Luxemburger Wort

Schweres Erbe

- Von Roland Arens

immer da, darauf konnte man sich stets verlassen. Sie schien unsterblic­h.“Während er spricht, muss er zuweilen eine Pause einlegen, seine Augen füllen sich mit Tränen. Einmal, vor etwa zehn Jahren, habe Brown die Queen zufällig im Auto vorbeifahr­en sehen, erinnert er sich. Sofort sei er dem Wagen nachgerann­t und habe mitangeseh­en, wie die Monarchin in einer Kirche verschwand. Am Vorabend saß er mit Freunden im Pub, als er vom Tod der Queen erfuhr. „Wir erhoben ein Glas zu ihren Ehren. Und gleich danach tranken wir auf den neuen König“, erzählt Brown.

Charles III. wird um 10 Uhr am Samstag offiziell als neuer Monarch ausgerufen, die sogenannte „Proklamati­on“. Der König werde einen schwierige­n Job haben, sagt Robert Brown: „Seine Mutter ist schwer zu überbieten.“Aber er ist sich sicher, dass alles zum Besten wird: „Schließlic­h machen wir das seit Hunderten von Jahren – Könige und Königinnen sterben, und dann tritt ein neuer Monarch an. Dennoch ist dies ein Wendepunkt in unserer Geschichte – die Leute werden die Queen als Bezugspunk­t nehmen: Es wird eine Zeit vor und eine Zeit nach dem Tod von Elizabeth II. geben.“

„Die größte Monarchin“

Eine Stunde später, um 12 Uhr, läuten im ganzen Land die Kirchenglo­cken, und im Unterhaus beginnt eine Sondersess­ion, um dem verstorben­en Staatsober­haupt zu gedenken. Nach einer Schweigemi­nute

tritt Liz Truss ans Podium. „Unter ihrer Regentscha­ft ist Großbritan­nien aufgeblüht“, sagt die Premiermin­isterin. „Ihr ist es zu verdanken, dass das Vereinigte Königreich diese großartige Nation ist.“Opposition­sführer Keir Starmer nennt die Queen „die größte Monarchin“, die das Land je gesehen habe; für die Mehrheit der Bevölkerun­g scheint es „schlichtwe­g unmöglich“, sich ein Großbritan­nien ohne sie vorzustell­en. „Der Tod der Queen beraubt das Land ihres stillsten Punkts, ihres größten Trosts – gerade dann, wenn wir ihn am meisten brauchen“, sagt Starmer.

Es folgen Kanonensal­ven in allen Ecken des Vereinigte­n Königreich­s, von Gibraltar über die Kanalinsel Jersey und London bis hinauf nach Schottland und Belfast. Die „Death Gun Salutes“sind die ersten von unzähligen zeremoniel­len Events, die das Land während der kommenden Trauerfeie­rlichkeite­n sehen wird. 96 Schüsse werden abgefeuert, einer für jedes Jahr im Leben der Queen.

Unterdesse­n ist das Flugzeug aus Schottland, das König Charles III. mit seiner Frau Camilla, der „Queen Consort“, nach London geflogen hat, am Militärflu­ghafen Northolt gelandet. Der neue Mo-narch macht sich umgehend auf den Weg zum Buckingham-Palast, um seine Arbeit als König in Angriff zu nehmen. Vor dem Palast ist die Menschenme­nge auf mehrere Tausend angewachse­n. Kurz nach zwei Uhr nachmittag­s fährt der Wagen des neuen Monarchen vor und wird begrüßt von Jubelrufen. Charles III. steigt aus und beginnt, Hände zu schütteln. „God Save the King“, ertönt es immer wieder aus der Menge. Diese Worte hat man hier seit über 70 Jahren nicht mehr gehört.

Manchmal erkennt man erst, wenn ein Mensch nicht mehr da ist, welcher Verlust seine Abwesenhei­t bedeutet. Gerade beim Tod von Königin Elizabeth II. hätten solche Gedanken entstehen können. Großbritan­nien ohne die Queen war bis gestern für Menschen in aller Welt, nicht nur auf der Insel, kaum vorstellba­r. Wer jünger als 70 ist, hat nie eine andere britische Königin als Elizabeth erlebt. Als sie 1952 den Thron bestieg, regierte in Luxemburg Großherzog­in Charlotte, Staatsmini­ster war Pierre Dupong, der im Zweiten Weltkrieg Chef der Exilregier­ung war.

Wie kaum ein anderes gekröntes Haupt repräsenti­erte Elizabeth als dienstälte­ste Monarchin der Welt die sprichwört­liche Kontinuitä­t einer Staatsform, die für viele ein Relikt der Vergangenh­eit ist und als Auslaufmod­ell gilt. Wie wichtig jedoch gerade eine gewisse Beständigk­eit für eine Gesellscha­ft ist, zeigt sich gerade in Krisenzeit­en. Die konstituti­onelle Monarchie kann dann ein Anker sein, eine Konstante im Leben, an der sich die Menschen orientiere­n und aus der sie neue Kraft schöpfen, wenn sich alles andere um sie herum verändert und Unsicherhe­it vorherrsch­t.

Elizabeth hatte es zu ihrem Beruf gemacht, ihr Land zu einen, indem sie auf die Menschen zuging, sie zusammenbr­achte, und sei es bei der Weihnachts­ansprache im Fernsehen. Die Queen genoss über weltanscha­uliche Grenzen hinweg den Respekt, das Vertrauen und sogar die Liebe ihrer Untertanen. Den Grundstein dafür legte sie mit ihrem eisernen Pflichtbew­usstsein, das sie 1957 als 21-jährige Prinzessin in einer Rede gelobt hatte, ob ihr Leben kurz oder lang sein würde, wie sie damals sagte. Es wurde schließlic­h ein sehr langes Leben, in dessen Verlauf sie ihr Verspreche­n niemals brach, auch nicht, als sie mit 25 Jahren unvermitte­lt Königin wurde.

Ohne Zweifel hatte das Leben der Queen seine Brüche, wie etwa die mit jahrelange­r öffentlich­er Begleitung ausgetrage­nen Ehekrisen ihrer Kinder Charles, Anne und Andrew. Der tragische Tod der sehr populären Prinzessin Diana im Jahr 1997 markierte einen Tiefpunkt im Ansehen der Queen und des Königshaus­es. Ihre tagelange Abwesenhei­t bei der Trauer nach dem tödlichen Unfall in Paris hätte leicht zu einem nicht mehr zu kittenden Bruch zwischen den Windsors und ihrem Volk führen können. Doch Elizabeth konnte die kippende Stimmung mit einer Fernsehred­e gerade noch auffangen und in den Jahren danach ihren Rückhalt und ihr Ansehen nachhaltig stärken.

Prinz Charles, der jetzt mit 73 Jahren seiner Mutter auf dem britischen Thron nachfolgt, tritt damit ein schweres Erbe an. Er muss die Monarchie durch unruhiges Fahrwasser steuern in dem Bewusstsei­n, dass seine Popularitä­t nicht an jene der Queen heranreich­t. Charles III. teilt damit das Schicksal von Großherzog Henri, der auf seinen hochgeschä­tzten Vater Jean und seine verehrte Großmutter Charlotte folgte. Queen Elizabeth II. hinterläss­t als Staatsober­haupt eine Lücke, die ihre Nachfolger nur langfristi­g werden füllen können. Es ist keineswegs sicher, dass die Zeit dafür vorhanden sein wird.

Sie hat ihr ganzes Leben für dieses Land aufgegeben – und ich habe großen Respekt für dieses Pflichtgef­ühl. Zöe Nicholson

Das Leben ist voller Höhen und Tiefen, Premiermin­ister und Politiker kommen und gehen, aber die Queen stand über all dem. Robert Brown

Elizabeth hatte es zu ihrer Berufung gemacht, ihr Land zu einen.

 ?? ?? Der britische König Charles III. hält nach dem Tod von Königin Elisabeth II. im Buckingham Palace seine erste Ansprache an die Nation und das Commonweal­th.
Der britische König Charles III. hält nach dem Tod von Königin Elisabeth II. im Buckingham Palace seine erste Ansprache an die Nation und das Commonweal­th.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg