Mehr Schein als Sein
Nach einem Jahr in der Opposition kennt sich die CDU weder mit sich selbst noch mit ihrem Vorsitzenden aus
Der Mittwoch versprach ein guter Tag zu werden für Friedrich Merz. Im Bundestag fetzte er dem Kanzler eine Rede hin vom Format Ichbin-besser-als-du. Die Union beklatschte und bejubelte ihren Fraktionsvorsitzenden. Dummerweise antwortete dann Olaf Scholz auf eine Art, die ihm die Republik aber schon überhaupt gar nicht zugetraut hatte. Frei – wie Merz stets – und außerdem noch prallvoll mit Angriffslust und Emotionen. Die Regierungsfraktionen packte Begeisterung, die SPD erhob sich gar zum Applaudieren. Und bei der Union kriegten sie das Staunen. Immerhin konnten sie rasch in den Kommentaren lesen, ohne Merz wäre der Kanzler wohl nicht so in Fahrt geraten. Aber der Tagessieg ging klar an Scholz.
Dabei hätte Merz einen Erfolg gut brauchen können. Er hätte mit ihm nach Hannover reisen können – wo ab heute die CDU ihren ersten Parteitag unter seiner Führung abhält. Denn auch wenn es anders scheint: Merz führt die Partei ja erst seit dem 22. Januar, seit exakt 231 Tagen also. Allerdings begann einen Monat und zwei Tage nach seiner Wahl Putins Angriffskrieg auf die Ukraine. Da war Merz seit gerade mal zwei Wochen auch noch Chef der Fraktion.
Der Job liegt ihm. Sehr. Und: unübersehund -hörbar besser als der in der Parteizentrale. Fast vom ersten Tag an als Chef der Opposition im Parlament hat Merz Scholz klar gemacht, was er für sich beansprucht: Augenhöhe – mindestens. Als Scholz die „Zeitenwende“verkündete – samt ihren Folgen – bot Merz ihm Unterstützung an; indes zu seinen Konditionen. Der Kanzler pfiff darauf – und der Ton war gesetzt. Auch die Rivalität. Dass Merz vor Scholz in Kiew war und den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj
traf – und wie er ohne falsche Bescheidenheit seine Schlafwagen-Tour der Öffentlichkeit zeigte – tat nur ein Übriges. Im Regierungsviertel wird – undementiert – erzählt, seit damals habe Scholz mit Merz nicht mehr ausgiebig gesprochen. Das – wäre schon in normalen Zeiten außergewöhnlich. Wenn die Republik aber tief in grundstürzenden Krisen steckt, kann man solche Distanz für nicht klug halten – oder einen Affront. Und Merz hat sich ganz offenbar für beides entschieden.
Klüger nach dem Parteitag
Im Kanzlerumfeld tut man, als wäre nichts, in der Kanzlerpartei heißt es, unter anderem, Merz sei ohnehin nicht die Zukunft der CDU. Was stimmen kann. Oder auch nicht. Eventuell ist die Republik klüger nach dem Parteitag. Der bietet wenig Aufregendes – eigentlich. Personell ist seit Januar alles geregelt – bis auf das Amt der stellvertretenden Generalsekretärin. Das ist Merz’ Idee, und der Parteitag muss – und wird wohl – Christina Stumpp absegnen. Nicht sicher ist das beim Frauen-Thema Nummer 2 – der Quote. Allein dass sich eine deutsche Partei im zweiten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends allen Ernstes darüber noch zofft – sagt viel über die CDU. Nach all den Jahren mit und vor allem unter Angela Merkel erst recht. Und es sagt auch etwas über Merz. Der ja drei Anläufe brauchte, bis die CDU ihn endlich nahm, als Boss. Und der nun aber nicht mehr der ist, den seine Fans – beileibe nicht alle jener knapp 95 Prozent, die ihn im Januar gewählt haben – so ersehnten. Wer von Merz pur geträumt hat, üppig wirtschaftsliberal und scharf konservativ – ist nun mindestens so frustriert wie zuvor. Weil der neue Merz nicht der alte sein will. Oder sich nicht traut.
Er hat Gründe, vorsichtig zu sein. Denn zwar hat die CDU in diesem Jahr zwei Landtagswahlen satt gewonnen. Aber Daniel Günther – 43,4 Prozent in SchleswigHolstein – und Hendrik Wüst – 37,6 in NRW – stehen für eine CDU, die um Modernität mindestens ringt. Die Bundespartei indes streitet darum, ob sie für „Gleichstellung“sein will – oder besser doch nur für „Gleichberechtigung“. Als Grundwert.
Mehr erhofft
Selbst die Merz-Skeptiker hatten sich mehr erhofft für die ersten neun Monate. Immerhin hatte er „starke Führung und klaren Kurs“versprochen. Und nun könnte er an der Frauenquote scheitern – die bei den Grünen seit Gründung gilt und von der SPD vor 34 Jahren beschlossen wurde. Dass Merz selbst jüngst in Oldenburg für sie warb mit dem Hinweis, sie sei ja „im Grunde gar keine richtige Quote“– ist mindestens das Eingeständnis von mehr Schein als Sein.
Die CDU hatte von mehr geträumt. Führung vor allem. So etwas wie klare Kante. Mit jedem Satz über Merkel und ihre Kurzzeit-Nachfolger Annegret KrampKarrenbauer und Armin Laschet hatte Merz ja danach geklungen. Wenn Mittelstandschefin Gitta Connemann nun findet, der Parteitag „sollte sich auf die Existenzängste in unserem Land konzentrieren und Lösungswege aufzeigen“– ist das mehr als nur sanfte Kritik.
Und so ist die Frage, ob der Freitag ein guter Tag werden kann für Merz. Einen Sieg für den Moment braucht er. Mindestens.