Die Grenze als Fallstrick für Polizisten
Bei grenzüberschreitenden Verfolgungsfahrten gelten je nach Nachbarland andere Regeln
Luxemburg. Egal, wo Sie sich gerade im Großherzogtum aufhalten, es ist immer nur ein Katzensprung bis über die nächste Grenze. Das ist auch Kriminellen bekannt, die für ein schnelles Ding nach Luxemburg kommen, oder auch Verkehrssündern, die sich einer Verkehrskontrolle entziehen wollen. Denn sobald ein flüchtiger Täter eine Landesgrenze überschreitet, wird es für die Strafverfolgung kompliziert. Das war über Jahre hinweg bekannt – und ein echtes Problem.
Daran, dem ein Ende zu bereiten, wurde lange hingearbeitet – nicht ganz ohne Erfolg. Bereits 1985 war zwar der Rahmen für grenzüberschreitende polizeiliche Verfolgungsfahrten gesetzt worden, konkrete Bestimmungen sind aber bis heute von Einzelabkommen zwischen den Nachbarländern abhängig. So gelten immer noch jeweils andere Regeln, wenn Polizisten einen Täter aus oder nach Belgien, Deutschland oder Frankreich verfolgen.
Neues Abkommen verändert alles Besonders schwierig war die Situation etwa an der französischen Grenze. Das hat sich durch ein neues Abkommen am 11. Juli dieses Jahres geändert, wie das „Luxemburger Wort“berichtete. Seitdem dürften luxemburgische und französische Sicherheitskräfte Tatverdächtige über die bisher geltende Einschränkung von zehn Kilometern hinaus jenseits der Grenze verfolgen. Es gilt keine Kilometerbegrenzung mehr.
Über die weiteren Details des Abkommens zwischen Luxemburg und Frankreich gibt die Antwort vom Minister für Innere Sicherheit, Henri Kox (Déi Gréng), auf eine parlamentarische Anfrage der LSAP-Abgeordneten Mars Di Bartolomeo und Dan Biancalana Auskunft. Und es zeigt sich: Der Teufel liegt im Detail.
Die Umsetzungskonvention zu den Schengener Abkommen hatte 1985 bestimmt, dass Polizisten eine auf ihrem Territorium begonnene Verfolgungsfahrt einer auf frischer Tat ertappten Person jenseits der Landesgrenze fortsetzen können.
Das kann ohne vorherige Genehmigung geschehen, wenn diese in der Situation nicht möglich ist, in Fällen von größter Dringlichkeit oder wenn Kräfte aus dem Partnerland nicht rechtzeitig übernehmen können. Aber auch dann muss die Behörde aus dem Nachbarland unmittelbar bei der Überquerung der Grenze informiert werden.
1992 hatte ein Abkommen mit Frankreich festgelegt, dass eine Verfolgung ins Nachbarland – ganz gleich zu welcher Seite der Grenze – nach zehn Kilometern abgebrochen werden muss. Das wurde mit dem neuen Abkommen, das am 11. Juli 2022 in Kraft getreten ist, abgeschafft. Es gibt im neuen Abkommen aber ein entscheidendes Detail: Weder luxemburgische noch französische Polizeibeamten dürfen im jeweiligen Partnerland einen Verdächtigen festnehmen. Das dürfen nur die territorial zuständigen Beamten.
Einigkeit über 14 Straftaten
Dazu kommt – und das galt auch schon vorher: Es gibt exakt 14 Straftaten, bei denen eine grenzüberschreitende Verfolgung überhaupt erlaubt ist. Das sind Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Brandstiftung, Falschgeld, Hehlerei und Diebstahl in schwerwiegenden
Fällen, Erpressung, Entführung, Menschenhandel, Drogenhandel, Verstöße gegen Waffen- und Sprengstoffgesetze, Zerstörung durch Sprengstoff, illegaler Transport von toxischem und schädlichem Abfall sowie Fahrerflucht nach einem Unfall mit Todesfolge oder schweren Verletzungen. Es fällt auf: Bis auf eine Ausnahme stehen in dieser Liste keine Verkehrsdelikte und auch beispielsweise keine Einbrüche oder Diebstähle ohne Gewaltanwendung.
Wie dem Antwortschreiben des Ministers weiter zu entnehmen ist, gab es zwischen dem 1. Januar 2019 und dem 28. Juli 2022 drei Verfolgungsfahrten Luxemburger Polizisten in der Zehn-Kilometer-Zone im französischen Grenzgebiet und eine einzige von französischen Kollegen in Gegenrichtung. Der Minister betont zudem, dass es aufgrund der operativen polizeilichen Erfahrung wahrscheinlich sei, dass mehrere grenzüberschreitende Verfolgungen aufgrund der zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden Begrenzung auf zehn Kilometer gar nicht erst aufgenommen und an der Landesgrenze abgebrochen wurden.
Anderes Land, andere Regeln
Die parlamentarische Frage der beiden LSAP-Abgeordneten befasst sich ausschließlich mit dem polizeilichen Abkommen mit Frankreich. Die Konventionen mit Deutschland und Belgien sind ähnlich, aber nicht identisch. Klar ist aber auch hier, dass das, was für Luxemburger Polizisten im jeweiligen Nachbarland gilt, auch exakt so für die Beamten aus dem jeweiligen Land im Großherzogtum gilt.
Konkret heißt das etwa Folgendes: Die belgisch-luxemburgische Grenze darf von Polizeikräften bei einer Verfolgungsfahrt überschritten werden, wenn der Flüchtige sich einer Haftstrafe entzieht oder mit einer Tat in Verbindung gebracht wird, bei der eine Auslieferung möglich ist.
„Zwischen den Benelux-Staaten gibt es ein Auslieferungsabkommen, für alle Straftaten, für die die Höchststrafe bei mindestens sechs Monaten Haft liegt“, betont Polizeisprecherin Catherine Weber auf Nachfrage des „Luxemburger Wort“. Das wurde so bereits 1962 in einem Benelux-Abkommen festgehalten. Es gibt keine Einschränkungen in Bezug auf die Distanz der Verfolgungsfahrt und Polizisten beider Länder dürfen auch jenseits der Grenze Festnahmen vollziehen. Und: In Belgien muss im Gegensatz zu grenzüberschreitenden Einsätzen in Deutschland und Frankreich kein Flagrant délit vorliegen.
Für eine Verfolgung über die deutsch-luxemburgische Grenze hinweg muss ebenfalls ein Verdacht im Kontext einer Tat bestehen, für die ein Auslieferungsabkommen besteht. „Das ist hier der Fall, wenn die Maximalstrafe bei mindestens einem Jahr Freiheitsentzug liegt“, erklärt Catherine Weber.
Dem deutsch-luxemburgischen Abkommen zufolge dürfen auch Personen verfolgt werden, die als provisorisch festgenommen gelten oder gerade eine Haftstrafe verbüßen.
Das alles zeigt: Von einem einheitlichen System ist man noch weit entfernt. Von Polizisten wird derweil erwartet, dass sie die Unterschiede kennen, wenn sie eine Grenze überschreiten. Dennoch ist die Aufhebung des Zehn-Kilometer-Limits ein entscheidender Fortschritt bei der Kriminalitätsbekämpfung. Denn, die Chance einen Flüchtenden zu stellen, wird dadurch drastisch erhöht.
Zehn Kilometer waren nur wenige Minuten Fahrt. Konnte der Flüchtige bis dahin nicht gestoppt werden, mussten die Polizisten abbrechen.