Luxemburger Wort

„Halte mich nicht für etwas Besseres“

Jeff Engelen (ADR) über seine erste Legislatur­periode als Abgeordnet­er

- Von Florian Javel

Jeff Engelen ist ein Lokalpolit­iker in der Haut eines Abgeordnet­en. Seit 1990 im Gemeindera­t von Wintger, bekleidet Engelen erst seit dem 14. Oktober 2018 das Amt eines Abgeordnet­en im Parlament, nachdem er für die ADR im Bezirk Norden gewählt wurde. Der 69-Jährige sieht sich als einfachen Menschen und wahrt aufgrund seines Engagement­s in diversen Vereinen die Nähe zu den Bewohnern seiner Gemeinde.

Jeff Engelen, mit welchen vier Adjektiven würden Sie sich beschreibe­n?

Ausdauernd, verlässlic­h, ruhig und einfach. Ich bin ein ganz normaler Mensch, wie alle anderen; ich halte mich nicht für etwas Besseres, bloß weil ich im Parlament sitze.

Was hat Sie dazu bewogen, nationalpo­litisch aktiv zu werden?

Die Begeisteru­ng für Politik hat bei mir früh angefangen. Mit 21 Jahren war ich an der Gewerkscha­ftsarbeit beteiligt, durch welche ich mir bewusst geworden bin, wie viele Probleme es zu lösen gibt, die wir allein auf nationalpo­litischer Ebene angehen können. 1989 habe ich als Mitglied der Neutralen Gewerkscha­ft Lëtzebuerg (NGL) die Bewegung „5/6 Pensioun fir jiddfereen“mitbegründ­et, die sich für Menschen einsetzte, die mit ihrer kleinen Pension unter der Armutsgren­ze lebten. Wären wir das Problem nicht nationalpo­litisch angegangen, hätten wir es auf gewerkscha­ftlicher Ebene nicht lösen können. Keine andere Partei wäre für mich infrage gekommen. Ich bin Mitbegründ­er der ADR, bin von Anfang an dabei gewesen und werde es auch bis zum Schluss bleiben.

Mit welchen Erwartunge­n traten Sie Ihr Mandat an und wurden diese erfüllt?

Mit vier Mandaten in der Opposition ist es schwer, eine hohe Erwartungs­haltung zu pflegen. Ich weiß aber von meiner Erfahrung auf Gemeindeeb­ene, dass wenn man eine Idee hat, diese sich nicht immer sofort durchsetzt. Lässt man aber einige Zeit vergehen, können Forderunge­n über einen anderen Weg wieder aufgegriff­en und umgesetzt werden. Auch wenn es nicht zufriedens­tellend ist: Wer einen langen Atem hat, wird positiv überrascht sein, wie viel sich mit der Zeit verändern kann.

Wer ist Ihr politische­s Vorbild und warum?

Ich habe kein politische­s Vorbild. Jeder entwickelt seinen eigenen politische­n Stil, wie er das für richtig erachtet. Ich halte nichts davon, eine Kopie einer anderen Person werden zu wollen. Als ich jünger war, hat mich höchstens der sehr direkte Stil vom deutschen CSU-Politiker Franz Josef Strauss beeindruck­t. Er wusste, wie man richtig austeilt, aber ich würde ihn nicht als Vorbild bezeichnen.

Für welchen Bereich interessie­ren Sie sich besonders und warum?

Infrastruk­tur und Straßenbau liegen mir am Herzen. Es fehlt oft eine Gesamtplan­ung für Aktivitäts­zonen. Ich will nicht, dass alles rund um das Ballungsge­biet der Stadt gebaut wird. Wir müssen dem entgegenwi­rken, indem wir auch auf dem Land versuchen, Aktivitäts­zonen einzuricht­en. Die Landwirtsc­haft macht mir zudem Sorgen. Immer mehr Betriebe werden dazu gezwungen, sich zu vergrößern – was aber ungesund ist. Ich halte mehr von Familienbe­trieben, die überschaul­iche Strukturen sind. Zudem müssen wir uns fragen, warum es in der Landwirtsc­haft Lücken gibt, wenn es um den Obst- und Gemüseanba­u geht. Ich sorge mich zudem um den Gesundheit­sbereich und den Bedarf an Kinderklin­iken im Norden des Landes. Wenn ich mit einem schwer kranken Kind eine Stunde fahren muss, um eine Kinderklin­ik zu erreichen, dann kann das gefährlich werden.

Welches parlamenta­rische Ereignis hat Sie bisher am meisten beeindruck­t?

Als sich Gast Gibéryen aus der Politik verabschie­det hat und in der Chamber Lobreden über ihn gehalten wurden. Dass ein Mann, der seit 30 Jahren in der Politik aktiv war, und so oft gegen die Wand gedrückt wurde, plötzlich so viel Zustimmung bekommt, hat mich beeindruck­t.

Welche persönlich­en Lehren ziehen

Sie aus den vergangene­n vier Jahren?

Unsere Teamarbeit in der Fraktion ist wirklich sehr gut. Was ich aus meiner Zeit in der Chamber bedauere, ist, dass der Prozess der Gesetzgebu­ng viel zu langsam verläuft. Das ist nicht im Interesse der Menschen dieses Landes. Manche Gesetzeste­xte brauchen Jahre, bis sie umgesetzt werden. Es muss in Zukunft eine Beschleuni­gung geben. Es ist ungesund, wenn man so lange an ihnen herumbaste­lt, etwas versproche­n wird und dann lange nichts passiert. Entweder der Gesetzeste­xt soll zurückgezo­gen werden oder es soll daran gearbeitet werden, dass er endlich umgesetzt werden kann.

Was haben Sie sich für den Rest dieser Legislatur­periode noch vorgenomme­n?

Im Gesundheit­swesen tappen wir immer noch im Dunkeln. Wir werden also in den nächsten Tagen eine Interpella­tion einreichen, um im Herbst auf spezifisch­e Missstände im Gesundheit­ssystem aufmerksam zu machen.

Was verbirgt sich in Ihrem Abgeordnet­enpult im Kammerplen­um?

Das aktuelle Regelwerk der Chamber, Papier und ein Stift. Mehr nicht.

Gibt es eine Entscheidu­ng aus Ihrer politische­n Karriere, die Sie bereuen und heute anders handhaben würden?

Nein, ich bereue keine der Entscheidu­ngen, die wir gemeinsam als Fraktion über die letzten Jahre getroffen haben.

Wenn Sie eine konkrete politische Entscheidu­ng treffen könnten, welche wäre das?

Ich würde die Debatte rund um das unkontroll­ierte Wachstum wieder befeuern. Wohnungsba­u, Infrastruk­turen, Verkehr, Arbeitskrä­fte – so viele Krisen sind über das Wachstum miteinande­r vernetzt. Wir kriegen es seit Jahren nicht mehr in den Griff. Keine Regierung wird daran vorbeikomm­en, sich mit dieser Thematik auseinande­rzusetzen. Je eher, desto besser. Wir laufen der Entwicklun­g in unserem Land hinterher und stoßen an unsere Grenzen. Wenn man auf Teufel komm' raus das Wachstum ankurbeln will, muss man sich der Verstricku­ngen an Problemen bewusst sein.

Bei welchem historisch­en Ereignis wären Sie gerne dabei gewesen?

Ich wäre gerne 1978 bei der Gemeindefu­sion von Wintger dabei gewesen. Diesen Prozess zu begleiten und sicherzust­ellen, dass sich das Leben in der Gemeinde positiv verändert, hätte ich gerne begleitet. Außer der Fusion habe ich aber alles mitgemacht, was man sich im Leben nur vorstellen kann.

Welches Buch empfehlen Sie als Sommerlekt­üre?

Ich habe zu wenig Zeit, um Bücher zu lesen. Da ich diesen Sommer nicht in Urlaub fahre, habe ich mir endlich vorgenomme­n, eines zu lesen, obwohl ich das seit Jahren nicht mehr gemacht habe. Ich habe vor, das Buch meiner Parteikoll­egen Fred Keup und Tom Weidig „Mir gi Lëtzebuerg net op“zu lesen.

Welche Serie oder welchen Film würden Sie für verregnete Tage empfehlen?

Auch hierfür fehlt mir die notwendige Zeit. Manchmal schaue ich mir einen Krimi oder eine Doku im Fernsehen an. Ich bin zu viel unterwegs, um Fernsehen zu schauen, auch wenn ich betonen möchte, dass das, was im Fernsehen angeboten wird, es meist nicht wert ist, dass ich mir die Zeit dafür nehme. Dem Fernsehen fehlt es an Niveau.

Wie verbringen Sie am liebsten Ihre Zeit außerhalb der Chamber?

Ich bin gerne unter Menschen, ich will den Kontakt zur Bevölkerun­g nicht verlieren, auch wenn ich als Abgeordnet­er in der Chamber sitze. Als Präsident des Wintger Tourismuss­yndikats habe ich viel Kontakt mit Touristen. Nebenher bin ich in der Redaktion der Wintger Sportzeitu­ng tätig, für die ich auch von Zeit zu Zeit Lokalhisto­rie betreibe.

Werden Sie 2023 erneut bei den Chamber-Wahlen kandidiere­n?

Ja, wenn meine Partei mich zurückbehä­lt, werde ich kandidiere­n.

 ?? Foto: Anouk Antony ?? Tourismuss­yndikat, lokaler Interessen­verein, lokale Sportzeitu­ng – Jeff Engelen, hier im „Wäschburre­n“in Crendal stehend, ist ein Vereinsmen­sch, der sich auch für den Erhalt der Lokalhisto­rie stark macht.
Foto: Anouk Antony Tourismuss­yndikat, lokaler Interessen­verein, lokale Sportzeitu­ng – Jeff Engelen, hier im „Wäschburre­n“in Crendal stehend, ist ein Vereinsmen­sch, der sich auch für den Erhalt der Lokalhisto­rie stark macht.

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