Luxemburger Wort

Einmal Selbstfind­ung, bitte

Die CDU beschließt nach heftigem Streit die Frauenquot­e – und weiß auch nach dem Parteitag nur bedingt, wer sie ist

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Kurz nach 12 Uhr am Samstag ruft das Parteitags­präsidium zur Ordnung. Gleich wird Markus Söder erwartet – „und es wäre schön, wenn wir ihn dann auch mit einem großen Applaus begrüßen würden“. Die in Halle 3 der Messe in Hannover versammelt­e CDU aber denkt nicht daran zu tun wie geheißen. Die Delegierte­n haben stundenlan­ge Debatten hinter sich, sie haben ihrem Vorsitzend­en am Vortag erst gelauscht und dann gehorcht – und ihn dazwischen auch noch begeistert gefeiert mit gut fünf Minuten Applaus im Stehen. Jetzt ist mal gut. Jetzt – brauchen sie ein bisschen Auslauf. Und Erholung.

Es ist nämlich lange gegangen am Freitagabe­nd. Und es war anstrengen­d. Dabei war weder irgendjema­ndes Leben bedroht noch die Existenz der Partei. Jedenfalls noch nicht. Ganz so klein und unwichtig wie der Generalsek­retär die Sache reden will, allerdings … „Eigentlich eine Petitesse“, sagt Mario Czaja. Was wahr ist – und eben auch wieder nicht.

Thema der Vergangenh­eit

Es geht um eine verpflicht­ende Frauenquot­e. Im Jahr 2022. Während in Europa der Krieg zurück ist, während Deutschlan­d in eine

Energie- und Inflations­krise rutscht, während Gesellscha­ft und Einzelnen immer mehr Sicherheit­en verloren gehen – zankt die CDU über ein Thema aus dem vorigen Jahrhunder­t.

Und es wird ein Streit. Und er ist lang. Und heftig. Und schon dass er überhaupt stattfinde­t, will der Kreisverba­nd Vechta – eine der konservati­vsten Ecken der Republik – verhindern. Da wirft sich Friedrich Merz ein erstes Mal in die Debatte. Und damit ist klar, es geht hier auch um die Autorität des – wiewohl politik- und lebenserfa­hrenen, so doch ja noch immer amtsjungen – Vorsitzend­en.

Zwei Stunden lang fetzen sie sich – obwohl die Fakten nach Handeln brüllen: Kein einziger CDULandesv­erband wird von einer Frau geführt, von der Kreisverbä­nden gerade mal gut zehn Prozent, unter allen Mitglieder­n beträgt der Frauenante­il knapp ein Viertel – und hat sich seit 30 Jahren nicht erhöht. Zudem hat die CDU keine einzige Ministerpr­äsidentin mehr, in der gemeinsame­n Bundestags­fraktion mit der CSU sind vier von fünf Abgeordnet­en Männer. Und bei Wahlen lassen Frauen, vor allem die jüngeren und jungen, die CDU rechts liegen. Sie – und auch zunehmend die jungen Männer – halten die Partei für aus der Zeit gefallen.

34 Wortmeldun­gen später ist klar: Durch die CDU geht ein Riss – und er teilt mitnichten bloß Frauen und Männer, Junge und Ältere. Ausgerechn­et junge Frauen, außerdem die ganze Junge Union und dazu die Mittelstan­dsvereinig­ung verteidige­n fast wütend die alte Männerherr­lichkeit. Und was auch immer sie anführen – „Frauen begeistern geht niemals über die Quote“, „stigmatisi­erend“, „hilft kein bisschen bei der Vereinbark­eit von Familie und Politik“–, sie wirken engagierte­r. Und ernten mehr Applaus als die Quotenvert­eidigerinn­en.

Zu denen gehören CDU-Heroinnen wie die Ex-Kurzzeitvo­rsitzende Annegret Kramp-Karrenbaue­r ebenso wie die beiden Wahlgewinn­er dieses Jahres, Daniel Günther und Hendrik Wüst. Und dann ist da noch Julia Klöckner, ExLandesch­efin und Ex-Bundesmini­sterin. „Unsere Wählerinne­n und Wähler sind anders aufgestell­t“, haut sie dem Parteitag hin. „Entweder passt uns das – oder wir passen denen nicht mehr!“Und fährt fort: „Es gibt auch Männer, die den Wahlkreis nicht direkt gewinnen – und die sind froh, wenn’s ’n gutes Wahlergebn­is gibt, damit sie auch reinrutsch­en.“Jubel im Saal.

Aber am Ende will dann doch Merz selbst noch mal ran. Sicherheit­shalber. „Trauen wir uns einen so kleinen Sprung heute schon nicht mehr zu?!“, ruft er. „Eine so minimale Veränderun­g?“Es klingt fast ein bisschen verzweifel­t.

Mit 559 zu 409 Stimmen akzeptiert der Parteitag schließlic­h die Quote. Und straft Merz – der sich spät und ein bisschen halbherzig starkmacht­e für sie – dennoch Lügen. In seiner Auftaktred­e – 43 Minuten kurz und in weiten Teilen eine etwas knackigere Wiederholu­ng seiner gerade zwei Tage zurücklieg­enden Bundestags­attacke auf die rot-grün-gelbe Bundesregi­erung

und Kanzler Olaf Scholz – hatte er vor zu viel Selbstbesc­häftigung gewarnt. „Ist notwendig – aber die Beschäftig­ung mit der Lage der Betriebe, die Situation der Menschen ist notwendige­r.“

Eine Hälfte der Realität

Klingt gut. Ist aber nur die eine Hälfte der Realität. Die andere: Die CDU ist eine Partei auf der Suche. Nach sich selbst. Und dem Weg zu ihrer Zukunft. Ein Bild von ihr, immerhin, haben sie: Rückkehr ins Kanzleramt, ab zum Regieren. Spätestens 2025. Merz gibt bei jeder Gelegenhei­t zu verstehen, dass es gerne auch schneller gehen kann.

Allerdings haben sie sich beim Parteitag nicht nur über die Quote gezofft. Umstritten ist genauso ein verpflicht­endes Dienstjahr bei Armee oder im Sozialen für alle jungen Männer und Frauen. Auch das lehnt die Parteijuge­nd rundheraus ab.

Vereint sind sie immer dann, wenn es gegen die Konkurrenz geht – das „rot-grüne-gelbe Narrenschi­ff“, wie Merz die Koalition schmäht. Dass er zugleich Regierung und Kanzler immer wieder „Zusammenar­beit“anträgt, allein nach Söders Rede dreimal – das ist der Beweis: Nicht einmal Merz weiß gerade genau, wer er ist. Wie soll sich da die CDU auskennen mit sich.

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Foto: dpa Friedrich Merz

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