehen in die Stadt, mit Kinoübertr­agungen und Open-Air-Konzerten, die es auch im kommenden Jahr wieder geben soll. Die jährlich neu inszeniert­e Kinderoper gilt schon seit Jahren als Erfolgspro­jekt.

Die Frage ist nun, ob die Gesellscha­fter der Festspiele, zu denen neben den „Freunden“der Bund, der Freistaat Bayern und die Stadt Bayreuth gehören, diesen Weg mitgehen oder sich doch eher für den klassische­n, Waldenfels’schen entscheide­n.

„Es gibt auf dem Grünen Hügel wirklich sehr viel Reformbeda­rf“, sagte Kulturstaa­tsminister­in Claudia Roth im Interview. Sie will einfachere Strukturen und ein jüngeres Publikum.

Das Bayreuther Publikum sei „kein Abbild unserer vielfältig­en, bunten Gesellscha­ft“, sagt die Grünen-Politikeri­n. „Auch junge Menschen sind deutlich unterreprä­sentiert.“Sie sieht „ganz klar Nachholbed­arf“.

Vor Beginn der Festspiele hatte Wagner mitgeteilt, dass sie in den kommenden Jahren auch einige Pläne außerhalb der Festspiele hat: Sie inszeniert einen „Macbeth“in Asien und einen „Parsifal“in Riga.

In Barcelona wartet seit Beginn der Coronapand­emie noch ihr „Lohengrin“auf seine Premiere. Die Pläne wirken wie ein Zeichen: Wagner braucht die Festspiele nicht. Aber brauchen die Festspiele eine(n) Wagner?

Roths Antwort auf die Frage, ob auch künftig ein Nachfahre Richard Wagners die Festspiele leiten solle, lautet: „Es gibt hier keine rituelle Pflicht.“dpa

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Foto: Daniel Karmann/dpa Es ist eine bemerkensw­erte Saison, die im Bayreuther Festspielh­aus auf dem grünen Hügel zu Ende geht.

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