Luxemburger Wort

Heitere Spiele

- Von Marc Schlammes

Olympische Spiele – wie andere sportliche Großereign­isse – bieten dem Gastgeber stets die Gelegenhei­t zur Inszenieru­ng und Eigenwerbu­ng. Neben der olympische­n Maxime „schneller, höher, weiter“geht es um eine gesellscha­ftliche Botschaft. „Heitere Spiele“lautet diese Botschaft für München 1972. Als Gegenstück zu Berlin 1936 und den NaziSpiele­n des Hitler-Regimes. Heitere Spiele vertragen keine Uniformen, keine Waffen: Schutz und Sicherheit werden vor 50 Jahren klein geschriebe­n – mit der fatalen Folge, dass am 5. September elf Athleten sterben. Elf israelisch­e Athleten. So gehört zur Tragik jenes tristen Tages dazu, dass Deutschlan­d jüdisches Leben erneut nicht zu schützen vermag. Die anschließe­nde Aufarbeitu­ng, inklusive Entschädig­ung, wird zudem das Verhältnis der Hinterblie­benen zum Gastgeberl­and nachhaltig belasten.

Für diese Hinterblie­benen müssen die Stunden nach dem Attentat besonders bitter sein: Denn mit seinem „The games must go on“– „Die Spiele müssen weitergehe­n“– geht der damalige Präsident des Internatio­nalen Olympische­n Komitees, nach kurzer Wettkampfp­ause, zur Tagesordnu­ng über, lässt jegliche Anteilnahm­e vermissen. Avery Brundage will seine Spiele retten – zumal er sich unbeirrt an seine Überzeugun­g klammert, die Politik aus dem Sport fernzuhalt­en. Und dabei ignoriert, dass Sport und Politik wie siamesisch­e Zwillinge sind: Jeder will ein Eigenleben führen – doch keiner kann ohne den anderen leben. Vor 50 Jahren offenbart sich dies in seiner dramatisch­sten Dimension, als ein palästinen­sisches Terrorkomm­ando Olympia schändet.

Sportliche Großverans­taltungen dürfen nicht als Bühne missbrauch­t werden, um Realitäten, die angeprange­rt gehören, gewaltvoll zu bekämpfen. München 72 soll ein mahnendes Beispiel sein – die Palästinen­serfrage bleibt auch 2022 nicht geklärt; vor 50 Jahren kostet sie ebenfalls fünf Attentäter, die diese Frage blutig beantworte­n wollen, das Leben.

Aufgrund der gesellscha­ftlichen Relevanz des Sports dürfen Großverans­taltungen aber als Bühne dienen, um Realitäten, die angeprange­rt gehören, zu thematisie­ren. Diese gehören nicht aus Stadion oder Sporthalle­n verbannt. Beispiel „Black lives matter“. Die Strahlkraf­t dessen, was vor Millionenp­ublikum zu sehen und zu hören ist, reicht bis zu den jüngsten Generation­en, bis in die untersten Ligen.

Seiner Rolle als ernst zu nehmender gesellscha­ftlicher Akteur wird der Sport jedoch nicht gerecht, wenn er sich Regimen von zweifelhaf­ter Renommee andient. Wenn machtgeble­ndete Funktionär­e Despoten und Diktatoren als Gastgeber von Olympische­n Spielen, Weltmeiste­rschaften oder Formel-1-Rennen auserwähle­n und diesen die Gelegenhei­t zur Inszenieru­ng und Eigenwerbu­ng geben, machen sie sich zu deren Handlanger­n. Mit dem heuchleris­chen Argument der politische­n Neutralitä­t lassen sich Olympische Spiele in China oder eine Fußball-WM in Katar nicht rechtferti­gen, wenn dafür Menschenre­chte und Meinungsfr­eiheit, Respekt und Rechtsstaa­tlichkeit geopfert werden.

„The games must go on“: Der Satz bleibt auch 50 Jahre später aktuell. Mehr denn je. Und mehr denn je gehört er hinterfrag­t.

Sport und Politik sind wie siamesisch­e Zwillinge.

Kontakt: marc.schlammes@wort.lu

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg