Heitere Spiele
Olympische Spiele – wie andere sportliche Großereignisse – bieten dem Gastgeber stets die Gelegenheit zur Inszenierung und Eigenwerbung. Neben der olympischen Maxime „schneller, höher, weiter“geht es um eine gesellschaftliche Botschaft. „Heitere Spiele“lautet diese Botschaft für München 1972. Als Gegenstück zu Berlin 1936 und den NaziSpielen des Hitler-Regimes. Heitere Spiele vertragen keine Uniformen, keine Waffen: Schutz und Sicherheit werden vor 50 Jahren klein geschrieben – mit der fatalen Folge, dass am 5. September elf Athleten sterben. Elf israelische Athleten. So gehört zur Tragik jenes tristen Tages dazu, dass Deutschland jüdisches Leben erneut nicht zu schützen vermag. Die anschließende Aufarbeitung, inklusive Entschädigung, wird zudem das Verhältnis der Hinterbliebenen zum Gastgeberland nachhaltig belasten.
Für diese Hinterbliebenen müssen die Stunden nach dem Attentat besonders bitter sein: Denn mit seinem „The games must go on“– „Die Spiele müssen weitergehen“– geht der damalige Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, nach kurzer Wettkampfpause, zur Tagesordnung über, lässt jegliche Anteilnahme vermissen. Avery Brundage will seine Spiele retten – zumal er sich unbeirrt an seine Überzeugung klammert, die Politik aus dem Sport fernzuhalten. Und dabei ignoriert, dass Sport und Politik wie siamesische Zwillinge sind: Jeder will ein Eigenleben führen – doch keiner kann ohne den anderen leben. Vor 50 Jahren offenbart sich dies in seiner dramatischsten Dimension, als ein palästinensisches Terrorkommando Olympia schändet.
Sportliche Großveranstaltungen dürfen nicht als Bühne missbraucht werden, um Realitäten, die angeprangert gehören, gewaltvoll zu bekämpfen. München 72 soll ein mahnendes Beispiel sein – die Palästinenserfrage bleibt auch 2022 nicht geklärt; vor 50 Jahren kostet sie ebenfalls fünf Attentäter, die diese Frage blutig beantworten wollen, das Leben.
Aufgrund der gesellschaftlichen Relevanz des Sports dürfen Großveranstaltungen aber als Bühne dienen, um Realitäten, die angeprangert gehören, zu thematisieren. Diese gehören nicht aus Stadion oder Sporthallen verbannt. Beispiel „Black lives matter“. Die Strahlkraft dessen, was vor Millionenpublikum zu sehen und zu hören ist, reicht bis zu den jüngsten Generationen, bis in die untersten Ligen.
Seiner Rolle als ernst zu nehmender gesellschaftlicher Akteur wird der Sport jedoch nicht gerecht, wenn er sich Regimen von zweifelhafter Renommee andient. Wenn machtgeblendete Funktionäre Despoten und Diktatoren als Gastgeber von Olympischen Spielen, Weltmeisterschaften oder Formel-1-Rennen auserwählen und diesen die Gelegenheit zur Inszenierung und Eigenwerbung geben, machen sie sich zu deren Handlangern. Mit dem heuchlerischen Argument der politischen Neutralität lassen sich Olympische Spiele in China oder eine Fußball-WM in Katar nicht rechtfertigen, wenn dafür Menschenrechte und Meinungsfreiheit, Respekt und Rechtsstaatlichkeit geopfert werden.
„The games must go on“: Der Satz bleibt auch 50 Jahre später aktuell. Mehr denn je. Und mehr denn je gehört er hinterfragt.
Sport und Politik sind wie siamesische Zwillinge.
Kontakt: marc.schlammes@wort.lu