Deutschland bittet um Vergebung
Abgeschlossen ist das dunkle Kapitel für die Hinterbliebenen der Opfer des Olympia-Attentats von 1972 dennoch nicht
Ehe er nach Fürstenfeldbruck fährt, kommt Eyal Shapira ins Olympische Dorf. Zum Haus des Attentats. Connollystraße 31. Berührt die steinerne Gedenktafel dort, wo der Name seines Vaters Amizur in hebräischen Lettern steht. Und sagt langsam, als suche er nach Worten in der Sprache, die er in Deutschland spricht, damit man ihn hier versteht: „I’m sorry that my father couldn’t see my children.“Neben ihm steht sein Sohn, dem er den Namen seines Vaters gegeben hat. Und Amizur Shapira junior sagt: „Sie haben sie nicht nur gefangen genommen. Sie haben sie gequält. Dinge gemacht, die man sich nicht vorstellen kann.“
Nicht vorstellen kann man sich auch, dass es ein halbes Jahrhundert gedauert hat, ehe das amtierende deutsche Staatsoberhaupt sagt, was so offensichtlich ist und was Eyal Shapira und all die anderen Angehörigen der elf Sportler, die am 5. September 1972 während der Olympischen Spiele in München bei einem Anschlag palästinensischer Terroristen starben, erwartet und schließlich gefordert haben.
„Auch wir“, sagt Frank-Walter Steinmeier, „tragen Verantwortung.“Und dann bittet er Eyal und Amizur Shapira und alle Hinterbliebenen „als Staatsoberhaupt dieses Landes und im Namen der Bundesrepublik Deutschland um Vergebung für den mangelnden Schutz der israelischen Athleten damals bei den Olympischen Spielen in München und für die mangelnde Aufklärung danach; dafür, dass geschehen konnte, was geschehen ist.“
Ein einsamer und langer Weg für die Hinterbliebenen
Für „eine mutige, historische Rede, die unsere Herzen berührt hat“, dankt danach Israels Präsident Isaac Herzog seinem deutschen Kollegen, den er „mein Freund“nennt. Herzog steht auf und umarmt Steinmeier. Aber zuvor tut es Ankie Spitzer, die 24 war, als ihr Mann Andrei bei der dilettantisch geplanten und grauenvoll missglückten Befreiungsaktion der deutschen Sicherheitskräfte sein Leben verlor, und die fünfzig Jahre nicht schwieg, sondern Gerechtigkeit forderte. Für die Ermordeten. Und ihre Familien. Nicht allein Geld. Die aber stattdessen, wie Herzog sagt, „Gleichgültigkeit“erfuhren und „Im-Stich-Gelassenwerden“. 49 Jahre und 361 Tage lang. Erst fünf Tage, ehe das halbe Jahrhundert voll wurde, hat man sich auf eine Entschädigung geeinigt. Die Hinterbliebenen wollten anderenfalls nicht zur Gedenkfeier kommen.
Aber nun sind sie da. Und am Ende der Gedenkfeier spricht Ankie Spitzer. „My dearest Andrei“, sagt sie. Was folgt, ist ein Liebesbrief an den Ermordeten. In dem sie beklagt, dass „das mächtige Deutschland“nicht „wirklich alles in seiner Macht Stehende“getan habe, „um nicht noch mehr jüdisches Blut zu dem schon blutigen Boden hinzuzufügen“. Sie habe ihre Kinder „aufgezogen, ohne Hass in ihren Herzen“. Aber der Weg der Hinterbliebenen sei „lang und einsam“gewesen. Und wenn sie, nach der Einigung mit Deutschland, gefragt werde, ob sie jetzt „einen Abschluss finden“könne: „Das Loch in meinem Herzen wird nie heilen.“Aber er könne nun in Frieden ruhen. „Andrei“, schließt Ankie Spitzer, „du warst der Wind unter meinen Flügeln.“Sie weint nicht dabei. Viele andere schon.