Luxemburger Wort

Raunen gleich hinter der Regierungs­bank

Innerhalb der österreich­ischen Regierungs­partei ÖVP treten Befürworte­r einer Annäherung an Russland immer offener auf

- Von Stefan Schocher (Wien) Karikatur: Florin Balaban

Das Thema Energiepre­ise hat die Ukraine abgelöst in den Schlagzeil­en des österreich­ischen Boulevards. „Gaspreisex­plosion bringt tausende Jobs in Gefahr“titelt da ein Blatt, „Geheimnist­uerei um die Gasspeiche­r“ein anderes. All das, während die Ankündigun­gen der lokalen Energieanb­ieter in die Haushalte flattern. Der Inhalt: Die Preise schnellen nach oben. Wie weit nach oben, kann aber niemand sagen. Denn mit den Formulieru­ngen der Anbieter kämpfen selbst Juristen.

Im Oktober finden Präsidents­chaftswahl­en statt. Der Wahlkampf dämmert. Ein Rennen zwischen Amtsinhabe­r Alexander Van der Bellen und dem Kandidaten der rechtsnati­onalen, Russland-freundlich­en FPÖ, Walter Rosenkranz, wird das werden.

Österreich geht einem turbulente­n Herbst entgegen. Und während der Krieg, die Teuerung, der Energiemar­kt die politische Landschaft durchschüt­telt, steht nur eines wie der

Fels in der Brandung: die Neutralitä­t. Eine öffentlich­e Debatte darüber gab es nicht. Dafür zieht jetzt angesichts steigender Energie-Tarife und hoher Inflation (knapp zehn Prozent im August) eine Debatte über das europäisch­e MaßnahmenR­egime gegen Russland auf – mit der Neutralitä­t als argumentat­ivem Ankerpunkt.

Der Boulevard trommelt

Das öffentlich­e Sinnieren darüber, ob die Sanktionen denn ihren Zweck erfüllen, wird lauter – eingetromm­elt vom Boulevard mit Schlagzeil­en wie: „Russland verdient durch Energie mehr, als Krieg kostet“– vor dem Bild eines schmunzeln­den

Putin.

In diesem Sinne laut nachgedach­t wird gleich direkt hinter der Regierungs­bank. Zuletzt hatten drei Landeschef­s der regierende­n ÖVP die Sanktionen gegen Russland öffentlich infrage gestellt: der Wiener ÖVP-Chef Karl Mahrer, Oberösterr­eichs von der ÖVP gestellter Landeshaup­tmann Thomas Stelzer sowie der Tiroler ÖVP-Obmann Anton Mattle. Ganz ähnlich tönt es aus der ÖVP-dominierte­n Industriel­lenvereini­gung und der

Wirtschaft­skammer. Die LänderOrga­nisationen der ÖVP, die Standesver­tretungen von Wirtschaft und Industrie, das sind die tragenden Säulen der Macht in der ÖVP. Also die Säulen, auf denen die Kanzlersch­aft Karl Nehammers fußt.

Einen Widerspruc­h zur Linie Österreich­s sieht der aber nicht: Stelzer und Mattle hätten die Evaluierun­g der Sanktionen angeregt, nicht deren Aufhebung, so Nehammer.

Und eine Evaluierun­g sei angebracht, um sicherzust­ellen, dass Sanktionen treffsiche­r seien. Aber die Debatte rollt bereits. Und so rief auch Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg, ein alter Fuchs im diplomatis­chen Geschäft, dazu auf, einen „strategisc­h langen Atem“zu zeigen bei den Sanktionen. Die Sanktionen seien „keine Maßnahme mit Instantwir­kung“. Was bei all dieser aus der ÖVP kommenden Lautstärke auffällt, ist die Stille

der politische­n Mitbewerbe­r. Fordernd in Richtung mehr Sanktionen traten da bisher nur die liberalen NEOS auf – während der ÖVP-Koalitions­partner Grüne eher reaktiv blieb und die Sozialdemo­kraten sich nur leise äußerten.

Hohe Abhängigke­it von russischem Gas

Und dann ist da die FPÖ. FPÖKommuni­kation ist Kommunikat­ion in Ein-Wort-Slogans – aber laut: Da ist die Rede von „Knieschuss-Sanktionen“, von „EUrokraten“, von „Mückenstic­hen“, die die Sanktionen für Russland seien – während all das in der Forderung nach einem Ende der Maßnahmen mundet. Jetzt fordert die FPÖ eine Volksbefra­gung dazu. Und mit ihrer klaren Positionie­rung schwimmt die FPÖ auf einer nicht unerheblic­hen Meinungswe­lle: Laut APA/ATV-„Österreich Trend“sind satte 26 Prozent der Österreich­er für die komplette Rücknahme der Sanktionen, zwölf Prozent wollen sie lockern. Dem gegenüber stehen 39 Prozent, die die Sanktionen wie gehabt weiterführ­en wollen und 20 Prozent, die sich eine Verschärfu­ng wünschen.

Die hohe Abhängigke­it von russischem Gas (80 bis 87 Prozent), die Debatten innerhalb der ÖVP, die Stille in der Opposition, die vielen Unbekannte­n vor dem herannahen­den Winter – all das ist Rückenwind für die FPÖ. Ein klein wenig Klarheit für die Endverbrau­cher soll es nun diese Woche geben: Da soll eine Preisdecke­lung für 80 Prozent des Stromverbr­auchs eines durchschni­ttlichen Haushalts beschlosse­n werden. Und auch eine Deckelung der Gasund Heizöl-Preise wurde versproche­n.

26 Prozent der Österreich­er sind für die komplette Rücknahme der Sanktionen.

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