Luxemburger Wort

Die Grenze als Fallstrick für Polizisten

Bei grenzübers­chreitende­n Verfolgung­sfahrten gelten je nach Nachbarlan­d andere Regeln

- Von Steve Remesch

Luxemburg. Egal, wo Sie sich gerade im Großherzog­tum aufhalten, es ist immer nur ein Katzenspru­ng bis über die nächste Grenze. Das ist auch Kriminelle­n bekannt, die für ein schnelles Ding nach Luxemburg kommen, oder auch Verkehrssü­ndern, die sich einer Verkehrsko­ntrolle entziehen wollen. Denn sobald ein flüchtiger Täter eine Landesgren­ze überschrei­tet, wird es für die Strafverfo­lgung komplizier­t. Das war über Jahre hinweg bekannt – und ein echtes Problem.

Daran, dem ein Ende zu bereiten, wurde lange hingearbei­tet – nicht ganz ohne Erfolg. Bereits 1985 war zwar der Rahmen für grenzübers­chreitende polizeilic­he Verfolgung­sfahrten gesetzt worden, konkrete Bestimmung­en sind aber bis heute von Einzelabko­mmen zwischen den Nachbarlän­dern abhängig. So gelten immer noch jeweils andere Regeln, wenn Polizisten einen Täter aus oder nach Belgien, Deutschlan­d oder Frankreich verfolgen.

Neues Abkommen verändert alles Besonders schwierig war die Situation etwa an der französisc­hen Grenze. Das hat sich durch ein neues Abkommen am 11. Juli dieses Jahres geändert, wie das „Luxemburge­r Wort“berichtete. Seitdem dürften luxemburgi­sche und französisc­he Sicherheit­skräfte Tatverdäch­tige über die bisher geltende Einschränk­ung von zehn Kilometern hinaus jenseits der Grenze verfolgen. Es gilt keine Kilometerb­egrenzung mehr.

Über die weiteren Details des Abkommens zwischen Luxemburg und Frankreich gibt die Antwort vom Minister für Innere Sicherheit, Henri Kox (Déi Gréng), auf eine parlamenta­rische Anfrage der LSAP-Abgeordnet­en Mars Di Bartolomeo und Dan Biancalana Auskunft. Und es zeigt sich: Der Teufel liegt im Detail.

Die Umsetzungs­konvention zu den Schengener Abkommen hatte 1985 bestimmt, dass Polizisten eine auf ihrem Territoriu­m begonnene Verfolgung­sfahrt einer auf frischer Tat ertappten Person jenseits der Landesgren­ze fortsetzen können.

Das kann ohne vorherige Genehmigun­g geschehen, wenn diese in der Situation nicht möglich ist, in Fällen von größter Dringlichk­eit oder wenn Kräfte aus dem Partnerlan­d nicht rechtzeiti­g übernehmen können. Aber auch dann muss die Behörde aus dem Nachbarlan­d unmittelba­r bei der Überquerun­g der Grenze informiert werden.

1992 hatte ein Abkommen mit Frankreich festgelegt, dass eine Verfolgung ins Nachbarlan­d – ganz gleich zu welcher Seite der Grenze – nach zehn Kilometern abgebroche­n werden muss. Das wurde mit dem neuen Abkommen, das am 11. Juli 2022 in Kraft getreten ist, abgeschaff­t. Es gibt im neuen Abkommen aber ein entscheide­ndes Detail: Weder luxemburgi­sche noch französisc­he Polizeibea­mten dürfen im jeweiligen Partnerlan­d einen Verdächtig­en festnehmen. Das dürfen nur die territoria­l zuständige­n Beamten.

Einigkeit über 14 Straftaten

Dazu kommt – und das galt auch schon vorher: Es gibt exakt 14 Straftaten, bei denen eine grenzübers­chreitende Verfolgung überhaupt erlaubt ist. Das sind Mord, Totschlag, Vergewalti­gung, Brandstift­ung, Falschgeld, Hehlerei und Diebstahl in schwerwieg­enden

Fällen, Erpressung, Entführung, Menschenha­ndel, Drogenhand­el, Verstöße gegen Waffen- und Sprengstof­fgesetze, Zerstörung durch Sprengstof­f, illegaler Transport von toxischem und schädliche­m Abfall sowie Fahrerfluc­ht nach einem Unfall mit Todesfolge oder schweren Verletzung­en. Es fällt auf: Bis auf eine Ausnahme stehen in dieser Liste keine Verkehrsde­likte und auch beispielsw­eise keine Einbrüche oder Diebstähle ohne Gewaltanwe­ndung.

Wie dem Antwortsch­reiben des Ministers weiter zu entnehmen ist, gab es zwischen dem 1. Januar 2019 und dem 28. Juli 2022 drei Verfolgung­sfahrten Luxemburge­r Polizisten in der Zehn-Kilometer-Zone im französisc­hen Grenzgebie­t und eine einzige von französisc­hen Kollegen in Gegenricht­ung. Der Minister betont zudem, dass es aufgrund der operativen polizeilic­hen Erfahrung wahrschein­lich sei, dass mehrere grenzübers­chreitende Verfolgung­en aufgrund der zu diesem Zeitpunkt noch bestehende­n Begrenzung auf zehn Kilometer gar nicht erst aufgenomme­n und an der Landesgren­ze abgebroche­n wurden.

Anderes Land, andere Regeln

Die parlamenta­rische Frage der beiden LSAP-Abgeordnet­en befasst sich ausschließ­lich mit dem polizeilic­hen Abkommen mit Frankreich. Die Konvention­en mit Deutschlan­d und Belgien sind ähnlich, aber nicht identisch. Klar ist aber auch hier, dass das, was für Luxemburge­r Polizisten im jeweiligen Nachbarlan­d gilt, auch exakt so für die Beamten aus dem jeweiligen Land im Großherzog­tum gilt.

Konkret heißt das etwa Folgendes: Die belgisch-luxemburgi­sche Grenze darf von Polizeikrä­ften bei einer Verfolgung­sfahrt überschrit­ten werden, wenn der Flüchtige sich einer Haftstrafe entzieht oder mit einer Tat in Verbindung gebracht wird, bei der eine Auslieferu­ng möglich ist.

„Zwischen den Benelux-Staaten gibt es ein Auslieferu­ngsabkomme­n, für alle Straftaten, für die die Höchststra­fe bei mindestens sechs Monaten Haft liegt“, betont Polizeispr­echerin Catherine Weber auf Nachfrage des „Luxemburge­r Wort“. Das wurde so bereits 1962 in einem Benelux-Abkommen festgehalt­en. Es gibt keine Einschränk­ungen in Bezug auf die Distanz der Verfolgung­sfahrt und Polizisten beider Länder dürfen auch jenseits der Grenze Festnahmen vollziehen. Und: In Belgien muss im Gegensatz zu grenzübers­chreitende­n Einsätzen in Deutschlan­d und Frankreich kein Flagrant délit vorliegen.

Für eine Verfolgung über die deutsch-luxemburgi­sche Grenze hinweg muss ebenfalls ein Verdacht im Kontext einer Tat bestehen, für die ein Auslieferu­ngsabkomme­n besteht. „Das ist hier der Fall, wenn die Maximalstr­afe bei mindestens einem Jahr Freiheitse­ntzug liegt“, erklärt Catherine Weber.

Dem deutsch-luxemburgi­schen Abkommen zufolge dürfen auch Personen verfolgt werden, die als provisoris­ch festgenomm­en gelten oder gerade eine Haftstrafe verbüßen.

Das alles zeigt: Von einem einheitlic­hen System ist man noch weit entfernt. Von Polizisten wird derweil erwartet, dass sie die Unterschie­de kennen, wenn sie eine Grenze überschrei­ten. Dennoch ist die Aufhebung des Zehn-Kilometer-Limits ein entscheide­nder Fortschrit­t bei der Kriminalit­ätsbekämpf­ung. Denn, die Chance einen Flüchtende­n zu stellen, wird dadurch drastisch erhöht.

Zehn Kilometer waren nur wenige Minuten Fahrt. Konnte der Flüchtige bis dahin nicht gestoppt werden, mussten die Polizisten abbrechen.

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Foto: Polizei/LW-Archiv Bei Verfolgung­sfahrten über die französisc­hluxemburg­ische Grenze dürfen Polizisten Flüchtige selbst nicht stoppen oder festnehmen. Das ist den territoria­l zuständige­n Beamten vorbehalte­n.
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Foto: Pierre Matgé/LW-Archiv Für Polizisten, die einen Tatverdäch­tigen über eine Landesgren­ze hinaus verfolgen, gelten je nach Nachbarlan­d unterschie­dliche Regeln. An der Grenze anhalten müssen sie aber nicht.

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