Von der Hoffnungsträgerin zur Randfigur
18 Monate nach Amtsantritt ist US-Vizepräsidentin Kamala Harris so unbeliebt wie niemand zuvor auf diesem Posten
Kürzlich lud Kamala Harris zu einem „Runden Tisch“an ihrem Amtssitz ein. Sie nahm den 32. Jahrestag des „Americans With Disabilities Act“zum Anlass, um mit Vertretern der Behinderten über die Konsequenzen des Abtreibungsurteils des Supreme Court zu sprechen. Ein Thema, das der Stellvertreterin Joe Bidens genuin am Herzen liegt und ihr zuletzt geholfen hatte, ihr angeschlagenes Image aufzupolieren. Bis zu diesem Tag, Ende Juli, als die Kameras das Treffen im „Eisenhower Executive Office“neben dem Weißen Haus aufzeichneten.
Die Vizepräsidentin sitzt hinter einer schwarzen Maske am Kopfende und stellt sich der Runde vor. „Ich bin Kamala Harris. Meine Pronomen sind ,sie’ und ,ihr’. Und ich bin eine Frau, die mit einem blauen Anzug am Tisch sitzt“. Ein banaler Moment, der sich im Internet wie ein Lauffeuer verbreitete. Unfair, gewiss, wegen des fehlenden Kontexts ihrer Vorstellung, die sich an ein Publikum richtete, in dem sehgeschädigte Menschen saßen. Aussagekräftig aber, weil es vielen plausibel schien, dass Harris in diesem Moment etwas von ihrer Persönlichkeit offenbart hatte.
Die ehrgeizige Aufsteigerin wird innerhalb und außerhalb ihrer Partei als kalkulierend wahrgenommen. Ein wenig so wie Hillary Clinton, die je nach Publikum verstand, auf die richtigen Glocken zu schlagen. In diesem Fall stellte sich Harris unglücklich an. Mit dem „Gebrauch der Pronomen“signalisierte sie politische Korrektheit, während die Beschreibung ihrer Kleidung Feministen die Luft anhalten ließ.
Das Magazin „The Atlantic“verglich den Auftritt mit der Peinlichkeit, die Mitt Romney einst ausgelöst hatte, als er auf die Frage nach seinem Lieblingsfleisch sagte: „Hot Dogs“. In den USA wird dieses Umschmeicheln von Wählern auch als „pandering“bezeichnet. Und genau das ist eines der Probleme, das die mit großen Vorschusslorbeeren ins Amt gestartete Harris in den Umfragen wie ein Anker nach unten reißt. Sie wird als konturlose Opportunistin wahrgenommen.
Tritt Biden nochmals an?
Harris rangiert mit weniger als einem Drittel Zustimmung bei den Wählern noch unterhalb der schwachen Werte Bidens. Ihre Verteidiger machen dafür die Hetze in rechten Medien wie FOX und Breitbart verantwortlich, die von Sexismus und Rassismus geprägt sei. Doch selbst in ihrer Partei hat die einst als „weiblicher Obama“gefeierte Tochter einer Mutter aus Indien und eines Vaters aus Jamaika, die in Kalifornien aufwuchs und an der schwarzen Elite-Uni von Howard in Washington studierte, einen schweren Stand.
Falls sich der 79-jährige Präsident umentscheiden und nicht mehr für eine zweite Amtszeit antreten sollte, wäre seine Stellvertreterin nicht automatisch die gesetzte Kandidatin der Demokraten.
Eine kürzliche Umfrage in New Hampshire, dem ersten Bundesstaat mit Primaries bei den Demokraten, sieht sie in einem breiten Bewerberfeld abgeschlagen im einstelligen Bereich.
Harris versuchte von der Diskussion um ihre Ambitionen für 2024 abzulenken, als sie in einem Interview den Fokus auf den Präsidenten lenkte. Dieser habe erklärt, noch einmal anzutreten. Sie konzentriere sich auf ihre Aufgaben. Doch so einfach ist das nicht in einem Amt, in dem sie sprichwörtlich nur einen Herzschlag vom Oval Office weit entfernt ist. Als Biden Mitte August wegen einer Covid-19-Infektion für mehrere Tage ausfiel, fragten mehr Amerikaner als vor eineinhalb Jahren: Kann Kamala Harris Präsidentin?
Projekte von Harris stecken fest
Während sich die ausgebildete Juristin in ihrer kurzen Zeit als Senatorin (2017-2021) auf dem Kapitolshügel mit ihren bohrenden Fragen bei Anhörungen einen Namen machte, wirkt sie als Vizepräsidentin überfordert. In den beiden Aufgabenfeldern, die ihr Biden übertrug – Flüchtlingskrise und Wahlrechtsreform – machte Harris nach Ansicht von Analysten wie Jeffrey Frank eine ausgesprochen unglückliche Figur.
In einem Interview mit Lester Holt auf NBC wandte sich Harris wie ein Aal bei der Frage, ob sie vorhabe, sich einmal die Situation an der Südgrenze von Mexiko vor Ort anzuschauen. Die Linke verärgerte sie mit einem „Kommt nicht, wir schieben Euch ab“-Appell an die Flüchtlinge. Nicht viel anders die Bilanz bei der Wahlrechtsreform, die ihre Partei als erstes Gesetz in den neuen Kongress eingebracht hatte. Erreicht hat sie nicht einmal ein „Reförmchen“.
Ihre gefürchtete Schärfe im Amt als erste Chefanklägerin von Kalifornien schien sich im „Eisenhower Executive Office“in fade Schwäche zu verwandeln. Wobei der Autor mehrerer Bücher über US-Vizepräsidenten, Jeffrey Frank, die Schuld dafür nicht allein bei Harris sieht. Biden habe sie vor allem im Wahlkampf gebraucht, weil sie als erste Frau, mit afroamerikanischer und asiatischer Herkunft politisch nützlich gewesen sei. „Sie blieb in ihrer politischen Rolle stecken“.
Biden habe sie nicht wirklich am Regieren beteiligt, klagen auch andere, die sie vor dem Vorwurf der Wirkungslosigkeit verteidigen. Während der Präsident selber als Stellvertreter Obamas von seinen wöchentlichen Mittagessen unter vier Augen profitiert habe, setzte
Biden diese Tradition mit Harris nicht fort. Dasselbe gilt für die damals üblichen Vereinbarungen mit dem Außenminister, die der Vizepräsidentin helfen könnten, international auf Ballhöhe zu bleiben. „Ihre Abwesenheit beim Regieren, als Krisenmanagerin und Gestalterin von Politik, macht sie zu einer ziemlich schwachen Erbin“, schreibt Frank in der „New York Times“. Ein Umstand, der die Amerikaner angesichts des Alters des Präsidenten für sich genommen beunruhigen sollte.
Die demokratische Strategin, Donna Brazile, meint, die Pandemie habe es Harris schwer gemacht, ein schärferes Profil zu entwickeln. In dem 50 zu 50 geteilten Senat habe sie darüber hinaus die wichtige, aber undankbare Aufgabe, mit ihrer Stimme für eine Mehrheit zu sorgen. Sie tat das in ihrer kurzen Amtszeit insgesamt 26 Mal häufiger als jeder ihrer Vorgänger. Zuerst beim „American-Rescue-Act“genannten Covid-19Hilfspaket, zuletzt bei dem großen Klima-, Gesundheits- und Steuergesetz.
Wer hält noch zu Harris?
Als wenig hilfreich für ihr Image erwiesen sich anhaltende Vorwürfe über ihren Umgang mit Personal, den Betroffene als „schwierig“
beschreiben. Wie schon in der Vergangenheit im Justizministerium von Kalifornien, in ihrem Senatsbüro und im Wahlkampfteam ihres gescheiterten Anlaufs auf das Weiße Haus 2020 knirschte es lautstark unter ihren Mitarbeitern. Sie verlor bereits ihre Sprecherin, Stabschefin und wichtigste Strategin.
Bei ihrem Versuch, Boden unter die Füße zu bekommen, hilft Harris die vielleicht treueste Klientel der Demokraten, die schwarzen Frauen. Der Demoskop Cornell Belcher macht in dieser Wählergruppe eine Zustimmungsrate aus, die anhaltend über 70 Prozent liegt. „Im Moment bin ich für Biden“, erklärt der Kongressabgeordnete James Clyburn die Bedeutung dieses Rückhalts. Er verhalf dem totgesagten Biden mit der Mobilisierung der Afroamerikanerinnen bei den Vorwahlen in South Carolina zur Wiederauferstehung. „An zweiter Stelle bin ich für Harris“.
Ihre Unterstützer warnen allerdings davor, die Vizepräsidentin abzuschreiben. Sie habe mit dem Abtreibungsurteil ein Thema gefunden, dass ihr helfe, sich zu profilieren. Es sei denn, Harris steht sich selber im Weg, wie bei dem „runden Tisch“mit Maske, der Verkündigung ihrer Pronomen und blauem Anzug.