Raunen gleich hinter der Regierungsbank
Innerhalb der österreichischen Regierungspartei ÖVP treten Befürworter einer Annäherung an Russland immer offener auf
Das Thema Energiepreise hat die Ukraine abgelöst in den Schlagzeilen des österreichischen Boulevards. „Gaspreisexplosion bringt tausende Jobs in Gefahr“titelt da ein Blatt, „Geheimnistuerei um die Gasspeicher“ein anderes. All das, während die Ankündigungen der lokalen Energieanbieter in die Haushalte flattern. Der Inhalt: Die Preise schnellen nach oben. Wie weit nach oben, kann aber niemand sagen. Denn mit den Formulierungen der Anbieter kämpfen selbst Juristen.
Im Oktober finden Präsidentschaftswahlen statt. Der Wahlkampf dämmert. Ein Rennen zwischen Amtsinhaber Alexander Van der Bellen und dem Kandidaten der rechtsnationalen, Russland-freundlichen FPÖ, Walter Rosenkranz, wird das werden.
Österreich geht einem turbulenten Herbst entgegen. Und während der Krieg, die Teuerung, der Energiemarkt die politische Landschaft durchschüttelt, steht nur eines wie der
Fels in der Brandung: die Neutralität. Eine öffentliche Debatte darüber gab es nicht. Dafür zieht jetzt angesichts steigender Energie-Tarife und hoher Inflation (knapp zehn Prozent im August) eine Debatte über das europäische MaßnahmenRegime gegen Russland auf – mit der Neutralität als argumentativem Ankerpunkt.
Der Boulevard trommelt
Das öffentliche Sinnieren darüber, ob die Sanktionen denn ihren Zweck erfüllen, wird lauter – eingetrommelt vom Boulevard mit Schlagzeilen wie: „Russland verdient durch Energie mehr, als Krieg kostet“– vor dem Bild eines schmunzelnden
Putin.
In diesem Sinne laut nachgedacht wird gleich direkt hinter der Regierungsbank. Zuletzt hatten drei Landeschefs der regierenden ÖVP die Sanktionen gegen Russland öffentlich infrage gestellt: der Wiener ÖVP-Chef Karl Mahrer, Oberösterreichs von der ÖVP gestellter Landeshauptmann Thomas Stelzer sowie der Tiroler ÖVP-Obmann Anton Mattle. Ganz ähnlich tönt es aus der ÖVP-dominierten Industriellenvereinigung und der
Wirtschaftskammer. Die LänderOrganisationen der ÖVP, die Standesvertretungen von Wirtschaft und Industrie, das sind die tragenden Säulen der Macht in der ÖVP. Also die Säulen, auf denen die Kanzlerschaft Karl Nehammers fußt.
Einen Widerspruch zur Linie Österreichs sieht der aber nicht: Stelzer und Mattle hätten die Evaluierung der Sanktionen angeregt, nicht deren Aufhebung, so Nehammer.
Und eine Evaluierung sei angebracht, um sicherzustellen, dass Sanktionen treffsicher seien. Aber die Debatte rollt bereits. Und so rief auch Außenminister Alexander Schallenberg, ein alter Fuchs im diplomatischen Geschäft, dazu auf, einen „strategisch langen Atem“zu zeigen bei den Sanktionen. Die Sanktionen seien „keine Maßnahme mit Instantwirkung“. Was bei all dieser aus der ÖVP kommenden Lautstärke auffällt, ist die Stille
der politischen Mitbewerber. Fordernd in Richtung mehr Sanktionen traten da bisher nur die liberalen NEOS auf – während der ÖVP-Koalitionspartner Grüne eher reaktiv blieb und die Sozialdemokraten sich nur leise äußerten.
Hohe Abhängigkeit von russischem Gas
Und dann ist da die FPÖ. FPÖKommunikation ist Kommunikation in Ein-Wort-Slogans – aber laut: Da ist die Rede von „Knieschuss-Sanktionen“, von „EUrokraten“, von „Mückenstichen“, die die Sanktionen für Russland seien – während all das in der Forderung nach einem Ende der Maßnahmen mundet. Jetzt fordert die FPÖ eine Volksbefragung dazu. Und mit ihrer klaren Positionierung schwimmt die FPÖ auf einer nicht unerheblichen Meinungswelle: Laut APA/ATV-„Österreich Trend“sind satte 26 Prozent der Österreicher für die komplette Rücknahme der Sanktionen, zwölf Prozent wollen sie lockern. Dem gegenüber stehen 39 Prozent, die die Sanktionen wie gehabt weiterführen wollen und 20 Prozent, die sich eine Verschärfung wünschen.
Die hohe Abhängigkeit von russischem Gas (80 bis 87 Prozent), die Debatten innerhalb der ÖVP, die Stille in der Opposition, die vielen Unbekannten vor dem herannahenden Winter – all das ist Rückenwind für die FPÖ. Ein klein wenig Klarheit für die Endverbraucher soll es nun diese Woche geben: Da soll eine Preisdeckelung für 80 Prozent des Stromverbrauchs eines durchschnittlichen Haushalts beschlossen werden. Und auch eine Deckelung der Gasund Heizöl-Preise wurde versprochen.
26 Prozent der Österreicher sind für die komplette Rücknahme der Sanktionen.