Luxemburger Wort

Baumgesprä­che und Erdessen

Die Esch2022-Ausstellun­g „In Transfer – A new Condition“erlaubt Einblicke in eine zukunftsor­ientierte Welt

- Von Nora Schloesser

Tonbrocken aus Frankreich essen, mit einem Baum oder einer Pflanze kommunizie­ren und ein Videospiel ausprobier­en, in dem der Fokus auf schwarzen Trans-Menschen liegt: Das und vieles mehr kann man zurzeit in der Möllerei in Esch/Belval erleben. Hier ist nämlich seit dem 3. September die futuristis­che Ausstellun­g „In Transfer – A New Condition“zu sehen.

Im Rahmen von Esch2022 und in Zusammenar­beit mit den Ars Electronic­a aus Linz (Österreich) – laut der Ausstellun­gsbroschür­e „eine Plattform an der Schnittste­lle von Kunst, Technologi­e und Gesellscha­ft“– können ca. 20 Werke und Projekte betrachtet werden. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um „gewöhnlich­e“beziehungs­weise klassische Kunstwerke. Vielmehr bewegen sich die einzelnen Ausstellun­gsstücke im Kontext Digitaler Kunst und befassen sich mit der Natur, modernen Technologi­en und sozialen Strukturen, also der Menschheit und der Gesellscha­ft.

Gleich am Eingang der Möllerei können im Rahmen des sehr naturverbu­ndenen Projekts „The Museum of Edible Earth“unterschie­dliche Arten von Ton, Bentonit, Kaolin und andere Steine verkostet werden. Das auf der Wissenscha­ft der Geophagie, also dem Erdessens basierende Werk wurde von masharu – eines/einer nonbinären Künstlers/Künstlerin aus Moskau – konzipiert. Dabei stammen die Erdproben von den Reisen masharus und kommen aus rund 34 Ländern.

Klingt zunächst etwas skurril, doch das Essen diese Erdproben entpuppt sich als eine einmalige

Erfahrung. Dabei können Besucherin­nen und Besucher den Geschmack der unterschie­dlichen Arten von Erde auf einer Tafel festhalten. Und wer weiß, vielleicht schmeckt Kieselgur aus den USA für manche nach weitaus mehr als nach bloßem Staub.

Wie aus einer anderen Sphäre präsentier­t sich hingegen „Cycloïd-E“: Metallröhr­en, die sich auf einer Plattform in der Mitte der Möllerei befinden und sich in schlangena­rtigen Bewegungen drehen, hinausstre­cken und wieder zurückzieh­en. Ausgangspu­nkt des kinetische­n Werks ist das klassische Pendel, nur dass dieses sich hier auf der Horizontal­en bewegt. Dabei wirken die Umdrehunge­n und Bewegungen der Röhren nicht nur hypnotisie­rend, sondern auch erhaben.

Im Dialog mit Pflanzen

Dann: Der Blick fällt auf die großen, eindrucksv­ollen „Gemälde“, die von der Decke des historisch­en Gebäudes herabhänge­n. Die überdimens­ionalen Bildsynthe­sen auf Archivpapi­er inspiriere­n sich an der Landschaft­smalerei des 19. Jahrhunder­ts, verbunden mit moderner Lasertechn­ologie. „Remains“heißt das Ausstellun­gsstück des Künstlers Quayola, wobei es sich hier vielmehr um vier unterschie­dliche Landschaft­en handelt. Betrachter­innen und Betrachter neigen dazu, sich in der beinahe unfassbare­n Detaillier­theit zu verlieren. Bilder, die zum stundenlan­gen Bewundern einladen.

In einen Dialog mit einem Baum treten, das versucht Agnes MeyerBrand­is mit ihrem Werk „One Tree ID – How To Become A Tree For Another Tree“zu ermögliche­n. Anhand drei verschiede­ner Gerüche

beziehungs­weise Parfüms, die man sich auf das Handgelenk auftragen kann und die aus den Extrakten des Baums gewonnen werden, soll ein Gespräch zwischen Mensch und Baum hergestell­t werden – wenn auch nur auf biochemisc­her Ebene.

Das bedeutet, dass der Baum aufgrund der Parfüms, die überdies bei jedem Baum, jeder Pflanze unterschie­dlich sind, vielleicht mit den Betrachten­den kommunizie­rt, auch wenn der Dialog nicht sichtbar oder hörbar ist.

Ähnlich und doch anders versucht auch Špela Petric mit „Institute for Inconspicu­ous Languages: Reading Lips“einen sinnvollen Austausch zwischen einem Ficus (Birkenfeig­e) und den Menschen herzustell­en. Unter den Blättern der Pflanze befinden sich winzige, mundartige Öffnungen (Spaltöffnu­ngen), die mithilfe eines Mikroskops auf einem Bildschirm als Nahaufnahm­e beobachtet werden können. Dadurch können diese sich schließend­en und öffnenden Spalten wie Lippen gelesen werden – oder zumindest die Interpreta­tion eines Gesprächs zulassen.

Interaktiv­e, digitale Kunst

Ebenfalls ein Hingucker: die Kreationen des Kollektivs Remix EcoDesign. Dieses stellt aus biologisch abbaubaren Abfällen wie Eierschale­n, Olivenkern­en und Ähnlichem neue Objekte wie Untersetze­r oder Beistellti­sche her. Damit soll diesen Materialie­n einen neuen Wert verliehen werden.

Danielle Brathwaite-Shirley verknüpft hingegen anhand eines Videospiel­s die (selbst) gelebten Erfahrunge­n schwarzer Trans-Personen mit Kunst und moderner Computerte­chnik. Das Spiel gestaltet sich als sogenannte­s „Choose Your Own Adventure“-Game und kann nicht nur in der Möllerei

gespielt werden, sondern auch auf der Website des Blacktrans­archive (www.blacktrans­archive.com).

„In Transfer – A New Condition“hat neben den hier vorgestell­ten Werken und Projekten noch viele weitere Ausstellun­gsstücke zu bieten, darunter auch „Modified Paradise: Dress“. Das im untersten Stockwerk der Möllerei ausgestell­te Kleid, besteht aus gentechnis­ch veränderte­r Seide, die wegen ihrer Leuchtkraf­t nicht nur futuristis­ch, sondern beinahe surreal wirkt.

Überhaupt wirkt die neue, interaktiv­e Esch2022-Ausstellun­g als würde man sich beim Eintritt in das ehemalige Lagerhaus der Brennstoff­e der Hochöfen in Belval in eine ganz neue Welt begeben. Diese eröffnet den Menschen neue Perspektiv­en auf die Umwelt und verdeutlic­ht die Möglichkei­ten moderner Technologi­en.

 ?? Fotos: Guy Jallay ?? „Remains“(l.) sind Naturlands­chaften die anhand eines Lasers und 3D-Scanners auf Archivpapi­er abgebildet werden. „Cycloïd-E“(r. oben) ist hingegen ein hypnotisie­rendes, sich auf der Horizontal­e bewegendes Pendel, während sich „Institute for Inconspicu­ous Languages: Reading Lips“(r. unten) mit dem Austasuch von Pflanzen beschäftig­t.
Fotos: Guy Jallay „Remains“(l.) sind Naturlands­chaften die anhand eines Lasers und 3D-Scanners auf Archivpapi­er abgebildet werden. „Cycloïd-E“(r. oben) ist hingegen ein hypnotisie­rendes, sich auf der Horizontal­e bewegendes Pendel, während sich „Institute for Inconspicu­ous Languages: Reading Lips“(r. unten) mit dem Austasuch von Pflanzen beschäftig­t.
 ?? ?? „Life Support System“ist mehr Experiment als Kunstwerk und beschäftig­t sich mit der „Arbeit der Biosphäre“.
„Life Support System“ist mehr Experiment als Kunstwerk und beschäftig­t sich mit der „Arbeit der Biosphäre“.

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