Schnee von gestern
Sport ist ein schnelllebiges Geschäft. Der Held von heute ist oft schon der Depp von morgen. Diese bittere Erfahrung mussten gestern zwei Toptrainer machen. Die beiden Fußballlehrer sind ihre Jobs los – und wurden vor wenigen Wochen noch als Heilsbringer gefeiert.
Im Januar strahlte Thomas Tuchel als FIFA-Welttrainer des Jahres in die Kameras. Vier Wochen später küsste er sogar den Weltpokal. Im Mai vergangenen Jahres hatte der Deutsche mit dem FC Chelsea die Champions League gewonnen. Doch wen interessieren schon Erfolge, Errungenschaften, Medaillen und Pokale aus der Vergangenheit? Alles Schnee von gestern. Ein holpriger Premier-League-Saisonstart (zehn Punkte aus sechs Spielen) und das peinliche 0:1 bei Dinamo Zagreb zum Auftakt der Champions League genügten den neuen Besitzern um US-Milliardär Todd Boehly, um den 49-jährigen Tuchel, dem der Ruf eines schwierigen Charakters vorauseilt, vor die Tür zu setzen.
Auch Domenico Tedesco hat seit gestern (vorerst) keinen Job mehr. Der 36-Jährige hatte RB Leipzig im vergangenen Dezember als Cheftrainer übernommen. Von Tabellenplatz elf führte er die Sachsen als erfolgreichstes Bundesliga-Rückrundenteam in die Champions League. In der Europa League erreichte RB das Halbfinale. Im Mai gewann Leipzig das DFB-Pokalfinale. Es war die erfolgreichste Saison der Vereinsgeschichte.
Gerade einmal 109 Tage – der Großteil davon lag in der Sommerpause – nach dem Triumph von Berlin ist Tedescos Amtszeit bei RB beendet. Schnee von gestern also. Fünf Punkte aus fünf Ligaspielen entsprechen nicht dem Anspruch des Vereins, eine 1:4-Niederlage gegen Shakhtar Donetsk ebenso wenig. Das ist klar. Dennoch ist die Entlassung Tedescos das nächste Beispiel eines krankhaften Befundes: Alles wird dem sofortigen Erfolg untergeordnet.
Wer naiv genug war und glaubte, der allgemeine pandemiebedingte Trend zur Entschleunigung würde tatsächlich ein Umdenken einläuten, muss längst der traurigen Wahrheit ins Auge blicken: Zeit und Geduld sind seltene Güter.
Läuft es einmal weniger rund, hagelt es umgehend Kritik, die sich rasch – auch wegen der sozialen Medien und unter dem Deckmantel der Anonymität – unterhalb der Gürtellinie bewegt. Das gilt nicht nur für Tuchel und Tedesco, sondern ist auch in Luxemburg gang und gäbe. Bob Jungels war im Juli der Held der Nation, als der Radprofi bei der Tour de France auf überragende Art und Weise eine Etappe gewann. In den knapp drei Jahren davor, als es weitaus weniger gut lief, wurde eifrig kritisiert, gepöbelt und gemeckert. Er solle doch bitte „das Fahrrad im Keller lassen“und sich „nach einem anderen Job umsehen“. Seine beste Zeit sei doch „längst vorbei“. Bei der aktuellen Spanien-Rundfahrt spielt er eine Nebenrolle. Und prompt wird wieder gelästert.
Heutige Topleistungen sind morgen schon nichts mehr wert. Wohl dem, der über die nötige mentale Reife verfügt, Verdienste richtig und ehrlich einzuschätzen – nicht nur heute und morgen, sondern auch mit einem fairen Blick in die Vergangenheit.
Als es für Bob Jungels weniger gut lief, wurde eifrig kritisiert, gepöbelt und gemeckert.