„Jeder Einzelne kann Leben retten“
Zum Welttag der Suizidprävention klärt die Psychologin Dr. Barbara Bucki auf
Der 10. September ist der Welttag der Suizidprävention. „Jeder Einzelne kann Leben retten“, sagt die Psychologin Dr. Barbara Bucki vom Service information et prévention der Ligue im Interview. Mit einer anderen Person zu sprechen, sei der erste Schritt in Richtung Besserung.
Dr. Barbara Bucki, gibt es Bevölkerungsgruppen, die besonders suizidgefährdet sind?
Suizid kann jeden von uns treffen. 40 Prozent der Bevölkerung haben, im Laufe ihres Lebens, schon einmal an den Freitod gedacht. Was viele dieser Personen gemein haben, ist, dass sie unter psychischen Beschwerden leiden. Entweder haben sie depressive Phasen, Angsterkrankungen oder Probleme mit Alkohol- oder Drogenkonsum.
Laut Statec haben im Jahr 2019 in Luxemburg 78 Personen freiwillig ihrem Leben ein Ende gesetzt. Wie fallen die Zahlen für das Coronajahr 2020 aus?
Wir warten auf die Zahlen, ich kenne sie nicht. Es gibt den Verdacht, dass die Zahlen zugenommen haben könnten. Zumindest in Frankreich scheint sich dies aber nicht zu bestätigen. Dort soll es im Lockdown-Jahr entgegen den Vermutungen zu weniger Suiziden gekommen sein. Es gibt aber eine große Ausnahme: Bei Frauen im Teenageralter hat sich die Zahl der Suizidversuche erhöht.
In den Medien wird oft darüber berichtet, dass Jugendliche gemobbt und in den Selbstmord getrieben werden. Gilt dies auch für Luxemburg?
Es ist schon vorgekommen, dass wir in solchen Fällen um Rat gefragt wurden und dann in die Schulen gingen. Solche Fälle sind jedoch extrem selten. Trotzdem gibt es sie. Ein Suizid betrifft nicht nur die eine Person, das gesamte private und schulische Umfeld leidet darunter. Es kann vorkommen, Um den Verdacht zu bestätigen oder zu entkräften, gibt es keine 100 Möglichkeiten. An der Frage „Kommt es vor, dass du schon an Suizid gedacht hast?“kommt man nicht vorbei.
Wenn eine Person über Selbstmordgedanken berichtet, was sollte man tun?
Es gilt nicht in Panik zu fallen. Es bedeutet, dass die Person einem Vertrauen schenkt. Die Tatsache, über seine Probleme zu sprechen, nimmt den ersten Druck weg. Der erste Schritt in Richtung Besserung ist damit bereits getan. Es gilt dann nicht abzuwarten.
Wie schafft man es, eine andere Person davon zu überzeugen, sich professionelle Hilfe zu holen?
Es gibt leider immer noch viele Vorurteile gegenüber mentalen Krankheiten. „Ich bin doch nicht verrückt.“Psychische Erkrankungen sind sehr häufig in der Gesellschaft. Wenn man eine Bronchitis hat und die Symptome sich verschlimmern, geht man zum Arzt. Dieser Reflex – einen Professionellen aufzusuchen – sollte es auch bei mentalen Beschwerden geben. Es gilt der betreffenden Person dies bewusst zu machen. Dazu sollten die Menschen im Umfeld gut informiert sein. Aus diesem Grund bietet die Ligue Erste-Hilfe-Kurse für psychische Gesundheit an. Die Teilnehmer lernen, Probleme rechtzeitig zu erkennen und Betroffene zu Hilfe zu ermutigen.
Wie geht es weiter, wenn man sich entschlossen hat, professionelle Hilfe zu holen?
Das hängt davon ab. Der Hausarzt kann die erste Person sein, die angesprochen wird. Er kennt seinen Patienten am besten und kann die Situation richtig einschätzen. Er kann dann entweder Entwarnung geben („Sie machen sich da zu viele Gedanken“) oder einsehen, dass es Schwierigkeiten gibt. Wenn der Verdacht einer
Depression besteht, wird der Hausarzt seinen Patienten an einen Psychologen oder Psychiater weiterleiten. Nicht jede Depression wird mit Medikamenten behandelt, Psychotherapien können sehr hilfreich sein.
Man sagt, dass Leute, die mit Selbstmord drohen, es nicht tun werden. Stimmt das?
Mir gefällt der Ausdruck Drohung nicht. Wenn jemand das Thema anspricht, ist die Botschaft klar. Das sollte ernst genommen werden. Es kann sein, dass es der Person mit der Zeit besser geht und sie Abstand von den Suizidgedanken nimmt. Das heißt dann aber nicht, dass die Drohung nicht ernst gemeint war. Es gibt auch Personen, die nicht über ihr Vorhaben reden und zur Tat übergehen. Die große Mehrheit jedoch, die ihre Gedanken in die Tat umsetzt, hat davor mit einer anderen Person darüber gesprochen. Zumindest gab es Zeichen, auch wenn es sehr subtile waren. Gerade bei suizidalen Gedanken ist es wichtig, so schnell wie möglich zu reagieren, je früher die Therapie beginnt, umso größer sind die Aussichten auf Erfolg.