Regeln für die Menschen
Wie ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Luxemburg verändern könnte
Der Verwaltungsgerichtshof hat am 20. Juli entschieden, dass ein in der Grünzone gelegenes Haus derart umgebaut werden kann, dass es dauerhaft als Wohnort für Menschen geeignet bleibt. Derart nüchtern zusammengefasst, sollte ein solches Urteil das Erwartbarste und Normalste der Welt sein. Das ist es aber nicht. Dieses Urteil besitzt im Luxemburg des Jahres 2022 fast revolutionären Charakter. Und es könnte uns erlauben, nicht nur in der Verwaltungspraxis umzudenken, sondern auch in der gesetzgeberischen Logik – mit Auswirkungen weit über Umweltregeln hinaus.
Umweltgesetz von 2018: Der Stein des Anstoßes
Stein des Anstoßes war die Anwendung des fast schon berüchtigten Umweltgesetzes von 2018, das jedwede Vergrößerung eines in der Grünzone gelegenen Bauwerks strikt untersagt, sofern dieser Bau nicht einem besonders „naturnahen“Zweck dient. In dem Fall, den das Gericht zu behandeln hatte, wollte ein Ehepaar in ihrem Grünzonen-Haus allerdings lediglich wohnen, und zwar auf zeitgemäße und komfortable Weise. Das Umweltministerium befand, dass dieser Zweck für die Genehmigung substanzieller Umbauten nicht ausreichend ist, legte das Gesetz strikt aus und verbat den Klägern den Umbau. Das Gericht befand
Unzählige Menschen haben seit langem den Eindruck, dass gesetzliche Regeln und die Art, wie die Verwaltung sie umsetzt, letztlich vor allem der Schikane dienen.
in erster und zweiter Instanz jedoch, dass diese strikte Auslegung nicht statthaft ist, überdies konträr zu übergeordneten Rechtsnormen, und annullierte die Ablehnung des Umbaugesuchs.
Viel ist seither über dieses Urteil gesprochen worden, eine Sitzung des parlamentarischen Umweltausschusses steht an, in der die Umweltministerin Stellung zum Urteil und seinen Auswirkungen beziehen soll. Ob die Ministerin nächste Woche schon genau wissen wird, was sie aus diesem Urteil zu schließen gedenkt, ist fraglich. Sie möge sich durchaus Zeit lassen. Denn das, worum es nun gehen kann, ist viel größer als Umbaugenehmigungen und Umweltgesetzgebung.
Unzählige Menschen haben seit Langem den Eindruck, dass gesetzliche Regeln und die Art, wie die Verwaltung sie umsetzt, letztlich vor allem der Schikane dienen. Natürlich hat jeder Bürger die natürliche Tendenz, sich für ihn selber die günstigst mögliche Regel und die entgegenkommendste Anwendung zu wünschen. Hinter diesem Anliegen steht das in einer freiheitlichen Demokratie völlig legitime Ansinnen, von Staat und Verwaltung in Ruhe gelassen zu werden, solange jemand nicht auf inakzeptable Weise gegen die öffentliche Ordnung verstößt. Und genau auf dieses Terrain sollte die Analyse des Verwaltungsgerichtsurteils uns führen.
Um es kurz zu machen: Wir sollten nicht nur darüber diskutieren, wo wir andere Regeln brauchen. Wir sollten vor allem darüber diskutieren, wo wir überhaupt Regeln brauchen, wo wir keine brauchen und wo die Bürgerinnen und Bürger verantwortlich und vernünftig selber sollten entscheiden dürfen, was sie tun oder lassen. Es geht schlicht um Überreglementierung, unverständliche und unsinnige Normen, und, ja, Schikane ohne legitimes Anliegen oder Ziel.
Um ein Beispiel aus dem Urteil zu benutzen, das meinen Standpunkt veranschaulicht: Die Kläger wollten die Dachlinie ihres Hauses um rund einen Meter erhöhen. Jenseits des grundsätzlichen gesetzlichen Verbots jeglicher Vergrößerung des Bauvolumens eines Bauwerks in der Grünzone wäre es für das Umweltministerium akzeptabel gewesen, wenn die Dachlinie um 30 oder 40 Zentimeter erhöht worden wäre – um die Energieeffizienz des Hauses zu erhöhen. Das Ministerium hätte also aus „grünen“Gründen akzeptiert, dass eine Vergrößerung des Bauvolumens stattgefunden hätte, die vom Gesetz nach seiner eigenen Interpretierung strikt verboten ist. So etwas versteht ein Bürger nicht. Dass ein weiterer halber Meter Erhöhung dann einen total inakzeptablen Eingriff in die Natur darstellen soll, während der erste halbe Meter das nicht tut, versteht er noch viel weniger. Das liegt im Übrigen daran, dass es nicht zu verstehen ist.
Die einen verdienen, die anderen leiden
Von diesem Dach ist es nicht weit bis zur Form von Fenstern, auch außerhalb der Grünzone. Oder der Neigung eines Giebels. Oder der Farbe einer Eingangstür, den verwendeten Baumaterialien, dem Bau einer Veranda – die Liste könnte beliebig lang fortgeführt werden. Gerade im Bau- und Planungsrecht herrschen ein Dickicht und ein Wildwuchs, die es Antragstellern jeden Tag schwerer machen, ihren
Bau nach ihren eigenen Wünschen zu gestalten. Planungsbüros und Anwälte verdienen an der Situation, die Bürgerinnen und Bürger leiden darunter.
Der Verwaltungsgerichtshof gründet sein Urteil auf Überlegungen, die nicht nur mit übergeordneten Rechtsnormen zu tun haben. Das Urteil wird auch von rechtsphilosophischen Ansätzen getragen, die besagen, dass in einer menschlichen Gesellschaft das Wohl, die Freiheit und die Gleichheit der Menschen die überragenden Ansprüche sein müssen – auch rechtlich. Im Einklang mit der Natur, ja. Im gegenseitigen Respekt, sicher. Aber eben immer: Der Mensch ist das Maß jener Dinge, die der Mensch zu regeln vermag. Und zwar nicht als „administré“, als „contribuable“, als „justiciable“oder „Regelempfänger“, sondern als freier Bürger. Dieser freie Bürger, ob er nun im Besitz eines hundertjährigen Hauses in der Grünzone ist oder nicht, muss selber darüber entscheiden können, wie er seinen Wohnraum der Zeit und ihren Maßstäben anpassen will. Und er ist dazu berechtigt, Normen und Regeln infrage zu stellen, die dieses Recht schmälern, ohne jeden gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen. Nachhaltigkeit ist kein Konzept, das Nutzen für den Menschen ausschließt, im Gegenteil.
Ein Gesetz kann nicht dazu da sein, in völliger Abstraktion Regeln zu erlassen, von denen der