„Totalitäre Kontrolle mit moderner Technik“
Im Iran soll mit biometrischer Gesichtserkennung das korrekte Tragen des Kopftuchs durchgesetzt werden
Teheran. Irans Sittenwächter erhalten eine neue Waffe: Mit dem Einsatz von biometrischer Gesichtserkennung in öffentlichen Verkehrsmitteln und Plätzen können sie in Zukunft Frauen identifizieren, die gegen ein neues Gesetz zum korrekten Tragen des Hidschab (Kopftuch) verstoßen. Man habe bereits damit begonnen, in Metrozügen und an öffentlichen Plätzen modernste Überwachungskameras zu installieren, verkündete der Generalsekretär der iranischen „Zentrale für die Förderung der Tugend und der Verhinderung des Lasters“, Mohammed Saleh Haschemi Golpayegani, vor einigen Tagen im Teheraner Fernsehen.
Als Grund nannte der oberste Moralapostel der Islamischen Republik die landesweiten Proteste am nationalen „Tag des Hidschab und der Keuschheit“am 12. Juli dieses Jahres. Um ihren Unmut gegen die wachsenden Repressionen zum Ausdruck zu bringen, waren Tausende von Frauen mit unbedecktem Kopf auf die Straßen gegangen sowie in Busse und Metrozüge eingestiegen. Dort machten sie ein Selfie mit ihrer vollen Haartracht, das sie von entsprechenden Kommentaren begleitet in den sozialen Medien veröffentlichten. Das „Maß des Erträglichen“war damit aus der Sicht des islamischen Regimes überschritten.
Permanentes Versteckspiel
Seit der islamischen Revolution von 1979 müssen Frauen im Iran ihr gesamtes Haupthaar mit einem Kopftuch in dunkler Farbe vollständig verhüllen. Durchgesetzt werden konnten der korrekte Sitz des Hidschabs sowie das Tragen eines wadenlangen Mantels aber bis heute nicht. Trotz Gefängnisstrafen von mehreren Jahren sowie Auspeitschungen durch die
Sittenwächter leisten die iranischen Frauen beharrlich Widerstand – und hatten damit meist Erfolg. „Dank verschiedener Kampagnen gehört das Bild einer Frau ohne Kopftuch inzwischen zum Alltag in den Großstädten“, betont die Teheraner Frauenaktivistin Moloud Hadschisadeh.
Andere Frauen würden ihre Kopftücher auf ihre Schultern fallen lassen oder als Schal um den Hals tragen. Erst beim Herannahen der Sittenpolizei zögen sie ihre Tücher wieder auf den Kopf zurück. Eine echte Chance, dieses permanente Versteckspiel zu gewinnen, hatten Irans Moralhüter bisher nicht. Das könnte sich durch den Einsatz von biometrischer Gesichtserkennung womöglich ändern.
Seit 2015 stellt die iranische Regierung biometrische Personalausweise aus, die einen Chip enthalten, der Daten wie Iris-Scans, Fingerabdrücke und Gesichtsbilder speichert. Diese Informationen sollten nun mit Hilfe von Gesichtserkennungstechnologie dazu verwendet werden, um Menschen zu identifizieren, die in der Öffentlichkeit gegen die vorgeschriebene Kleiderordnung verstoßen, befürchtet Azadeh Akbari, eine an der Universität von Twente (Niederlande) lehrende iranische Wissenschaftlerin.
Das Regime sei gerade dabei, „ihre bereits etablierten Formen der totalitären Kontrolle mit modernsten Technologien zu kombinieren“. Binnen weniger Sekunden könnten so Personen gefunden werden, die gegen das Kopftuch
rebellieren oder sich anderer Maßregelungen des Regimes widersetzen.
Juristisch verankert wurde die Gesichtserkennung in einem Dekret, das am 15. August vom iranischen Staatspräsidenten Ibrahim Raisi unterzeichnet wurde. Nach iranischen Medienberichten soll mit dem Gesetz auch das Geldstrafenaufkommen gesteigert werden. Die erzielten Erlöse würden direkt in das Budget der „Zentrale für die Förderung der Tugend und der Verhinderung des Lasters“fließen, die so für ihre Anstrengungen „direkt belohnt“werden.
Drakonische Strafen
Zusätzliche Einnahmen versprechen sich die Sittenwächter auch durch die Bestrafung von Häuserbesitzern, die schlecht oder gar nicht verhüllten Frauen den Zutritt zu ihren Liegenschaften gestatten. Auch Hausmeister können zukünftig bestraft werden, wenn Mieterinnen in ihrem Wirkungsbereich die islamische Kleiderordnung missachten.
Für das Hochladen von Bildern unverhüllter iranischer Frauen im Internet sieht das neue Gesetz sogar den Entzug von Bürgerrechten vor. Frauen im öffentlichen Dienst, deren „unsittliche“Fotos in den sozialen Medien entdeckt werden, droht die Entlassung.
Dank verschiedener Kampagnen gehört das Bild einer Frau ohne Kopftuch inzwischen zum Alltag in den Großstädten. Frauenaktivistin Moloud Hadschisadeh