Kanzlerexplosion
Oppositionschef Merz treibt Scholz zu einem leidenschaftlichen Auftritt
„Es ist gut“, ruft der Kanzler und schiebt das Papier auf dem Rednerpult ein bisschen hin, „dass Sie in der Opposition sind!“Das Papier rückt wieder ein bisschen her. Friedrich Merz, um den es zuvorderst geht, tut, als wäre er nicht gemeint. Olaf Scholz aber denkt nicht daran, ihn davonkommen zu lassen. Eben hat er der Union vorgeworfen, sie habe „die komplette Verantwortung“dafür, dass Deutschland in Sachen Energie gerade nicht wirklich gut dasteht. „Sie“, ruft Scholz, „haben Abwehrkämpfe geführt gegen jede einzelne Windkraftanlage! Und jeder Abwehrkampf schadet unserem Land noch heute!“
Nun muss sich Merz, einerseits, persönlich nicht wirklich etwas vorwerfen. Sämtliche Hin- und Her-Entscheidungen von CDU und CSU in Sachen Atomausstieg und (Nicht-)Ausbau der erneuerbaren Energien fallen in die Ära von Altkanzlerin Angela Merkel. Die Merz als seine Intimfeindin sieht – bestenfalls. Und wegen der er sich für zwölf Jahre ganz aus der Politik verabschiedet hatte.
Andererseits ist er nun wieder da, führt die CDU an und auch die Fraktion von CDU und CSU im Bundestag. Mehr Macht als Merz hat keiner in der Union. Und sicherer als er will niemand bei den Schwarzen bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit Kanzler werden.
Attacke vom ersten Satz an
Den Beweis hat Merz gerade erst wieder geliefert. Es ist Generaldebatte – ein Parlamentsformat, in dem die Führenden von Opposition und Regierung direkt aufeinandertreffen; und zwar in dieser Reihenfolge. Mit Merkel war das zu einer weitgehend öden Angelegenheit verkommen. Sie referierte ihr Regierungsprogramm – und ignorierte weitgehend, was sie dazu zu hören bekam. Merz indes attackiert Scholz vom ersten Satz an. Hält ihm im siebenten vor, man könne – Stichwort Bundeswehr – „den von Ihnen gegebenen Zusagen nicht vertrauen“. Und knöpft sich danach den – zumindest bislang – härtesten Konkurrenten um die Kanzlerschaft vor: Robert Habeck.
Den favorisieren die Deutschen laut Meinungsforschern seit Monaten als Regierungschef. In einer am Dienstagmittag veröffentlichten Forsa-Umfrage liegt er mit einem – fiktiven – Direktwahl-Ergebnis von 25 Prozent vier Punkte vor Scholz und sieben vor Merz. Allerdings hat sich der grüne Vizekanzler und Minister für Wirtschaft und Klimaschutz am Dienstagabend in der TV-Talkshow „Maischberger“einen heftigen Shitstorm zugezogen – als er wirkte, als wüsste er nicht so genau Bescheid darüber, wann Unternehmen Insolvenz anmelden müssen.
Es war der zweite öffentliche Patzer in kurzer Zeit nach der mangelhaft geplanten Gasumlage. Nun sitzt Habeck mit ernstem Gesicht neben Scholz. Schon seit Montagabend hat er nun obendrein auch noch Stress wegen seines Plans, zwei der letzten drei noch laufenden AKW in einen Reservebetrieb zu nehmen – statt sie zum Jahresende endgültig stillzulegen. Seine Grünen wollen weniger. Die FDP – wie die Union – will mehr.
„Hilflos“, ätzt Merz nun zu Habeck hinüber, habe er im Fernsehen gewirkt. Zur AKW-Strategie empört er sich, „die ganze Welt“frage: „Sind diese Deutschen eigentlich verrückt geworden?“Auf Stromsicherheit für – von ihm behauptete – „zehn Millionen Haushalte“zu verzichten, statt die Kernkraft gleich noch ein paar Jahre zu nutzen. Und den Kanzler fordert er auf: „Stoppen Sie diesen Irrsinn aus Ihrer Koalition, solange wir die Zeit dafür noch haben!“
Unerwartete Entladung von Energie Scholz hat Merz mit dem für ihn typischen unbewegten Gesicht zugehört. Nichts deutet darauf hin, dass die Republik gleich eine Kanzlerexplosion erleben wird. Eine Entladung von Energie. Von Leidenschaft. Und ein paar weiteren Emotionen. Aber kaum steht Scholz am Pult – geht es los. „Unterschätzen Sie“, ruft er zu Merz hinüber, „unser Land nicht! Unterschätzen Sie nicht die Bürgerinnen und Bürger!“Und ins Lachen des AfD-Fraktionsund Partei-Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla hinein ruft Scholz: „In schweren Zeiten wächst unser Land über sich selbst hinaus!“
Ein bisschen hat sich das wohl auch er selbst vorgenommen. Die Koalition steht unter Druck – wegen der Krisen in der Welt. Und weil sich die Koalitionäre oft nicht einig sind, wie Deutschland bestmöglich vor deren Folgen bewahrt werden kann – von Energiemangel bis zur drohenden Rezession. Scholz redet vom Bau der LNG-Terminals, der Kohlereserve, den Gasspeichern. Und ruft Merz zu: „Wir hatten das Problem schon gelöst, bevor Sie überhaupt mitbekommen, dass da eins war.“
Am Ende klatscht die Koalition mit Begeisterung, die SPD steht dazu auf. So offensiv haben sie ihren Kanzler noch nicht erlebt. Als er den zähen Windkraftanlagen-Ausbau schilt, zeigt Scholz mit spitzem Finger auf Merz: „Das waren Sie!“Was nicht ganz korrekt ist. Dafür hübsch imposant.
Es ist gut, dass Sie in der Opposition sind! Olaf Scholz zu Friedrich Merz
Stoppen Sie diesen Irrsinn aus Ihrer Koalition, solange wir die Zeit dafür noch haben! Friedrich Merz zu Olaf Scholz