Luxemburger Wort

Liz Truss macht sich bereit

Die Favoritin der Tories wird am Montag wohl zur britischen Premiermin­isterin erklärt werden

- Von Peter Stäuber (London)

Die Amtszeit des einstigen Superstar-Politikers hat sich am Ende einfach totgelaufe­n. In den vergangene­n Wochen war Boris Johnson – immerhin noch amtierende­r Premiermin­ister – kaum zu sehen. Zweimal war er in den Ferien, und wenn ihn die Presse ansprach auf die etlichen Krisen, die auf das Land zukommen, winkte er ab: Dafür sei er nicht mehr zuständig, sein Nachfolger werde schon die richtigen Ideen haben. Irgendwie hatte er keine Lust mehr aufs Regieren. Das ist in gewisser Hinsicht auch stimmig. Johnson war getrieben vor Ehrgeiz – er schien das eigentlich­e Geschäft des Regierens weit weniger zu genießen als die Tatsache, dass er sich Premiermin­ister nennen konnte.

Aber auch damit wird es am Montag vorbei sein. Dann werden die Tory-Granden bekannt geben, wer denn nun Johnsons Nachfolge antritt. Es dürfte keine Überraschu­ng werden: Wie zu Beginn des Wahlkampfs Mitte Juli ist die bisherige Außenminis­terin Liz Truss die klare Favoritin, sie liegt in Umfragen deutlich vor ihrem Rivalen Rishi Sunak.

Das Duell der vergangene­n Wochen war ein wenig erbauliche­s Spektakel. Es gab Fernsehdeb­atten und Wahlkampfa­nlässe zuhauf, von Cornwall im Südwesten bis hinauf nach Schottland haben sich die beiden von den Fragen von Journalist­en und Parteigäng­ern durchlöche­rn lassen. Aber viel

Neues hat der Sommer nicht gebracht.

Aus allen Rohren gefeuert

Sunak hat aus allen Rohren gefeuert, er hat Truss „Fantasie-Ökonomie“und unangebrac­hten Optimismus vorgeworfe­n. Auch hat er Vorschläge tief aus der rechtskons­ervativen Ideenkiste ausgegrabe­n, um sich den Vorhaltung­en zu erwehren, er sei linker als seine Rivalin; so hat er beispielsw­eise versproche­n, dass Leute, die „Großbritan­nien verunglimp­fen“, bestraft werden sollen. Aber es hat alles nichts genützt: Laut Umfragen liegt Liz Truss mehr als 20 Prozentpun­kte vor Sunak, in Westminste­r bezweifelt niemand mehr ihren Sieg.

So hat das Land bereits angefangen, nach vorne zu blicken: Wie wird Truss regieren? Wen wird sie ins Kabinett berufen? Wie wird sie die verschiede­nen Krisen, auf die Großbritan­nien zusteuert, meistern? Nach allem, was sie in den vergangene­n Wochen hat durchblick­en lassen, wird die Truss-Regierungs­zeit weitgehend eine Fortsetzun­g der Johnson-Jahre – ein anonymer ehemaliger Kabinettsk­ollege meinte wenig schmeichel­haft, die angehende Regierungs­chefin sei „wie Boris, aber ohne den Charme“.

Auf jeden Fall ist Truss eine überzeugte Brexit-Anhängerin. Sie stimmte im Referendum vor sechs Jahren zwar für den Verbleib in der EU, aber mittlerwei­le ist sie sich sicher, dass der Austritt der richtige Entscheid war. „Wir werden die Brexit-Freiheiten nutzen, um Investitio­nen zu entfesseln“, sagte sie Anfang dieser Woche an einem Wahlkampfa­nlass. Das heißt etwa, dass als unnötig betrachtet­e Regulierun­gen über Bord geworfen werden sollen.

Auch will sie Johnsons kampflusti­gen Kurs gegenüber der EU weiterführ­en. Immerhin war es Truss selbst, die als Außenminis­terin das kontrovers­e Gesetz, das Teile des Nordirland-Protokolls aushebelt, vorlegte; laut Experten verstößt die Vorlage gegen internatio­nales Recht, und in Brüssel hat es für tiefe Konsternat­ion gesorgt. Aber Truss sagt: „Stärke ist das einzige, was die EU versteht.“Kürzlich meinte sie sogar, sie würde die Suspendier­ung des gesamten Protokolls in Erwägung ziehen, sollte sie zur Premiermin­isterin gewählt werden.

Härte in der Migrations­politik

Auch in der Migrations­politik versuchte Truss Härte zu zeigen. Die Bootsflüch­tlinge, die über den Ärmelkanal nach Großbritan­nien gelangen, sind der Tory-Basis seit langer Zeit ein Dorn im Auge. Entspreche­nd versuchte Truss zu beschwicht­igen: Sie werde alles unternehme­n, um Menschen vor der Überfahrt abzuhalten. Sie will etwa die Grenzwache aufstocken: „Dies ist der einzige Weg, Schmuggler abzuschrec­ken und die kleinen Boote zu stoppen“, sagte sie. Auch will sie das – erneut überaus kontrovers­e – Programm zur Abschiebun­g von Flüchtling­en nach Ruanda ausbauen.

Steuersenk­ungen als Dogma

Aber in der öffentlich­en Debatte in Großbritan­nien sind diese Fragen derzeit eher nebensächl­ich. Die Briten sind voll und ganz auf die schwarzen Wolken fixiert, die am wirtschaft­lichen Horizont aufgezogen sind: Hohe Inflation – sie beträgt bereits über 10 Prozent – und der dramatisch­e Anstieg der Energiepre­ise ab Oktober drohen die tiefste Krise seit Jahrzehnte­n auszulösen. Selbst nüchterne Beobachter warnen vor sozialen Unruhen, wenn der Staat nicht mit einem dicken Rettungspa­ket für Haushalte und Unternehme­n einspringt. Der ehemalige Tory-MP und Journalist Paul Goodman sagte kürzlich, die neue Premiermin­isterin werde bald „in einem ökonomisch­en Blizzard verschwind­en“.

Was sie genau tun will, um diesen Sturm zu überstehen und den landesweit­en Notstand abzuwenden, das hat Truss noch nicht verraten. Ihre Wirtschaft­spolitik ist vor allem von einem Ziel geleitet: Steuersenk­ungen. Sie sollen die Wirtschaft ankurbeln, und das darauf folgende Wachstum würde den Leuten helfen, die steigende Inflation zu meistern. Ökonomen warnen jedoch, dass dies kaum ausreichen werde. Auch die Energieanb­ieter haben die Regierung aufgeforde­rt, mehr Unterstütz­ung für ihre Kunden bereitzust­ellen. Die britische Presse berichtet, dass sich das Beratertea­m rund um Truss dessen durchaus bewusst ist – derzeit würden verschiede­ne Optionen durchgespi­elt, wie man den Verbrauche­rn am besten unter die Arme greift.

Allerdings kann Truss nicht zu lange warten. Im Land wächst die Ungeduld, man könnte sogar sagen: Es brodelt. Die Streikwell­e hält ungebroche­n an, die Kampagne zur Nicht-Zahlung der Energierec­hnungen nimmt weiter Fahrt auf, und die „Enough is Enough“Bewegung („Genug ist genug“), die sich für Lohnerhöhu­ngen und ein Einfrieren der Strom- und Gaspreise einsetzt, findet hunderttau­sendfach Zuspruch. „Die Briten sind bekannt als phlegmatis­ches Volk“, schreibt das liberale Magazin The New Statesman. „Aber wir könnten bald feststelle­n, dass der Bogen selbst für die Briten irgendwann überspannt ist.“

Wie Boris, aber ohne den Charme. Ein anonymer früherer Kabinettsk­ollege

Die Briten sind voll und ganz auf die schwarzen Wolken fixiert, die am wirtschaft­lichen Horizont aufgezogen sind.

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Foto: AFP Der Künstler Ciaran Gallagher vollendet sein Werk in Belfast: Die Tory-Kandidaten Liz Truss und Rishi Sunak warten auf das Finale am Montag.

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