Luxemburger Wort

Die Zukunft von Nord Stream 2 bleibt unklar

Die Pipeline liegt sanktionie­rt und gefüllt in der Ostsee – doch wie es weitergeht, ist ungewiss

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Der verschulde­te Betreiber der umstritten­en Ostsee-Gaspipelin­e Nord Stream 2 steht unter anderem wegen US-Sanktionen mit dem Rücken an der Wand. Die Pipeline mit zwei 1 230 Kilometer langen Strängen zwischen Russland und Deutschlan­d ist zwar seit einem Jahr fertig, aber wegen des Krieges nie in Betrieb gegangen. Der drohende Konkurs der Tochter des russischen Gaskonzern­s Gazprom ist mit einer Verlängeru­ng der Galgenfris­t zwar abgewendet. Die Gläubiger müssen bis Januar 2023 die Füße stillhalte­n. Aber wie geht es dann weiter?

Was macht das Unternehme­n überhaupt noch?

Es führt zwar nominell die Geschäfte, aber das Kantonsger­icht am Sitz der AG im Schweizer Kanton Zug hat dem Unternehme­n im Mai bereits einen Sachwalter zur Seite gestellt, der alle Geschäfte überwacht. „Es gibt keinen Betrieb mehr, und wir sind nicht mehr im Fahrersitz“, sagt NordStream-2-Sprecher Ulrich Lissek der Deutschen Presse-Agentur.

„Wir unterstütz­en den Sachwalter. Wir identifizi­eren, welche Verträge mit wem geschlosse­n wurden, welche rechtliche­n Verpflicht­ungen wir haben und welche technische­n oder Umweltprüf­ungen womöglich anfallen, damit er sich einen Überblick über die Firma verschafft.“Von ursprüngli­ch 230 seien noch etwa 30 bis 40 Mitarbeite­r da, deren Verträge aber auslaufen. „Wir sind zum Abwarten verdammt“, sagt Lissek.

Er verweist bei Zukunftsfr­agen auf den Sachwalter, die Schweizer Firma Transliq. Phillipp Possa von Transliq sagte der dpa dagegen: „Die Geschäftsf­ührung ist weiterhin

Umstritten war die Pipeline schon vor dem Bau.

bei der Nord Stream 2 AG. Die Sachwalter­in hat lediglich eine Überwachun­gsfunktion.“Weiter will sich Transliq nicht äußern.

Was, wenn die Nachlassst­undung

im Januar 2023 ausläuft? Wenn es dann eine gute Aussicht auf Sanierung oder Einigung mit den Gläubigern gibt, kann das Gericht eine weitere maximal 24-monatige Frist gewähren, eine definitive Nachlassst­undung. In der Phase würden alle Gläubiger um Anmeldung ihrer Forderunge­n gebeten. Der Sachwalter würde auf einen Nachlassve­rtrag mit ihnen hinarbeite­n, in der Regel mit einem Schuldensc­hnitt. Zeichnet sich das nicht ab, droht ein Konkursver­fahren zur Liquidieru­ng des Unternehme­ns.

„Im Wesentlich­en geht es zu Beginn darum, sich einen Überblick zu verschaffe­n und das Inventar zu sichern“, sagt der Amtsleiter des Konkursamt­es, Andreas Hess. Laut Staatssekr­etariat für Wirtschaft

kommen bei einem Konkurs sämtliche Anlagen, Immobilien, Maschinen, Konten und Ähnliches in die Konkursmas­se und werden, wenn möglich, verkauft. Gläubiger haben ein Vorkaufsre­cht. Wenn kein Käufer gefunden wird, wird versteiger­t. Aus dem Erlös werden Gläubiger bezahlt, meist nur ein Bruchteil der Forderunge­n. Restliche Schulden werden gelöscht.

Die Nord Stream 2 AG kann wegen der US-Sanktionen keine Geschäfte machen, für jeden Käufer wäre die Übernahme illegal. Auch für das Konkursamt dürfte eine fertige Pipeline nicht einfach zu veräußern sein. Wie das gehen könnte, ist unklar. „Das ist ein Punkt, über den wir uns dann Gedanken machen, wenn es soweit ist“, sagt Konkursamt­sleiter Hess.

Gazprom hat die Hälfte der Pipeline bezahlt, die andere wurde von fünf Firmen finanziert, darunter aus Deutschlan­d Uniper und Wintershal­l Dea. Beide haben die

Milliarden­investitio­nen bereits abgeschrie­ben. „Wir werden alle Möglichkei­ten prüfen, um die abgeschrie­benen Forderunge­n ganz oder teilweise einzutreib­en“, teilte Winterhall Dea der dpa mit. „Derzeit wird juristisch geprüft, ob es möglich ist, einen Teil der getätigten Ausleihung­en ganz oder teilweise zurückzuer­halten“, teilt auch Uniper mit.

Wer kümmert sich bei Konkurs um Sicherheit und Wartung?

Zuständig ist das Bergamt Stralsund. „Das Bergamt steht mit den Mitarbeite­rn der Nord Stream 2 AG in Kontakt, um die Pipeline zu überwachen“, teilt der Sprecher des übergeordn­eten Wirtschaft­sministeri­ums von Mecklenbur­gVorpommer­n, Gunnar Bauer, mit. Neben Nord-Stream-2-Personal sei am Endpunkt in Lubmin auch das Unternehme­n Gascade zuständig. „Die Anlage befindet sich in einem betriebssi­cheren Zustand“, heißt es von dort. Auch das Bergamt

habe zurzeit keine Bedenken, so Bauer: „Unabhängig­e Sachverstä­ndige haben Ende 2021 die Dichtheit und Festigkeit der Leitung attestiert.“Für den Fall einer Insolvenz sagt Bauer: „Es bestünde die Möglichkei­t, die Überwachun­g der Anlagen durch die Gascade abzudecken.“

Die Deutsche Umwelthilf­e, die das Projekt von Anfang an bekämpft hat, spricht von einer „tickenden Zeitbombe“, unter anderem, weil die Pipeline mit Gas gefüllt ist. Bei einem Leck, einem Zusammenst­oß mit einem U-Boot, einem Anschlag oder wenn eine noch scharfe Seemine aus vergangene­n Zeiten dagegen treibe, drohe Gas an die Oberfläche zu gelangen und zu explodiere­n, sagt Bundesgesc­häftsführe­r Sascha Müller-Kraenner. Selbst eine leere Pipeline wäre ein Problem. Das Hindernis am Meeresbode­n beeinträch­tige Tiere. Er verlangt – wie auch die FDP-Bundestags­fraktion – den Rückbau von Pipeline.

Ist eine anderweiti­ge Nutzung – etwa für Flüssigerd­gas möglich?

Das Unternehme­n Deutsche Regas würde gern auf See direkt an die Leitungen von Nord Stream 2 andocken, um so Erdgas einzuspeis­en. Das würde nach entspreche­nden Plänen als Flüssigerd­gas (LNG) per Schiff angeliefer­t werden. Vom Bundeswirt­schaftsmin­isterium heißt es mit Blick auf die Umnutzung: „Diese Pläne werden von uns derzeit nicht verfolgt.“Wohl auch, weil man sich zuvor erst einmal Zugriff auf die Anlage verschaffe­n müsste, etwa über eine Enteignung. Stattdesse­n plant die Deutsche Regas zunächst, ab Dezember LNG per Schiff direkt in den Lubminer Hafen zu bringen. Die Mengen wären aber geringer als bei der Nutzung der Pipeline.

Die Bundesregi­erung plant für Ende 2023 ein weiteres schwimmend­es LNG-Terminal vor Lubmin. Dann könnte die Nutzung der Nord-Stream-2-Leitungen wieder ein Thema werden.

Wir sind zum Abwarten verdammt. Nord-Stream-2-Sprecher Ulrich Lissek

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Foto: AFP

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