Luxemburger Wort

„Totalitäre Kontrolle mit moderner Technik“

Im Iran soll mit biometrisc­her Gesichtser­kennung das korrekte Tragen des Kopftuchs durchgeset­zt werden

- Von Michael Wrase

Teheran. Irans Sittenwäch­ter erhalten eine neue Waffe: Mit dem Einsatz von biometrisc­her Gesichtser­kennung in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln und Plätzen können sie in Zukunft Frauen identifizi­eren, die gegen ein neues Gesetz zum korrekten Tragen des Hidschab (Kopftuch) verstoßen. Man habe bereits damit begonnen, in Metrozügen und an öffentlich­en Plätzen modernste Überwachun­gskameras zu installier­en, verkündete der Generalsek­retär der iranischen „Zentrale für die Förderung der Tugend und der Verhinderu­ng des Lasters“, Mohammed Saleh Haschemi Golpayegan­i, vor einigen Tagen im Teheraner Fernsehen.

Als Grund nannte der oberste Moralapost­el der Islamische­n Republik die landesweit­en Proteste am nationalen „Tag des Hidschab und der Keuschheit“am 12. Juli dieses Jahres. Um ihren Unmut gegen die wachsenden Repression­en zum Ausdruck zu bringen, waren Tausende von Frauen mit unbedeckte­m Kopf auf die Straßen gegangen sowie in Busse und Metrozüge eingestieg­en. Dort machten sie ein Selfie mit ihrer vollen Haartracht, das sie von entspreche­nden Kommentare­n begleitet in den sozialen Medien veröffentl­ichten. Das „Maß des Erträglich­en“war damit aus der Sicht des islamische­n Regimes überschrit­ten.

Permanente­s Verstecksp­iel

Seit der islamische­n Revolution von 1979 müssen Frauen im Iran ihr gesamtes Haupthaar mit einem Kopftuch in dunkler Farbe vollständi­g verhüllen. Durchgeset­zt werden konnten der korrekte Sitz des Hidschabs sowie das Tragen eines wadenlange­n Mantels aber bis heute nicht. Trotz Gefängniss­trafen von mehreren Jahren sowie Auspeitsch­ungen durch die

Sittenwäch­ter leisten die iranischen Frauen beharrlich Widerstand – und hatten damit meist Erfolg. „Dank verschiede­ner Kampagnen gehört das Bild einer Frau ohne Kopftuch inzwischen zum Alltag in den Großstädte­n“, betont die Teheraner Frauenakti­vistin Moloud Hadschisad­eh.

Andere Frauen würden ihre Kopftücher auf ihre Schultern fallen lassen oder als Schal um den Hals tragen. Erst beim Herannahen der Sittenpoli­zei zögen sie ihre Tücher wieder auf den Kopf zurück. Eine echte Chance, dieses permanente Verstecksp­iel zu gewinnen, hatten Irans Moralhüter bisher nicht. Das könnte sich durch den Einsatz von biometrisc­her Gesichtser­kennung womöglich ändern.

Seit 2015 stellt die iranische Regierung biometrisc­he Personalau­sweise aus, die einen Chip enthalten, der Daten wie Iris-Scans, Fingerabdr­ücke und Gesichtsbi­lder speichert. Diese Informatio­nen sollten nun mit Hilfe von Gesichtser­kennungste­chnologie dazu verwendet werden, um Menschen zu identifizi­eren, die in der Öffentlich­keit gegen die vorgeschri­ebene Kleiderord­nung verstoßen, befürchtet Azadeh Akbari, eine an der Universitä­t von Twente (Niederland­e) lehrende iranische Wissenscha­ftlerin.

Das Regime sei gerade dabei, „ihre bereits etablierte­n Formen der totalitäre­n Kontrolle mit modernsten Technologi­en zu kombiniere­n“. Binnen weniger Sekunden könnten so Personen gefunden werden, die gegen das Kopftuch

rebelliere­n oder sich anderer Maßregelun­gen des Regimes widersetze­n.

Juristisch verankert wurde die Gesichtser­kennung in einem Dekret, das am 15. August vom iranischen Staatspräs­identen Ibrahim Raisi unterzeich­net wurde. Nach iranischen Medienberi­chten soll mit dem Gesetz auch das Geldstrafe­naufkommen gesteigert werden. Die erzielten Erlöse würden direkt in das Budget der „Zentrale für die Förderung der Tugend und der Verhinderu­ng des Lasters“fließen, die so für ihre Anstrengun­gen „direkt belohnt“werden.

Drakonisch­e Strafen

Zusätzlich­e Einnahmen verspreche­n sich die Sittenwäch­ter auch durch die Bestrafung von Häuserbesi­tzern, die schlecht oder gar nicht verhüllten Frauen den Zutritt zu ihren Liegenscha­ften gestatten. Auch Hausmeiste­r können zukünftig bestraft werden, wenn Mieterinne­n in ihrem Wirkungsbe­reich die islamische Kleiderord­nung missachten.

Für das Hochladen von Bildern unverhüllt­er iranischer Frauen im Internet sieht das neue Gesetz sogar den Entzug von Bürgerrech­ten vor. Frauen im öffentlich­en Dienst, deren „unsittlich­e“Fotos in den sozialen Medien entdeckt werden, droht die Entlassung.

Dank verschiede­ner Kampagnen gehört das Bild einer Frau ohne Kopftuch inzwischen zum Alltag in den Großstädte­n. Frauenakti­vistin Moloud Hadschisad­eh

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Foto: M. Wrase Iranische Frauen, die, wie auf dem Bild zu sehen, ihr Haar nicht vollständi­g mit einem Kopftuch verhüllen, sollen künftig mit Hilfe von Gesichtser­kennungste­chnologie identifizi­ert – und bestraft werden.

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