Die Reise eines amerikanischen Koffers
Wie eine Schwester des Pensionnat Ste-Anne und ein Museumsvorsitzender das Geheimnis um ein altes Gepäckstück lüften
Jean-Philippe Schmit
Ettelbrück. Während 75 Jahren interessierte sich niemand für den grünen Militärkoffer. Er stand zwischen alten Möbeln auf dem Dachgeschoss des Pensionnat Ste-Anne in Ettelbrück und wartete darauf, entdeckt zu werden. „Als vor drei Jahren Renovierungsarbeiten anstanden und Schwester Rita den Speicher aufräumte, stieß sie auf einen alten verstaubten Koffer“, berichtet der Vorsitzende des Pattonmuseums, Jos Tholl.
„Nach sorgfältiger Reinigung entdeckten wir einen schwarzen Schriftzug“, erinnert er sich: „Capt. D.S. Lacqement 0 468 966.“Das Interesse war geweckt, Tholl wollte herausfinden, wer der ehemalige Besitzer war. „In der Folge beschäftigte ich mich intensiver mit dem Koffer.“
Langwierige Recherche
Der Vorsitzende des Pattonmuseums setzte alle Hebel in Bewegung, um mehr über den Besitzer des Koffers zu erfahren. Zuerst versuchte er es über einen befreundeten amerikanischen Armeehistoriker. „Was sich als schwierig herausstellte“,
Jos Tholl ist es zu verdanken, dass das Geheimnis des Koffers gelüftet wurde.
bemerkt er. Dann kontaktierte er das nationale Archiv in Washington, ohne Resultat. Auch die Battle of the Bulge Association konnte Jos Tholl nicht weiterhelfen. Es schien, als wenn es nie einen Captain mit dem Namen Lacqement gegeben hätte. Doch Jos Tholl gab nicht auf.
Kaplan Delbert Sullins Lacquement ließ den Koffer in Luxemburg zurück.
„Durch intensive und hartnäckige Nachforschungen fand ich im U.S. Army Register den richtigen Namen“, freut er sich. Der Besitzer des Koffers hieß Delbert Sullins Lacquement, der Name war falsch geschrieben. Dann ging auf einmal alles sehr schnell. Jos Tholl kam in Kontakt mit Hubert Lacquement, dem ältesten Sohn des Captains.
Delbert Sullins Lacquement wurde im Juli 1905 im Bundesstaat Missouri geboren. Seine Kindheit muss sehr hart gewesen sein. „Sein Vater hatte ihn oft an benachbarte Bauern als Tagelöhner für einen Vierteldollar pro Tag vermietet“, schrieb Hubert Lacquement in Briefen an Tholl. Die Familie legte auch keinen Wert auf Bildung. Delbert war, als er die achte Klasse abschloss, die am besten ausgebildete Person in der Familie.
Keine einfache Kindheit
Noch während seiner Schulzeit starb seine Mutter und sein Vater heiratete erneut. „Als Delbert verkündete, dass er die Highschool besuchen wolle, meinte die Stiefmutter, dass sie keine Schmarotzer in ihrem Haus dulde“, erzählt Tholl. Der junge Delbert musste für Kost und Logis zahlen, also arbeitete er während der Nacht in der örtlichen Bleihütte. Zur Schule ist er dennoch gegangen.
„Delbert fand im örtlichen Methodistenpfarrer eine einfühlsame
Vaterfigur“, so Jos Tholl. Er beschloss, ebenfalls Pfarrer zu werden. Während seines Studiums sei er der Liebling des Superintendenten gewesen. „Bis er sich in dessen Tochter verliebte.“Cora wurde mit Hubert schwanger und Delbert heiratete seine Angebetete dann doch noch. Zwei weitere Söhne sollten folgen.
„Als Frankreich im Jahr 1940 an die Deutschen fiel, war der französischstämmige Lacquement am Boden zerstört“, sagt Tholl. Als die Japaner Pearl Harbor angriffen, trat der 35-Jährige als Kaplan in die Armee ein. Im Sommer 1944 packte er den Koffer und setzte nach Großbritannien über. In der Normandie betrat er zum ersten Mal den europäischen Kontinent und kam über Belgien nach Luxemburg. „Er wurde im rechten Turm der Kathedrale von Clerf einquartiert“, wusste der Sohn.
„Er hatte immer eine 35-mm-Kamera bei sich“, so Jos Tholl. Diese Kamera könnte auch der Inhalt des Koffers gewesen sein. Jedenfalls war es der Fotoapparat, der Lacquement nach Ettelbrück führte. „Ein örtlicher Apotheker, Poppa Doc, überließ dem Kaplan seine Dunkelkammer, um die Filme zu entwickeln.“
Wahrscheinlich brachte der die Fotos anschließend zum amerikanischen Hauptquartier, das sich im Pensionat St. Anne befand. Gekämpft hatte der Kaplan indes nie, „als Armeegeistlicher kam er nie in den Kampfeinsatz“. Den Krieg lernte er trotzdem kennen. Zu Beginn der Ardennenoffensive war Jacquement gerade „bei seinen Männern an der Front“. Nachdem diese einen deutschen Infanterieangriff abgewehrt hatten, überquerte ein deutscher Panzer eine kleine Brücke und flankierte die US-Stellung. Der amerikanische Offizier befahl den Rückzug nach Manderfeld, einem kleinen Ort in den belgischen Ardennen. „Capt Lacquement erinnerte sich lebhaft an das, was folgen sollte“, wird der Sohn Jahre später an Jos Tholl schreiben.
Der Jeep seines Vaters fuhr an der Spitze der Kolonne. „Als er im Morgennebel die schmale Straße in Richtung Manderfeld hinunterrannte, sah er, wie Leuchtspurgeschosse aus dem Maschinengewehr des Panzers an ihm vorbeiflogen.“Auf dem Weg nach Sankt Vith lud Kaplan Lacquement Verwundete auf seinen Jeep. Einige von ihnen starben, bevor sie zu einer medizinischen Versorgungsstation gebracht wurden, das wird den Kaplan noch länger beschäftigen.
Gesundheitliche Folgen
Als der Jeep schlussendlich Sankt Vith erreichte, hatte Lacquement „mehrere Tage weder gegessen noch geschlafen“, erklärte der Sohn. Als er sich beim Corps Kaplan meldete, konnte er seinen Mund nicht öffnen, seine Kiefer waren geschlossen. Die Ärzte diagnostizierten zudem einen leichten Herzinfarkt. „Heute würden wir es posttraumatische Belastungsstörung nennen“, schrieb der Sohn.
Der Vater wurde nach England evakuiert und kam wieder in die USA. Nach einem längeren Krankenhausaufenthalt wurde er aus medizinischen Gründen in den Ruhestand geschickt. Die Ärzte gaben ihm noch ein Jahr zum Leben. „Er trotzte dieser Diagnose, nahm den aktiven Dienst in der Southern Illinois Conference of the Methodist Church wieder auf und sollte noch weitere 38 Jahre leben“, schrieb der Sohn an Jos Tholl.
Sein Koffer aber blieb in Luxemburg. Er wurde auf dem Speicher des Hauptquartiers abgestellt und geriet in Vergessenheit, bis Schwester Rita auf ihn aufmerksam wurde. Das Pattonmuseum steht weiterhin mit der Familie Lacquement in Kontakt. „Wir sollen noch den Helm erhalten“, sagt Jos Tholl. „Dann werden wir den Koffer im Museum ausstellen.“
Als Frankreich 1940 an die Deutschen fiel, war der französischstämmige Lacquement am Boden zerstört. Jos Tholl, Vorsitzender des Pattonmuseums