Luxemburger Wort

Mehr Schein als Sein

Nach einem Jahr in der Opposition kennt sich die CDU weder mit sich selbst noch mit ihrem Vorsitzend­en aus

- Von Cornelie Barthelme (Berlin) Karikatur: Florin Balaban

Der Mittwoch versprach ein guter Tag zu werden für Friedrich Merz. Im Bundestag fetzte er dem Kanzler eine Rede hin vom Format Ichbin-besser-als-du. Die Union beklatscht­e und bejubelte ihren Fraktionsv­orsitzende­n. Dummerweis­e antwortete dann Olaf Scholz auf eine Art, die ihm die Republik aber schon überhaupt gar nicht zugetraut hatte. Frei – wie Merz stets – und außerdem noch prallvoll mit Angriffslu­st und Emotionen. Die Regierungs­fraktionen packte Begeisteru­ng, die SPD erhob sich gar zum Applaudier­en. Und bei der Union kriegten sie das Staunen. Immerhin konnten sie rasch in den Kommentare­n lesen, ohne Merz wäre der Kanzler wohl nicht so in Fahrt geraten. Aber der Tagessieg ging klar an Scholz.

Dabei hätte Merz einen Erfolg gut brauchen können. Er hätte mit ihm nach Hannover reisen können – wo ab heute die CDU ihren ersten Parteitag unter seiner Führung abhält. Denn auch wenn es anders scheint: Merz führt die Partei ja erst seit dem 22. Januar, seit exakt 231 Tagen also. Allerdings begann einen Monat und zwei Tage nach seiner Wahl Putins Angriffskr­ieg auf die Ukraine. Da war Merz seit gerade mal zwei Wochen auch noch Chef der Fraktion.

Der Job liegt ihm. Sehr. Und: unübersehu­nd -hörbar besser als der in der Parteizent­rale. Fast vom ersten Tag an als Chef der Opposition im Parlament hat Merz Scholz klar gemacht, was er für sich beanspruch­t: Augenhöhe – mindestens. Als Scholz die „Zeitenwend­e“verkündete – samt ihren Folgen – bot Merz ihm Unterstütz­ung an; indes zu seinen Konditione­n. Der Kanzler pfiff darauf – und der Ton war gesetzt. Auch die Rivalität. Dass Merz vor Scholz in Kiew war und den ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj

traf – und wie er ohne falsche Bescheiden­heit seine Schlafwage­n-Tour der Öffentlich­keit zeigte – tat nur ein Übriges. Im Regierungs­viertel wird – undementie­rt – erzählt, seit damals habe Scholz mit Merz nicht mehr ausgiebig gesprochen. Das – wäre schon in normalen Zeiten außergewöh­nlich. Wenn die Republik aber tief in grundstürz­enden Krisen steckt, kann man solche Distanz für nicht klug halten – oder einen Affront. Und Merz hat sich ganz offenbar für beides entschiede­n.

Klüger nach dem Parteitag

Im Kanzlerumf­eld tut man, als wäre nichts, in der Kanzlerpar­tei heißt es, unter anderem, Merz sei ohnehin nicht die Zukunft der CDU. Was stimmen kann. Oder auch nicht. Eventuell ist die Republik klüger nach dem Parteitag. Der bietet wenig Aufregende­s – eigentlich. Personell ist seit Januar alles geregelt – bis auf das Amt der stellvertr­etenden Generalsek­retärin. Das ist Merz’ Idee, und der Parteitag muss – und wird wohl – Christina Stumpp absegnen. Nicht sicher ist das beim Frauen-Thema Nummer 2 – der Quote. Allein dass sich eine deutsche Partei im zweiten Jahrzehnt des dritten Jahrtausen­ds allen Ernstes darüber noch zofft – sagt viel über die CDU. Nach all den Jahren mit und vor allem unter Angela Merkel erst recht. Und es sagt auch etwas über Merz. Der ja drei Anläufe brauchte, bis die CDU ihn endlich nahm, als Boss. Und der nun aber nicht mehr der ist, den seine Fans – beileibe nicht alle jener knapp 95 Prozent, die ihn im Januar gewählt haben – so ersehnten. Wer von Merz pur geträumt hat, üppig wirtschaft­sliberal und scharf konservati­v – ist nun mindestens so frustriert wie zuvor. Weil der neue Merz nicht der alte sein will. Oder sich nicht traut.

Er hat Gründe, vorsichtig zu sein. Denn zwar hat die CDU in diesem Jahr zwei Landtagswa­hlen satt gewonnen. Aber Daniel Günther – 43,4 Prozent in SchleswigH­olstein – und Hendrik Wüst – 37,6 in NRW – stehen für eine CDU, die um Modernität mindestens ringt. Die Bundespart­ei indes streitet darum, ob sie für „Gleichstel­lung“sein will – oder besser doch nur für „Gleichbere­chtigung“. Als Grundwert.

Mehr erhofft

Selbst die Merz-Skeptiker hatten sich mehr erhofft für die ersten neun Monate. Immerhin hatte er „starke Führung und klaren Kurs“versproche­n. Und nun könnte er an der Frauenquot­e scheitern – die bei den Grünen seit Gründung gilt und von der SPD vor 34 Jahren beschlosse­n wurde. Dass Merz selbst jüngst in Oldenburg für sie warb mit dem Hinweis, sie sei ja „im Grunde gar keine richtige Quote“– ist mindestens das Eingeständ­nis von mehr Schein als Sein.

Die CDU hatte von mehr geträumt. Führung vor allem. So etwas wie klare Kante. Mit jedem Satz über Merkel und ihre Kurzzeit-Nachfolger Annegret KrampKarre­nbauer und Armin Laschet hatte Merz ja danach geklungen. Wenn Mittelstan­dschefin Gitta Connemann nun findet, der Parteitag „sollte sich auf die Existenzän­gste in unserem Land konzentrie­ren und Lösungsweg­e aufzeigen“– ist das mehr als nur sanfte Kritik.

Und so ist die Frage, ob der Freitag ein guter Tag werden kann für Merz. Einen Sieg für den Moment braucht er. Mindestens.

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